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Nach der Abgabe von Mantel, Jacke und Tasche an einer extra eingerichteten Garderobe geht man durch einen jener Türrahmen, wo es piept, wenn man noch einen Metallgegenstand bei sich trägt, und wird dann von einem bodyguardähnlichen Menschen abgetastet, der einen nochmal an die Garderobe zurückschickt, falls man vergessen hat, auch das Handy abzugeben. Die Prozedur gehört zur Kampagne gegen Videopiraterie: Sie soll weniger ein Selbstmordattentat als irgendwelche Filmaufzeichnungen verhindern. Genervt macht man es sich dann endlich im Parkettsessel bequem und hofft darauf, nun wenigstens abzuheben – um im Flughafenbild zu bleiben –, doch der Höhenrausch bleibt meist aus. Nur Bodenhaftung mit häufigen Blicken auf die Uhr. Der dritte Teil des »Herrn der Ringe« verlangte dreieinhalb Stunden Sitzvermögen, wobei die Langeweile nur von der Bewunderung für schöne Bilder und perfekte special effects gemildert wurde. »Matrix« oder »The Last Samurai« – um nur noch zwei Beispiele zu nennen – dauern wenigstens nicht ganz so lange, aber garantieren ebensolche Gewaltorgien. Für Branchenfremde sei hier der Begriff »Blockbuster« erklärt. Das sind jene Hollywoodmonster, die mit größtem ökonomischen Aufwand auf einen an Einspielergebnissen zu messenden Erfolg kalkuliert sind, etwa zeitgleich international gestartet werden und dann in den Kinos wochenlang Programmplätze für weniger aufwendige, aber künstlerisch anspruchsvollere nicht US-amerikanische Filme blockieren und das Angebot der Kommerzkinos dominieren. Solche englischen Ausdrücke belegen, was das Repertoire der Lichtspieltheater nicht nur bei uns immer wieder beweist: Zumindest im Kino haben die USA längst die Weltherrschaft angetreten. Deren Verteidiger sprechen gern von der Abstimmung an der Kinokasse. Können 5 562 998 Besucher, die in den letzten beiden Wochen des vergangenen Jahres den »Herrn der Ringe« in Deutschland gesehen haben, irren? Ich nehme diesen Film nur mal gerade als aktuelles Beispiel, gönne Tolkien-Fans ihr Ver gnügen an dieser sicher bewundernswerten Leinwandadaption ihres literarischen Idols und räume gern ein, daß es Hollywood-Produktionen gibt, die ihren Erfolg noch weniger verdient haben als diese. Daß Blockbuster kleinere deutsche, europäische oder asiatische Produktionen in den Schatten stellen, erklärt sich nicht aus deren minderer Qualität – die ist oft unvergleichlich höher –, sondern aus einer totalen Wettbewerbsverzerrung. »Der Herr der Ringe« – um bei diesem auch wegen seiner großen Publicity gewählten aktuellen Beispiel zu bleiben, das als repräsentativ für die meisten Hollywood-Importe gelten kann – ist mit 1341 Kopien im Einsatz und lief in der letzten Woche des vergangenen Jahres in 73 Berliner Kinos gleichzeitig. Produzenten eines mit geringem Budget gedrehten sehenswerten deutschen Films müssen oft schon froh sein, einen kleinen engagierten Verleih zu finden, der ihn mit vielleicht drei bis zehn Kopien in alternative Kinos bringt, wo er dann trotz, wenn er Glück hat, einiger positiver Kritiken in seriösen Zeitungen vielleicht gerade mal zwei Wochen läuft, meist nur einige Tage. Dank der vielfach koproduzierenden Fernsehanstalten bleibt wenigstens zu später Stunde der Bildschirm. Die US-Major-Companies pushen ihre Produkte mit einem Millionen-Dollar-gestützten PR-Aufwand schon vor dem