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Rügen aus BrüsselUlla Jelpke In Menschenrechtsfragen war aus der europäischen Politik in jüngster Zeit nichts Gutes zu berichten: Abschottung der »Festung Europa« durch die geplante Richtlinie über Asylverfahren (mit drastischer Beschneidung des rechtlichen Gehörs für Flüchtlinge), Übernahme des deutschen Konzepts »sicherer Drittstaaten« (also Abschiebung von Asylbewerbern in Staaten außerhalb der EU, auch wenn diese nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben), Ausdehnung der Befugnisse von Europol (mit der rechtsstaatswidrigen Immunität der europäischen Polizisten bei Straftaten im Amte) und Europäischer Haftbefehl (erleichterte Auslieferung unter Verlust bisheriger Beschuldigtenrechte). All das zeigt, daß die Europäische Union nicht nur bei ihrer Wirtschafts- und Währungspolitik sehr kritisch begleitet werden muß. Die genannten Beispiele beziehen sich auf Entscheidungen des EU-Rats der Innenminister oder der Justizminister. Dort beschließen regierende Politiker und Beamte der Mitgliedsstaaten ohne wirksame öffentliche Kontrolle immer weitergehende Ermächtigungen der Exekutive zum Abbau von Bürger- und Menschenrechten. Dieses Demokratiedefizit in der EU ist schon oft gerügt worden. Daß die Menschenrechtsbilanz aber auch dort nicht viel besser ausfällt, wo statt der Ministerien formal Parlamente entscheiden, hat sich in Deutschland vor allem nach dem 11.9.2001 erwiesen. In äußerster Eile nickte der Bundestag die beiden »Otto-Pakete« Schily I und Schily II ab; bei den fundamentalen rechtsstaatlichen Einwänden gegen die vielen darin zusammengepackten Antiterrorgesetze hielt er sich nicht auf. Nun aber macht ausgerechnet eine EU-Institution, der man es gar nicht zugetraut hätte, eine alarmierende Bilanz zur Situation der Grundrechte in Deutschland und in anderen EU-Staaten auf. Die Autoren sind die Mitglieder des Europäischen Parlaments (EP). Diese immer noch ein Schattendasein fristende Versammlung gewählter Volksvertreter produziert im Laufe eines Jahres viel Papier, das wenig gelesen und noch weniger von den politisch Verantwortlichen in den Mitgliedsstaaten ernsthaft beachtet wird. So wurde auch die Entschließung EuB-EP 1021 vom 4. September 2003 durch den zuständigen Innenausschuß des Deutschen Bundestag bei seiner Sitzung vom 14. Januar 2004 ohne eingehende Debatte lediglich »zur Kenntnis genommen«, was so viel bedeutet wie »Ablage P« (Papierkorb). Gerade diese »Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2002)« verdient aber eine intensive Lektüre. In 150 Einzelpunkten wird den Mitgliedsstaaten der Spiegel vorgehalten, großenteils in einer Deutlichkeit, die man im Deutschen Bundestag kaum mehr kennt. Eine kräftige Rüge ist da an die andere gereiht. Gleich im ersten Kapitel stellt das Europa-Parlament klar, daß »die Politik zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus vorrangig auf den Erhalt und die Stärkung des Rechtsstaats ausgerichtet sein muß«, und mahnt bei allen Maßnahmen die uneingeschränkte »Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten« an. Diese Forderung richtet sich auch an die USA. Die Straßburger Parlamentarier äußern ihre Besorgnis über die Haftbedingungen auf Guantanamo und thematisieren auch die aktuelle Frage der Übermittlung personenbezogener Fluggastdaten an die USA; das EP hält das dortige Datenschutzniveau für nicht ausreichend. Diese Verpflichtung zur Datenübermittlung sei »unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht«. Deshalb fordern sie »die unverzügliche Aussetzung der Wirkungen dieser Maßnahmen«. Als Antwort auf die Folterdebatte in Deutschland (der Vizepräsident der Frankfurter Polizei hatte dem Beschuldigten im Entführungsfall Jakob von Metzler offen mit Folter gedroht, mehrere Politiker hatten dafür Verständnis bekundet) ist Ziffer 16 zu lesen: Das EP »verurteilt aufs Schärfste jede Form der Rehabilitierung, Legitimierung oder Rechtfertigung von Folter«, insbesondere von Vertretern der Politik, Justiz oder Polizei. Irland wird gerügt, weil es die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen noch immer nicht ratifiziert hat. Ähnlich wie vor kurzem amnesty international fordert auch das EP, unabhängige Kontrolleure für Gefängnisse und Polizeihaftanstalten zu bestellen, und prangert die Lage der Häftlinge in überfüllten Gefängnissen in Großbritannien, Portugal, Belgien, Italien und Frankreich an. Allen EU-Staaten wirft es eine »unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die Polizei« sowie die »unannehmbare brutale Gewaltanwendung in den Polizeikommissariaten« vor (amnesty international bestätigte diesen Vorwurf speziell gegen Deutschland am 14. Januar 2004 ). Belgien, Frankreich, Luxemburg