Vorwärts zur Zivildienstleistung

Matthias Biskupek

Völker, hört die Befehle – die von unseren Parteien, unseren Vordenkern und vor allem von unserem Verteidigungsministerium ausgehen. Die Armee soll wie alles reformiert werden. Verteidigung – stillgestanden! Reform – vorwärts!

Wenn es deutsche Befehle gibt, werden sie ausgeführt. Früher an der Wolga, später an einer deutsch-deutschen Grenze und heutzutage am Hindukusch, weil Deutschland jetzt dort verteidigt wird. Allerdings nicht mehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft sondern per Partizip: Eingreifend. Sichernd. Unterstützend. Helfend. Die Armee, ein Freund und Helfer mit einer gewissen Befehlsstruktur. Im allgemeinen wird man für strikte Befehlsausführung belobigt; und wenn mal was schiefging, konnte man den Befehlsnotstand anführen – mit Ausnahme dieser ärgerlichen Schießbefehlsfälle an dieser Grenze. Doch jetzt haben wir längst überall wieder eine schöne Kontinuität und Demokratie in der Armee. Deshalb darf man ja auch den Wehrdienst verweigern und statt dessen gute Taten für Alte, für Siechenhäuser und fürs Vaterland ableisten.

Nun geht bei unserer Armeereform aber ein Gespenst um. Das Gespenst der Freiwilligkeit. Zwar hat Hindukuschminister Struck zunächst als Tagesbefehl verkündet: Es bleibt bei der Wehrpflicht. Doch morgen erzählt er uns vielleicht eine ganz andere Kriegslist. Dann geht mit der Freiwilligkeit auch der Wehr­ ersatzdienst den Bach runter.

Und schon geht das nächste Gespenst um in Deutschland. Das Gespenst der verschwundenen Zivis. Keine Menschen mehr, die für die Omas einkaufen, im Altersheim topfen, als Krankenträger auf Unfälle warten und den örtlichen Bauhöfen helfen, Schlaglöcher zu verstopfen. Keine Sozialhelfer mehr für Sozialfälle, das Gesundheitswesen erkrankt unheilbar, und das Rote Kreuz wird zum Alarmzeichen. Die ganze Republik wackelt und bricht zusammen.

Wie nannte man sie doch früher, die Drückeberger und Weich-Eier, die Warm-Duscher und versteckten Hinterlader, all das zivildienstleistende Kroppzeug, das Deutschland nicht mit der Waffe in der Hand verteidigen wollte, wie es Vati und Opa doch so ruhmreich getan hatten. Eine Zeitlang haben sie sich in der besonderen politischen Einheit Westberlin verschanzt, nur um sich über­ all zu drücken. Das wurde dann ab 1990 zwar unterbunden – so drückten sich eben immer mehr in den Zivildiensten herum. Topften, kauften ein und hielten Händchen bei Senioren. Und jetzt sollen genau diese unmilitärischen, also quasi wehrunwürdigen Schlampen das Rückgrat der Sozialbetreuung, das Korsett des Gesundheitswesens und die Grundfesten der zivilen Bundesrepublik sein? O wundersamer Wertewandel.

Schon taucht am Horizont die Idee eines sozialen Pflichtjahrs auf – was ja so eine schlechte Idee nicht ist, würde man in diesem Jahr angemessen entlohnt. Die FDP, immer für Spaßpolitik gut, hat außerdem zu einem sozialen Jahr für Senioren aufgerufen. Damit ihnen die Zeit bis zum Ruhestand nicht so lang wird, beheben Vorrentner den Pflegenotstand.

Leider haben wir beim Wort Pflichtjahr erneut mit unserer Geschichte zu kämpfen. In jenen Zeiten, als die deutsche Armee ganz besonders ruhmreich war und noch auf halbem Wege zum Hindukusch kämpfte, gab es bekanntlich einen Arbeitsdienst. Und der kann ja nun nicht wieder eingeführt werden, damit erlitt sogar die frühe DDR, was die meisten nicht wissen, Schiffbruch.

Da gibt es wohl nur eins: Das deutsche Volk erhält den Befehl, weniger zu kränkeln, weniger alt und gebrechlich zu werden, keine Sozialstationen mehr aufzusuchen und auch im Oma-Alter selbst einkaufen zu gehen. Kehrtmarsch! – zurück in die gesunde Gesellschaft.

Erschienen in Ossietzky 2/2004