Start. Ausführliche Hinweise in TV und Printmedien, Starreportagen, Werbemittel wie bedruckte T-Shirts und Video- Games suggerieren dem Publikum, daß da etwas in die Kinos kommt, das man unbedingt sehen muß. Willfährige trendbewußte Journalisten sondern Superlative ab und bringen sie bei zeitgeisthörigen Feuilletonredaktionen selbst renommierter Blätter unter, deren Degenerationserscheinungen erst jüngst tagelang an mehrspaltigen Harald-Schmidt-Beweihräucherungen ablesbar waren. Dies alles vorauszuschicken, schien mir nötig zur Erhellung des meist schon als selbstverständlich betrachteten objektiven Hintergrunds meiner subjektiven, bei etwa 700 gesehenen Filmen zwangsläufig fragmentarischen Kinobilanz 2003. Zu ihr gehören – nicht allein um einen möglichen Antiamerikanismus-Verdacht zu zerstreuen, erwähne ich sie – auch ein paar erfreuliche Filme made in Hollywood, allen voran die Adaption des Graham-Greene-Romans »Der stille Amerikaner« des australischen Regisseurs Phillip Noyce. Für mich auch eine Erinnerung an die persönliche Begegnung mit dem Schauplatz in Saigon ein Jahr zuvor. Anders als in der entschärften ersten Verfilmung von Joseph L. Mankiewicz 1958 trat jetzt die manchmal auch mit naivem Sendungsbewußtsein gepaarte skrupellose CIA-Aktivität in »Dritte-Welt«-Ländern deutlich hervor und machte den Film politisch hochaktuell (s. Ossietzky 18/03, S. 630). Nicht von ungefähr war sein Start nach dem 11. September 2001 hinausgezögert worden. Ebenso aktuell wäre eine leider versäumte Wiederaufführung von Barry Levinsons »Wag the Dog« gewesen. 1998 hatte dieser Film schon fast realsatirisch vorgeführt, wie, um von einer Sexaffäre des US-Präsidenten abzulenken, als Mediencoup ein Krieg (fiktiv) angezettelt wird. Freilich wäre wohl heute ein so direkter Film wie »Wag the Dog« kaum noch möglich. Immerhin lief vor einem Jahr noch Michael Moores Abrechnung mit der Waffengeilheit seiner Landsleute »Bowling for Columbine« mit 110 Kopien in unseren Kinos. Darf man nun ein filmisches Äquivalent seiner Anti-Bush-Bestseller erwarten? Um aber noch ein gutes Wort für Hollywood einzulegen, sei der eben angelaufene Film »Lost in Translation« von Sofia Coppola, der Tochter Francis Ford Coppolas (»Apocalypse Now«) empfohlen: zwischen Komik und Traurigkeit eine leise Reflexion über Einsamkeit, die Suche nach Nähe und die Schwierigkeiten nicht nur sprachlicher Verständigung vor dem Hintergrund der Millionenstadt Tokio. Original Japanisches zählt oft zu den lohnenden Importen, im vergangenen Jahr vor allem »Dolls« von Takeshi Kitano: ein faszinierendes Filmgedicht in betörend schönen Farben, bestehend aus drei parallelen melancholischen Geschichten über Liebe und Treue mit Bezügen zum Bunraku-Puppentheater. Überhaupt sind Entdeckungen vor allem in eher exotischen Filmländern zu machen. In Asien gehören dazu noch Südkorea und China, nicht zu vergessen Iran mit immer wieder erstaunlicher Sozialkritik. Kritik an abnormalen Zuständen übt auch durchaus unterhaltsam, ganz ohne Zeigefinger, der wunderbare palästinensische Film »Rana's Wedding« von Hany Abu-Assad, der jetzt, nachdem er schon sieben internationale Auszeichnungen errang, in unsere Kinos kommt: Die absurde Realität im heutigen Ost-Jerusalem legt einer jungen Frau immer wieder Stolpersteine in den Weg bei ihrem Bemühen, in nur zehn Stunden vor der Emigration ihres Vaters nach Ägypten den