und Großbritannien werden aufgefordert, die Inhaftierung von Minderjährigen zu begrenzen. Hohe Aktualität für Deutschland haben die Forderungen zum Datenschutz. Am 15. Januar 2004 wurde im Bundestag ein neues Telekommunikationsgesetz eingebracht, das der Polizei umfassenden Zugriff auf die Verkehrsdaten der Telefon- und Telefaxbenutzer ermöglicht und eine langfristige Speicherung dieser Daten vorsieht. Demgegenüber hält das EP lediglich ein nach Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit befristetes Speichern für zulässig. Als hätte das Europäische Parlament den »Kopftuchstreit« in Deutschland vorhergesehen, betont es den »Grundsatz der Laizität«, also der religiösen Neutralität des Staates und der strikten Trennung von Staat und Kirchen. In Ziffer 37 äußert es Bedauern darüber, daß in der EU noch keine gesetzliche Lösung für das Problem der Konzentration von Medienmacht in den Händen weniger großer Gruppen gefunden worden ist. Namentlich wird die Medienmacht des italienischen Ministerpräsidenten – und zeitweiligen EU-Ratspräsidenten – Berlusconi kritisiert. Deutschland und die Niederlande werden »nachdrücklich« zur Ratifizierung der revidierten Sozialcharta aufgefordert. Das hätte zur Folge, daß das Streikrecht auch im öffentlichen Dienst gelten würde. Das EP weist ausdrücklich daraufhin, daß Deutschland gegen europäisches Recht verstoße, wenn es den Beschäftigten im öffentlichen Dienst dieses Recht vorenthalte. Österreich und Luxemburg erhalten wegen Verletzung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit die dringende Empfehlung, ihre gesetzlichen Bestimmungen zu ändern, die die Wahl von Migranten zu Betriebsräten verbieten. Das Recht auf kostenlose Schulbildung wird in Deutschland neuerdings sogar in reichen Bundesländern wie Bayern in Frage gestellt. Somit ist die Erinnerung an dieses Grundrecht vollauf angebracht. Das EP setzt sich besonders für die Bildungschancen der Kinder von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Zuwanderern sowie bestimmten Roma-Gemeinschaften ein. Man möchte ergänzen: Dazu gehört auch das Thema Schulbesuch von Kindern sogenannter illegaler Ausländer, an das sich der Bundestag bis heute nicht herangewagt hat. Eine weitere Forderung richtet sich – ohne daß das direkt gesagt würde – eindeutig an Deutschland: Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung müssen als Asylgründe anerkannt, die Genfer Flüchtlingskonvention darf nicht restriktiv ausgelegt werden. Derzeit sieht es im Vermittlungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz nicht so aus, als ob die CDU/CSU diese unmißverständliche Forderung des Europäischen Parlaments akzeptieren würde. Verdrängt wird in der deutschen Politik gewöhnlich auch die »Besorgnis über die hohe Zahl von Menschen, die bei dem Versuch, in der Union Zuflucht zu finden, gestorben sind«. Konsequent folgert das EP: Es müssen »legale Kanäle für die Einwanderung geschaffen werden«. Kritisch setzt sich das Parlament in Straßburg auch mit Flughafenverfahren, Abschiebehaft und der Lage unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender auseinander und rügt die »Praktiken der Zwangsausweisung, die sich zuweilen als tödlich erwiesen haben«. Scheinbar an den EU-Rat, tatsächlich aber an Deutschland geht die Mahnung, endlich die Richtlinie über den Flüchtlingsstatus zu verabschieden; dieses Vorhaben scheiterte bisher ausschließlich am Veto von Bundesinnenminister Otto Schily. Unterstützung durch das Europäische Parlament erhält die alte Forderung deutscher Bürgerrechtsorganisationen nach dem Kommunalwahlrecht für alle Ausländer nach dreijährigem Aufenthalt. Auch unter Rot-Grün hat Deutschland bisher keinen Schritt in diese Richtung getan. Dasselbe gilt für ein Informationsfreiheitsgesetz. Regelungen für einen freien Zugang zu öffentlichen Dokumenten werden derzeit im Bundestag nicht einmal von den Grünen eingefordert, wohl aber vom Europäischen Parlament. Schließlich verlangt das EP einen Rahmenbeschluß für ein rechtsstaatliches europäisches Strafverfahrensrecht, bevor der europäische Haftbefehl in Kraft tritt – ein richtiges Petitum, das aber der EU-Ministerrat bisher ignoriert. Und damit liegt auch der Haupteinwand gegen die umfangreiche Entschließung auf der Hand: Sie enthält viele berechtigte Rügen und Forderungen, aber die Parlamentarier in Straßburg sind nicht in der Lage, ihren Willen in die Tat umzusetzen. So beschränkt sich der Wert des Dokuments wohl darauf, eine umfassende Lagebeschreibung zu liefern. Das ist wenig – aber mehr, als der Deutsche Bundestag leistet. Zum Thema s. auch Volker Bräutigams Bemerkung auf Seite 67.
Erschienen in Ossietzky 2/2004 |
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