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Hanni erhielt zwei Schlagzeilen: "Frauen wild auf einsamen Ski-Adler: Hanni, wir wollen dich!" und "Keine nimmt ihn in den Arm - Hanni braucht eine Frau!" Keine Frage: Hanni braucht Nanni oder gleich eine Psychiaterin. Es wurde das Jahr der"Superstars". Das Wort kam 16 Mal in den Bildzeitungsschlagzeilen vor. Hier eine Auswahl: "'Superstar' Juliette: Kripo ermittelt nach Brust-OP", "Tränen bei ‚Superstars': Vanessa fliegt heute raus", "'Superstars' in Angst: Drohbriefe gegen den schrägen Daniel" und "'Superstar'-Drama: Daniel Lopes: Kollaps! Klinik!" Daniel Lopes wer? Wenn das ein Superstar ist, was sind dann Meryll Streep und Robert De Niro? Immerhin, der schräge Daniel Küblböck, eine lurchähnliche Bodenturnerin mit dem musikalischen Talent eines Pfeifenreinigers, brachte es auf neun namentliche Erwähnungen wie "Daniel exclusiv in Bild: Mein verrücktes Sex-Leben" oder "Erschossen, weil sie Superstar Daniel so sehr liebte". Ich hätte es nicht gedacht, aber genauso populär wie dieser Superstar ist das Erdmännchen aus dem Irak: Auch Saddam Hussein erreichte neun namentliche Erwähnungen in den Schlagzeilen. Das reichte von "Saddam erklärt uns den Krieg: Ihr werdet Blut weinen" bis "Endlich! Saddam aus Erdloch gezerrt ... und rasiert!" Saddam und Küblböck auf Augenhöhe, das hat doch was. Obwohl es mir lieber wäre, Küblböck säße im Erdloch und Saddam würde Bohlen & Co aufmischen. Dieter Bohlen war zweifellos eine der eindrucksvollsten Persönlichkeiten des Jahres 2003, aber nicht der Schlagzeilenkönig von Bild. Ganz klar vor ihm lag das Idealbild eines deutschen Mannes, ein beißwütiger Schreihals mit pitbullförmigem Kanisterkopf und einem Unterkiefer wie eine Kommodenschublade. Auf 15 namentliche Nennungen (und damit ist er alleiniger Spitzenreiter) brachte es Oliver Kahn. Der Torwart-Titan, wie Bild ihn nannte, lieferte uns einen Lore-Roman wie aus dem Seifenspender: "Kahn betrügt seine im 9. Monat schwangere Ehefrau", "Wie verkraftet sie das schäbige Ehedrama? Angst um Frau Kahn", "Das beschämende Ehedrama: Kahns Geliebte ist ein wildes Promiluder", "Wilde Knutsch-Szenen im TV: Warum tut Kahn seiner Frau das an?", "Frau Kahn zieht aus!", "Kahn wieder bei der Geliebten", "Olli Kahn: Private Meisterfeier mit Ehefrau und Ex-Geliebter", "Seine Frau ist wieder bei ihm: Rächt sich Verena an Kahn?", "Geliebte weg! Rettet Kahn jetzt seine Ehe?", "Kahn liegt wieder bei seiner Frau", "Kahn: So schlimm steht es um meine Augen". Das erklärt natürlich manches. Aber mit seinen Eiern soll ja auch was nicht in Ordnung sein, jedenfalls hat er sich in einem Interview in dieser Richtung geäußert. Bohlen, die Knalltüte aus Tötensen, lieferte schlagzeilenmäßig nur Pillepalle. Von elf Schlagzeilen, die seinen Namen enthielten, ließ nur eine ein wenig Hoffnung keimen: "Dieter Bohlen von Polizei auf Mallorca abgeführt!" Vulgo: ausgeschissen. Genauso oft wie Bohlen, elf Mal, tauchte der Name Friedman in den Schlagzeilen auf, unter anderem so: "Kokain! Wie krank ist Michel Friedman?", "Bärbel Schäfer packt aus: Die Wahrheit über meine Liebe zu Friedman!", "Friedman-Krimi immer unheimlicher". Nun, wir wissen, der Mann hat seine Strafe bekommen: Er muß zurück ins Fernsehen plus lebenslänglich Bärbel Schäfer. Wenden wir uns der seriösen Politik zu. Der Name Schröder erscheint drei Mal in den Bildzeitungsschlagzeilen, die Berufsbezeichnung "Kanzler" elf