Mann, den sie liebt, zu suchen und zu heiraten. Ähnlich große Ausnahmen im Einerlei deutschen Kinoalltags sind Anfang dieses Jahres der erste afghanische Film seit dem Sturz des Taliban-Regimes, »Osama« von Siddiq Barmak, und ein Film des berühmten afrikanischen Regisseurs Ousmane Sembene, »Faat Kiné« aus Senegal. Aber wer bekommt solche Abweichungen vom Mainstream zu sehen? Vielleicht in der Kino-Oase Berlin. Die Provinz ist dagegen für Cinéphile mit Ansprüchen eine Wüste. Da haben osteuropäische Produktionen keine Chancen. Jetzt hat gerade mal »Die Rückkehr« von Andrej Swjaginzew einen kleinen Verleih gefunden, aber der kann sich gewiß nur einen Bruchteil der 70 Kopien leisten, mit denen dieser Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig in Frankreich läuft. Swjaginzew erhielt auch den Regiepreis beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus, der einzigen Gelegenheit, sich in Deutschland über den heutigen Stand der Kinematografie in den ehemals sozialistischen Ländern ziemlich umfassend zu informieren. Wobei immer wieder zu bedauern ist, wieviel Sehenswertes dem Kino-Normalverbraucher bei uns vorenthalten wird, z.B. aus Tschechien, wo jedes Jahr etwa zwei heimische Produktionen unter den Top Ten rangieren. Ob die EU-Erweiterung etwas an der filmischen Ostblindheit ändern wird, mag bezweifelt werden. Läßt doch schon der grenzüberschreitende Filmverkehr zwischen westeuropäischen Partnern viel zu wünschen übrig. Die große Ausnahme ist »Good bye Lenin«: Ein deutscher Film wird in mehr als 60 Länder verkauft – ein unerwartetes und trotz mancher Erklärungsversuche letztlich unerklärbares Phänomen. Daß der Film auch noch mit Preisen überschüttet wird – ausnahmsweise ein verdienter Triumph. Ein westdeutscher Regisseur, Wolfgang Becker, hat hier das Kunststück fertiggebracht, in einer melancholischen Komödie ostdeutsche Befindlichkeit zu erfassen, die untergegangene DDR nicht zu verklären, aber auch nicht hämischem Besserwessi-Gelächter preiszugeben. Daß er damit beim quotengeilen, jeder neuen Medienmode hinterherlaufenden Fernsehen eine Ostalgiewelle auslösen würde, ahnte der Regisseur ebensowenig wie den Erfolg seines Films. Doch oft ist ein Film, ohne das zu beabsichtigen, Ausdruck, ja Symbol des Zeitgeistes. Mehr noch als »Good bye Lenin« steht hierfür der zweite große deutsche Kinoerfolg des vergangenen Jahres: »Das Wunder von Bern«. Vordergründig ist das ein Fußball- und Familienfilm mit einem kindlichen Sympathieträger; Regisseur Sönke Wortmann hat solche Kinoerfolgsfaktoren genau kalkuliert. Hinzu kommt ein Heimkehrer aus elfjähriger sowjetischer Kriegsgefangenschaft, der sich vom Haustyrann zum verständnisvollen Vater wandelt und gleichzeitig zum neu grassierenden Trend paßt, die Deutschen aus Tätern zu Opfern zu machen. Als Buffopaar fungieren ein etwas unbedarfter Sportreporter und seine frisch Angetraute, die eine plötzliche Fußballbegeisterung entwickelt und im Stadion von Bern gar zum Cheerleader avanciert. Zu Wortmanns Personal gehört auch noch die Randfigur eines DKP-Sohnes, der aus Protest gegen den autoritären Heimkehrer-Vater in die DDR geht und dort in FDJ-Kluft am Radio den bundesdeutschen Weltmeisterschaftsgewinn miterlebt. So wird der Sieg über die Ungarn auf dem regennassen Rasen von Bern auch noch zum gesamtdeutschen Ereignis. Keine Rede davon, daß der Jubel im Westen eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit betäubte, die nicht nur in der Gestalt des damaligen Präsidenten des Deutschen Fußballbunds, Peco Bauwens, lebendig war. Der sprach davon, daß die (west)deutsche Mannschaft »mit der Fahne im Herzen« auf die Gegner losgestürmt sei. Seine NSDAP-Mitgliedsnummer 2103982 war wohl keine Jugendsünde wie bei Jens, Wapnewski und Höllerer. Wenn unser aller Bundeskanzler bei Besichtigung des »Wunder von Bern« eine Träne zerdrückt haben soll, bestätigt das höchstens den fragwürdigen Filmgeschmack von Politikern – genauso wie die Begeisterung des US-Botschafters Dan Coats für den »Luther«-Film, den er sich sogar zweimal innerhalb einer Woche angesehen hat. Daß Wortmanns krampfhaftes Konstrukt mit bisher über fünf Millionen Besuchern zum in allen Medien in höchsten Tönen gefeierten erfolgreichsten deutschen Film 2003 nach »Good bye Lenin« werden konnte, verdankt es nicht zuletzt einer PR-Unterstützung, die dem Reklameaufwand für US-amerikanische Blockbuster kaum nachstand. »Das Wunder von Bern« segelte auch auf der neonationalen Welle, was Sönke Wortmann sicher ungewollt zugab, wenn er davon sprach, daß sein Film vor noch zwanzig Jahren so nicht möglich gewesen wäre und ein Tabu gebrochen habe – eine Feststellung, die man schon aus der Luftkriegs- und Vertreibungsdebatte kannte. Daß das Fußballwunder von 1954 in das Wirtschaftswunder gemündet sei, wird am Ende des Films ausdrücklich mitgeteilt. Zu einem deutschen Filmwunder reicht es aber nicht. Der stolz registrierte Marktanteil deutscher Filme von 16 Prozent reduziert sich ohne jene beiden Spitzenreiter auf sieben Prozent. Die meisten der 56 deutschen Filme des Jahres 2003 rangierten ungeachtet ihrer Qualität unter Ferner liefen. Dabei einige, die zu den stärksten Eindrücken zählten: Hans-Christian Schmids anrührender, sozial stimmiger Episodenfilm um Menschen an der deutsch-polnischen Grenze, »Lichter«, Norbert Baumgartens Komödie über genau beobachtete menschliche Befindlichkeiten in einer ostdeutschen Kleinstadt, »Befreite Zone« (übrigens auch ein »Fußballfilm«), und Oskar Roehlers schauspielerisch herausragendes, sensibel-expressives Beziehungsdrama »Der alte Affe Angst«. Anders als Wunder gibt es Hoffnung immer wieder, auch auf das Kinojahr 2004. Es beginnt jedenfalls nicht schlecht, wie ich hier mit einigen Hinweisen auf Starts im Januar schon andeutete. Sie seien noch ergänzt um den jüngsten Film von Bernardo Bertolucci, seinem besten seit »1900« und »Der letzte Tango in Paris«: »Die Träumer« ist in der Form eines autobiographisch beeinflußten Kammerspiels eine Liebeserklärung an das Kino und mit seinen Protagonisten, einem Studententrio zwischen Karl Marx und Wilhelm Reich im Paris von 1968, eine Hommage an die Utopien einer heute meist verteufelten Jugend. Ein melancholisch-nostalgischer Rückblick in einer Zeit, da sich inzwischen die Jungen von damals vom Prinzip Hoffnung verabschiedet haben und die Jungen von heute ihrer Orientierungslosigkeit überlassen. Mit vielen jener Filme, die um ihren Platz in einem von geistlosen, nur profitorientierten Produkten dominierten Repertoire kämpfen müssen, steht Bertoluccis Film für ein Kino, das mehr sein kann als Traumfabrik, sondern in der Auseinandersetzung mit Realität unsere Träume wachhalten kann.
Erschienen in Ossietzky 2/2004 |
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