Worauf verzichten?

Eckart Spoo

Am Silvestertage benachrichtigte mich das Presseversorgungswerk, daß es mir wegen seiner schlechten Ertragslage statt bisher brutto 621.10 im neuen Jahr nur noch 538.40 Euro monatlich zahlen werde. Einige Tage später schickte es mir einen neuen Bescheid: Aufgrund des am Neujahrstage in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werde es mir statt bisher netto 565.51 nun nur noch 447.41 Euro monatlich zahlen.

Ich will mich hier nicht beklagen – auch nicht über die 10 Euro, die ich gleich beim Betreten der Praxis meiner Ärztin entrichten mußte, und über die 15 Euro Zuzahlung beim Apotheker für die von ihr verordneten Medikamente. Radio Berlin-Brandenburg und andere Rundfunkanstalten berichteten in den ersten Januartagen wiederholt, die Patienten hätten verständnisvoll, zumindest widerstandslos ihre neuen finanziellen Verpflichtungen erfüllt. Ich weiß: Anderen fiel es schwerer als mir.

Mein alter Freund L., dessen Frau schwer krank ist, schrieb mir am 7. Januar: »Allein am 2.1.04 kosteten mich zwei Krankentransporte 180 Euro, 24 Euro bezahlte ich in der Apotheke. Am 8.1.04 sind wieder zwei Krankentransporte fällig sowie weitere Apothekenkosten. Unsere Zuzahlungsbefreiung endete am 31.12.03. « Er bat um Verständnis dafür, daß er sich neben vielem anderen auch das Ossietzky -Abo nicht mehr leisten könne.

Ich hoffe, mit dieser Entscheidung bleibt er allein. Aber auch ich überlegte mir, worauf ich nun verzichten kann. Mir fiel die Mitgliedschaft bei den Naturfreunden ein – deren Vorsitzender Müller-Düsseldorf ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, also für die »Modernisierung« der gesetzlichen Krankenversicherung und all die anderen »Reformen« mitverantwortlich.

Meine Nachbarin Katrin, die Aussiedlern Deutsch beibringt, erzählte mir, worauf ihre Schülerinnen und Schüler jetzt verzichten: Da die Stadt Berlin das Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr abgeschafft hat, kommen von 16 Kursteilnehmern jetzt nur noch fünf zum Unterricht.

In Hamburg streicht die Agentur für Arbeit, das frühere Landesarbeitsamt, den Etat für Umschulungen. In Thüringen stellen die Anlaufstellen für Betroffene von rassistischen Angriffen ihre Arbeit ein, weil die Bundesmittel ausbleiben. In Niedersachsen ist die Existenz der KZ-Gedenkstätte Moringen bedroht. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich solche Meldungen. Überall, wo gekürzt, gestrichen, geschlossen wird, werden noch mehr Menschen arbeitslos. Und überlegen, worauf sie künftig verzichten müssen.

Aber gibt es nicht manches, worauf wir sogar gern verzichten würden? Zum Beispiel solche Regierungsberater wie Berger, Hunzinger & Co.? Oder diverse Neuanschaffungen der Bundeswehr, die Anne Rieger in ihrem Beitrag erwähnt? Oder gleich das ganze Wirtschaftssystem, das, wie Christoph Butterwegge in gebotener Sachlichkeit mitteilt, schon seit Jahrzehnten weder ein ausreichendes Wachstum noch einen hohen Beschäftigungsstand zu gewährleisten vermag ...

Erschienen in Ossietzky 2/2004