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Wer oder was hat da gesiegt? Die Menschenrechte jedenfalls nicht. Den Beschwerden lag das Urteil des EGMR vom 26.9.1995 in Sachen Vogt versus BRD zugrunde. Damals erklärte der Gerichtshof in Straßburg das Berufsverbot gegen die niedersächsische Lehrerin Dorothea Vogt für unvereinbar mit den Artikeln 10 (Meinungsfreiheit) und 11 (Vereinigungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – peinlich für das Land Niedersachsen und die Bundesregierung und besonders für das Bundesverfassungsgericht, das die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hatte. Acht andere Berufsverbotsbetroffene, deren Fälle im wesentlichen gleich lagen, wurden dadurch ermutigt, ebenfalls den Rechtsweg bis Straßburg einzuschlagen. In dem Vogt-Urteil stellte der EGMR fest, daß die Entlassung aus dem Schuldienst aufgrund des durchgeführten Disziplinarverfahrens zwar »durch Gesetz« geregelt und im Grundsatz auch ein »legitimes Ziel« im Sinne des Artikel 10 EMRK ist, die Dienstenthebung in einer demokratischen Gesellschaft aber nicht notwendig und deshalb nicht gerechtfertigt war. Hierzu hätte ein dringendes soziales Bedürfnis vorliegen müssen, das angesichts des hohen Stellenwertes der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit nicht gegeben war. In diesem Zusammenhang befaßte sich der Gerichtshof mit der politischen Treuepflicht, die nach deutscher Rechtsprechung, ohne daß nach der ausgeübten Funktion differenziert würde, allen Beamten in gleicher Weise auferlegt wird. Diese Rigorosität findet sich nach den Feststellungen des EGMR in keinem vergleichbaren westeuropäischen Land. Die Straßburger Richter befanden: Auch wenn der Staat von seinen Beamten verlangen kann, daß sie sich loyal gegenüber den grundlegenden Verfassungsprinzipien verhalten, muß diese Anforderung immer an der konkreten Funktion des Betroffenen und den konkreten Anforderungen und Bedingungen der jeweiligen Beschäftigung gemessen werden. Der EGMR bezog sich auch auf die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), die wiederholt die Berufsverbote-Politik in der BRD verurteilt hatte. Der IAO-Untersuchungsausschuß hatte sie 1987 als eine nach der Konvention 111 unzulässige Diskriminierung in Beruf und Beschäftigung bezeichnet und die Bundesregierung aufgefordert, die einzelnen Berufsverbotsverfahren zu beenden sowie die von diesen Maßnahmen Betroffenen zu rehabilitieren. Später bekräftigte der ständige Untersuchungsausschuss der IAO diese Forderungen Jahr für Jahr. Die damalige CDU/CSU/FDP-Bundesregierung sträubte sich, die Verurteilung durch die IAO, eine Unterorganisation der UNO, zu akzeptieren, wagte es aber nicht, dagegen den Internationalen Gerichtshof der UNO in Den Haag anzurufen. Ausgehend von dem Vogt-Urteil des EGMR beantragten mehrere Berufsverbotsbetroffene, die wie Dorothea Vogt Beamte auf Lebenszeit gewesen waren, zunächst bei den jeweils zuständigen Verwaltungs- oder Disziplinargerichten die Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren nach den Vorschriften der Disziplinarordnungen des Bundes und der Länder. Zwei weitere Gerichtsverfahren wurden angestrengt, um die Einstellung des vor Jahren entlassenen Hochschuldozenten Wolf-Dieter Gudopp von Behm und die Wiederverbeamtung des inzwischen im Angestelltenstatus beschäftigten Zöllners Uwe Scheer zu erreichen. Auf Grund des Urteils des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 7.12.2001 wurde Uwe Scheer mit seiner Pensionierung am 31.1.2003 wiederverbeamtet. Die beamtenrechtlichen Disziplinarordnungen des Bundes und der Länder sehen eine Wiederaufnahme des förmlichen Disziplinarverfahrens ausdrücklich vor. So regelt § 97 Abs. 2 der Bundesdisziplinarordnung, daß eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist, wenn neue Tatsachen beigebracht werden. Zwar ist nach allgemeiner Auffassung die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Revisionsgerichte keine neue Tatsache, als neue Tatsache gilt aber eine durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geänderte Rechtsprechung. Dies folgt aus der Bindungswirkung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts auf die Fachgerichte. Eine gleiche Bindungswirkung müßten die Urteile des EGMR entfalten, sofern sie sich auf identische oder im wesentlichen vergleichbare Sachverhalte beziehen. Dennoch lehnten die Disziplinargerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht die Wiederaufnahmeanträge ausnahmslos ab. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte schlicht, daß das Vogt-Urteil des EGMR eine neue Tatsache im Sinne der Disziplinarordnungen darstelle, und es ging noch einen Schritt weiter, indem es ausführte: »Kommt danach eine Wiederaufnahme des Verfahrens selbst für einen vor dem EGMR erfolgreichen Beschwerdeführer, der das einen Verstoß gegen die Konvention feststellende Urteil erstritten hat, nach derzeitiger Gesetzes- und Rechtslage insgesamt nicht in Betracht, so gilt dies in nicht geringerem Maße für den, der sich lediglich auf die Begründung des in einem anderen Verfahren ergangenen Urteils des EGMR beruft. Eine die Rechtskraft durchbrechende Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch hier nicht möglich.« Die daraufhin eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen – allemal ohne jede Begründung. An mehreren dieser Entscheidungen war auch die ehemalige Präsidentin Jutta Limbach beteiligt, die in zahlreichen Publikationen den hohen verfassungsrechtlichen Rang der EGMR-Entscheidungen und deren Bindungswirkung hervorgehoben hat. Es blieb daher nur die Hoffnung auf den EGMR, der ja 1995 bereits mit dem Vogt-Urteil eine mutige Entscheidung gegen die Berufsverbotspraxis der BRD erlassen hatte. In den neuerlichen Beschwerdeverfahren stellte sich demnach für den EGMR die Frage, in welchem Umfang seine Entscheidungen im innerstaatlichen Bereich rechtsverbindliche Wirkungen erzeugen. In Art. 46 EMRK haben sich die Vertragsstaaten, also auch die BRD, verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Das endgültige Urteil des EGMR ist dem Ministerkomitee zuzuleiten, das seine Durchführung im innerstaatlichen Bereich überwacht. Da nun nach dem Fall Vogt weitere gleichgelagerte Fälle vorlagen, eröffnete sich dem EGMR die ideale Möglichkeit, die Rechtsverbindlichkeit seiner Entscheidungen im innerstaatlichen Bereich in allen Verästelungen auszuloten. Der EGMR hätte diese Rechtsproblematik um so mehr aufklären und eine ausführliche Begründung geben müssen, da das Vogt-Urteil seinerzeit als grundlegende Entscheidung in der Berufsverbotsproblematik durch die Große Kammer (19 Richter) ergangen war. Zudem vertritt gerade der deutsche Richter beim EGMR, Georg Ress, die Auffassung, daß die EMRK unter Art. 24 GG einzuordnen sei, aufgrund dessen der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann, und mithin Vorrang vor nationalem Recht habe und daß auf der Basis der Urteile des EGMR Wiederaufnahmeverfahren im nationalen Bereich durchgeführt werden müßten. Der EGMR hat jedoch kläglich versagt. Seine 3. Kammer – bestehend aus den Richtern Hedigan (Irland), Traja (Albanien) und Grewe (Norwegen) – wies mit Beschluß vom 12.9.2002 sechs Beschwerden, dieselbe Kammer – allerdings bestehend aus den Richtern Barreto (Portugal), Kuris (Litauen) und Zupancic (Slowenien) – eine weitere Beschwerde mit Beschluß vom 16.7.2003 ohne jegliche Begründung als unzulässig zurück (Art. 28 EMRK). In der vorhergehenden Entscheidung vom 9.10.2000 in dem Beschwerdeverfahren