Mal: "Kanzler im Chaos", "Ist Schröder am Ende?", "Revolte in der SPD: Stürzt der Kanzler?", "Die gemeinen Gerüchte um die Kanzler-Ehe: Wie hält sie das aus?", "Kanzler tobt über Ehe-Gerüchte: Mir kommt das Kotzen!" Letztlich dreht sich eben auch auf höchstem gesellschaftlichen Niveau alles nur um Sex. Das Wort "Sex" kommt übrigens acht Mal in den Schlagzeilen vor, in allen Fällen belanglos; aber ein Zeichen für die enorme Kreativität der Bildzeitungsredakteure ist, daß sie aus dem Substantiv "Sex" ein Verbum ableiteten: "Heute versext uns alle der Mars!" Einzelheiten, vor allem auch aus der Chefredakteursetage, wurden leider nicht mitgeteilt, trotz allgemeinen Interesses, nachdem über Herrn Diekmann das on dit verbreitet worden war, er habe einen viel zu kurzen und darum künstlich verlängerten Penis... 38 von 295 Schlagzeilen befaßten sich mit Politik ohne direkten sexuellen Bezug. Neun von ihnen trompeteten die Botschaft ins Land: "Steuern runter macht Deutschland munter!" Der Rest der politischen Schlagzeilen hat keinen Erinnerungswert, allenfalls könnte man zwei erwähnen, aus denen eine geheime Sehnsucht nach einem tatkräftigen Führer hervorschimmert: "Blablabla - Hört auf zu reden! Macht was!" und "Schwarzeneggers Triumph: Brauchen wir auch so einen?" Tja, wenn man mich so direkt fragt: Diese Österreicher wissen schon, wie man die Arbeitslosen von der Straße kriegt... Eine Schlagzeile, die großes Kaufinteresse weckte, war "Dieter Thomas Heck: Sein Hund zerfleischt Politiker!" So sehr wir alle dieses Ereignis begrüßt haben, blieb doch die Frage: Kriegt der Köter denn nix Anständiges zu fressen? Es gab auch drei beabsichtigt witzige Schlagzeilen: "Diese Wüsten-Sonne! Werden wir alle Afrikaner?", "Wir kriegen einen Sonnenstich: Kanzler, tu was!" und als Krönung: "Äquator dramatisch verschoben!" Ja, da möchte man gern Genaueres wissen: Wer hat ihn wohin verschoben, waren Polen daran beteiligt, werden schon Neger ins Weltall geschleudert? Krieg und Terror schafften zusammen nur 17 Schlagzeilen, und von denen ließ mich auch nur eine zusammenzucken: "Tötet Saddam!", der christliche Imperativ. Europas größte Tageszeitung bewies aber auch ein feines Näschen, wer die ZeitungskäuferInnen am Kiosk abschreckt: George W. Bush kommt in keiner einzigen Schlagzeile vor. Auch nicht in der Sparte Verbrechen. In dieser Sparte werden ja immer besonders hohe Anforderungen an die Bildzeitung gestellt. Wenn ich da an das blutige Vokabular zurückdenke, das uns in den 70er Jahren das Herz erwärmte... Damals ganz geläufige Tätigkeitswörter waren: "aufschlitzen", "erdrosseln", "ersticken", "verstümmeln", "zerhacken", "zermalmen", "Bein abreißen" und "tot an eine Boje hängen". Heute dagegen alles ziemlich lasch: Vier Mal wird jemand "Bestie" genannt, "ermorden" kommt ebenfalls vier Mal vor, außerdem "totspritzen", "zerfleischen", "zerfetzen". Und kein einziges Blutbad. Nur "Die Wahrheit übers blutige Tiger-Drama" und "Teenie-Affäre: Matthäus wirft blutjunge Freundin raus!" Ziemlich dürftig also. Vermutlich verspricht sich die Bildzeitung eine höhere Aufmerksamkeit, wenn sie den Eindruck erweckt, investigativen Journalismus zu betreiben: "auspacken", "enthüllen", "alles erzählen", "jetzt spricht" - das sind die angesagten Reizwörter, dabei "kommt raus", wer wie wo wieviel "abzockt" oder "absahnt": "Grüne Politikerin mit 48 in Ruhestand: Sie darf abzocken - und wir müssen bluten!" Wenn wir´s