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Maria-Elena Amos' Bühnenbild ist von einem Rahmen umschlossen, wie von Kinderhand fürs Kasperletheater gemacht. Schwarz-rot-gold ist er, bemalt mit Springerstiefeln, SS-Runen, Siegheilarmen und Hakenkreuzen, gekrönt von einem gehörnten, rotglühenden Hitlerkopf mit weiten Schwingen und wüsten Krallen. Zeichenhaft sind auch die Kostüme von Angelika Rieck. Die Flut fröhlicher Farben türmt sich zur Welle bei der brausenden "Einspülung" von Beethovens Neunter, abrupt beendet durch die verquetschten Töne einer Jahrmarktströte. Im ersten Dramolett, "A Doda", sinnieren zwei Frauen, vom Kirchgang kommend, über einen querab auf der Straße liegenden vermeintlichen Leichnam und wie er wohl dahin geraten sein mag. Bernhard benutzt, beinahe quälend, genießerisch durchspielen. Fazit: Das "tote" Bündel erweist sich als eine Rolle lackroter stereotype Sätze, deren Varianten Gudrun Ritter und Therese Affolter Plakate, hakenkreuzverziert, die der "Mo" der einen Frau des Nachts kleben sollte und offenkundig vom Moped verloren hat. Die Frau schimpft ihren Mann einen Deppen, sie wird die Plakate selber kleben. Gudrun Ritter stanzt diese Person aus dem bissigen Bernhardt-Text, entlarvt mit gnadenloser Komik deren gefahrvolle Engstirnigkeit, ohne Preisgabe der Figur, ohne in die Karikatur abzugleiten. Meisterlich. In "Maiandacht" hat Carmen-Maja Antoni ihr Solo. Sie tratscht mit der Nachbarin, vernichtet verbal alles und jeden, insonderheit Türken und Jugoslawen: "Läus hams, Wanzen hams, wegfressen tans uns ois, Kinder macha kennas, arbatn tans nix, dö Türken und Jugoslawen. Vergast gehörns alle. Vergast." Wie Genickschüsse triff uns das Wortestakkato "Vergast". In "Match" belagert eine geschwätzige Frau (Therese Affolter) ihren Mann, einen Polizisten, der Fußball guckt. Seine Sturheit treibt sie in Haß und Hysterie: "Der Mo soll eischieaßn in die Studenten, die aufgestachelt san von die Juden... alle san Gsindl,... da schieaßad i eini, da tat i eineschiaßn, eini schiaßat i in die." Großartig die Affolter. Mit akribischer Genauigkeit entpuppt sie Frau Biedermann, zeigt das Monster in ihr. Eine Lektion zum Thema "Masse und Macht". In "Freispruch" sitzen drei Paare bei Kaffee und Kuchen. Drei Richter mit ihren Gattinnen. Schlagobers und Kriegsgemetzel beherrschen das Gespräch. "Buchenwald war gar nicht so schlimm." - "Die linke Saupresse mag schreiben was sie will, wir Richter müssen zusammenhalten." Man hat sich gegenseitig freigesprochen von Schuld und feiert. Die Fenster werden dicht gemacht, gemeinsam singen sie: "Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen." Atemstau im Publikum. "Eis": Zwei Paare im Strandkorb, zwei Ministerpräsidenten und ihre Frauen. Sonne, Geplauder. Die Männer sind sich einig: "Hart muß man sein, hart, nichts als hart, gegen alle und alles, schließlich hat man die beste Polizei der Welt. Bis jetzt haben sie zugeschaut. Jetzt wird geschossen. Hausbesetzer, Gastarbeiter. Alle!" Da knallt es, ein Eisverkäufer schießt, Blut spritzt aus dem Strandkorb. Eine kinderreiche Familie beim "Deutschen Mittagstisch". Optisch in Wilhelm-Busch-Manier löffeln die Mitspieler ihre Suppe. Deutsche Suppe. Nazi-Suppe. "Immer diese Nazi-Suppe! Niemals Nudeln. Immer Nazi", mosern sie, erregen sich, werden handgreiflich, erwürgen ihre Nazi-Mutter. Der Schoß ist fruchtbar noch... Stummes Entsetzen im Zuschauerraum. Zögerlich klingt Beifall auf, schwillt an, wird stürmisch. Die Menge ruft "Bravo", einzelne Juchzer durchzucken die Luft, dann führt Peymann seine Kombattanten auf die Bühne, wie stets wird ein Weniges gebuht, wie stets streckt Peymann die Zunge raus, lacht. Mittlerweile glaube ich, der alte Fuchs läßt die Buhrufe einspielen, wirft per Technik eine Prise Salz in die Suppe. * "Einsame Menschen" von Gerhart Hauptmann im Deutschen Theater, Berlin. Regie: Michael Thalheimer. Vor samtsattem Schwarz sieben hintereinander versetzte Rahmen (Bühne: Henrik Ahr) markieren adäquat den Raum für die Vereinzelung der Figuren, sieben an der Zahl. Wie in einer Blackbox gefangen agieren sie in tragischem Leerlauf, zerstören sich und die anderen. Sphärenklänge, saugendes Licht - der Betrachter ist sekundenschnell in Michael Thalheimers Kunst-Welt entführt. Ein magischer Vorgang, man ist fasziniert, fügt sich. Wie das Ensemble, eine Gemeinschaft erstklassiger Schauspieler, immer im Einverständnis mit der Intention des Regisseurs, der es versteht, ihre Bereitschaft zu nutzen. Den Autor mußte er nicht fragen. Dessen Text hat er eingedampft, eingekocht, eingeschmurgelt und aus dem Fond eine Essenz für Feinschmecker kreiert. Erstaunlich, wie Hauptmanns wortreicher, aktreicher Heim-und-Herd-Naturalismus in Thalheimers Sichtweise zum antiken Drama wird. Glasklar, schnörkellos. Die Figuren verloren, ausgeliefert, von schicksalhafter Wucht bewegt. Den DarstellerInnen Barbara Schnitzler, Nina Hoss, Katharina Schmalenberg, Gabriele Heinz, Robert Gallinowski, Jörg Gudzuhn und Ingo Hülsmann gelingt es, das komplette Drama - die Zerstörung einer Familie - mit sparsamsten Mitteln, Scherenschnitten vergleichbar, präsent werden zu lassen. Jedes Wort, jede Neigung des Kopfes, jede Wendung des Körpers, mal zeitverzögert, mal hysterisch gesteigert, erzählt die ganze Geschichte. Man erlebt die hohe Kunst der Künstlichkeit. Manierismus als Methode. Doch dann, plötzlich, wird die strenge Form gestört, Masken werden zerbrochen, Lächeln und Floskeln weggefegt, eruptiv werden Gefühle ausgespieen bis zur Erschöpfung, totaler Leere, verlorenem Sinn, bis zum bitteren Ende. Tod. Die Vereinzelung des Menschen durch den Menschen. Seine Vereinsamung. Die Vereinzelung in der Gesellschaft durch die Gesellschaft - hier wird sie zum eindringlichen Theaterereignis.
Erschienen in Ossietzky 1/2004 |
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