Herbert Bastian, mit der diese Beschwerde ebenfalls als unzulässig verworfen wurde, stellte die 1.Kammer des EGMR – bestehend aus den Richtern Jörundsson (Island), Türmen (Türkei) und Maruste (Estland) – lapidar fest, daß die Konvention nicht ausdrücklich das Recht auf Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Prozesse schütze – ein Argument, das in Leere zielte, da ja nicht ein genereller Konventionsschutz zur Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Prozesse reklamiert, vielmehr im konkreten Fall die Feststellung der Rechtsverbindlichkeit von Urteilen des EGMR im innerstaatlichen Bereich auf der Basis nationaler Wiederaufnahmevorschriften begehrt worden war. Der EGMR hat sich schlicht geweigert, sich mit dieser vielfältig diskutierten Rechtsfrage auseinanderzusetzen. Welche Gründe hierfür maßgebend waren, kann nur vermutet werden. Sicherlich stehen angesichts der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Globalisierung die Zeichen für den Schutz der Menschenrechte nicht eben günstig. Wenn Großmächte mit wachsender Selbstverständlichkeit Interessen gewaltsam durchsetzen, triumphiert das atavistische Recht des Stärkeren, das eigentlich durch die internationale Rechtsordnung geächtet werden sollte. Hier ließen sich viele Beispiele anführen, wie Völkerrecht und international verbindliche Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Offenkundig besteht die Gefahr, daß auch die Rechtsprechung des EGMR vor der Macht des Faktischen und der Faktizität der sich dem Recht verweigernden Macht zurückschreckt. Im Zusammenhang mit den Berufsverboten sei hier noch erwähnt, daß der EGMR die Beweiswürdigung von Stasi-Unterlagen durch die Arbeits- und Verwaltungsgerichte des vereinten Deutschland in vollem Umfang abgesegnet hat, auch wenn den Betroffenen weder eine offizielle noch eine inoffizielle Tätigkeit für die DDR-Staatssicherheitsbehörden nachgewiesen werden konnte. So wurden wie im Fall des in der Wendezeit gewählten Rektors der Humboldt-Universität Berlin, Heinrich Fink, eherne Beweisgrundsätze (Art. 6 EMRK) über Bord geworfen. Auch die fristgemäßen oder fristlosen Kündigungen auf Basis der Regelungen im Einigungsvertrag wurden jeweils durch die Bestätigung der innerstaatlichen Urteile gebilligt. Selbst der Entzug der Anwalts- und Notarzulassung – begründet mit Staats- oder Stasi-Nähe – ist nach der neuen Rechtsprechung des EGMR kein Verstoß gegen die Konvention. Im Vordergrund der Argumentation des EGMR steht jeweils, daß die Wiedervereinigung Deutschlands eine besondere historische Situation und die DDR ein kommunistisch-diktatorisches Regime gewesen sei, wobei Personen, die in besonderer Nähe hierzu gestanden hätten, künftig nicht die vom Grundgesetz geforderte Verfassungstreue aufbringen würden. Der EGMR hat mithin die Letzt entscheidung darüber, wer verfassungstreu ist oder nicht, bei den innerstaatlichen Behörden der Bundesrepublik Deutschland belassen, ohne daß er sich mit den innerstaatlichen Entscheidungen insbesondere des Bundesverfassungsgerichts kritisch auseinandergesetzt hat, was im Hinblick auf sein grundlegendes Urteil im Falle Dorothea Vogt zwingend geboten gewesen wäre. Die Akten der bundesdeutschen Berufsverbotsverfahren sind geschlossen. Aber die Diskussion über den Schutz der Menschenrechte in Deutschland und Europa sollte neu beginnen – zumal nicht auszuschließen ist, daß sich diejenigen deutschen Berufsverbotspolitiker ermutigt sehen, die längst danach trachten, ihre Praktiken zu europäisieren. Rechtsanwalt Klaus Dammann (Hamburg) hat zahlreiche Berufsverbotsbetroffene vor den Gerichten bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten.
Erschienen in Ossietzky 2/2004 |
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