zusammenzählen, propagieren 188 von 295 Bildzeitungsschlagzeilen das Leben von gerade mal zwei Dutzend sogenannten Promis. Es geht um Krankheiten - "Arme Inge Meysel: Muß sie jetzt ins Heim?", Scheidungen - Joschka Fischer: 4. Ehe kaputt" ("Joschka" ist ein echter Fachmann in Familienfragen, hat er uns doch in einem Interview verraten, die NATO sei wie eine Familie), Schwangerschaften - "Blubb hat´s gemacht: Verona im 3. Monat schwanger", "Loki Schmidt: Ich hatte 6 Fehlgeburten", Beschimpfungen - "Thomas Anders ist gierig, faul und skrupellos!", Vaterschaftsklagen - "Susan Stahnkes Milliardär tobt"; Geheimnisse - "Juhnke-Tagebücher geklaut", Tod - "Der traurigste Tag der Schumis: Adieu, Mama" und um ein unendlich ödes, offenbar maschinelles Gevögel: "Uschi-Glas-Sohn: Schlägerei im Bordell", "Arme Naddel! Ausgebeutet im Porno-Sumpf"; "Noch mehr Effe intim - Meine wilden Frauen", "Dicker Calmund (rund 130 Kilo): Ich will noch ein Kind (mit ihr - 23 Jahre jünger, 70 Kilo leichter)". Nun stellt sich "ganz Deutschland" vor, wie... -Schau her, Kleinbürger, den Schönen und Reichen geht es auch nicht besser als dir. Keine(r) kriegt es richtig gebacken, und im Grunde sind wir alle gleich. Es ist die alte durchsichtige Methode, mit diesem Promifirlefanz die Menschen einerseits von Sozialabbau, Preissteigerungen, Lohndumping, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere, kurz: vom Scheuerlappengeruch des Daseins abzulenken und ruhigzustellen, während andererseits phantasievolle Angstmacherei auf zunehmende staatliche Repression einstimmt. Das geschieht vorzugsweise auf Seite 2 der Bildzeitung. Im Februar 2003 beispielsweise lauteten dort die Überschriften: "Pocken-Alarm - Warum rechnen Experten mit Millionen Toten?", "Ganz Deutschland in Angst vor einem möglichen Anschlag mit Pocken-Viren", "Pocken-Alarm: Neues Geheimpapier", "Deutschland trifft Vorbereitungen für einen Pocken-Angriff", "Pocken - Warum wird der Impfstoff versteckt?" und schließlich "CDU-Ministerpräsident warnt vor Pocken-Terror!" Da fehlte nur noch, daß Roland Koch forderte: "Pockenimpfstoff - nur für Deutsche!" 1968 blockierten Demonstranten die Auslieferung der Bildzeitung. 2003 flitzten Studentinnen und Studenten, die auf miese Studienbedingungen aufmerksam machen wollten, nackt auf Weihnachtsmärkten herum, hüpften in kalte Kanäle und besetzten mal kurz die taz-Redaktion in Berlin, wenige Meter von Springerverlag und Bildzeitung entfernt. Bild wußte das zu würdigen: "Früher flogen bei Demos Pflastersteine, heute wippen die Brüste in der kalten Winterluft." Die alte Volksweisheit "Wer Berge versetzen will, muß mit Steineschmeißen anfangen" wollen wir doch nicht nochmal aufwärmen. Moderne, aufgeschlossene Menschen wissen: Wer von der Bildzeitung kommt, stammt aus einem guten Stall. Der bringt es schnell zum Abteilungsleiter bei der ARD oder noch viel weiter, Bildleute suchen gemeinsam mit dem ZDF den besten Deutschen, Oskar Lafontaine nistet hier, Dana Horakova hat bei der Bildzeitung alle Rezepte geistiger Armenspeisung, die man als Kultursenatorin von Hamburg so braucht, selbst verkostet, und der Regierungssprecher des großen Arbeiterführers Gerhard Schröder ist auch eine Bildzeitungsprofi. Heute kann niemand mehr seinen Kindern erklären, daß Bild iii-bäbä sei, denn heute ist iii-bäbä nicht mehr pfui, sondern in.
Erschienen in Ossietzky 1/2004 |
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