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Während des Angriffskrieges gegen Jugoslawien befehligte er als NATO-Oberkommandierender für Europa die Aktion "Barmherziger Engel", wie das 78-tägige Bombardement auf jugoslawische Städte und Dörfer sinnigerweise genannt wurde. Zu Beginn der Aggression hatte er erklärt: "Unser Ziel ist es, anzugreifen, zu unterbrechen, zu sprengen..." Nachdem das vollbracht war und Tausende von Frauen, Männern und Kindern ermordet worden waren, gab er kurz nach Einstellung der Kriegshandlungen dem britischen General Sir Michael Jackson den Befehl, die Russen mit Waffengewalt vom Militärflughafen von Pristina, den diese handstreichartig besetzt hatten, zu vertreiben. Glücklicherweise verweigerte der Brite die Ausführung dieses wahnwitzigen Befehls mit dem Hinweis, wegen des Flugplatzes keinen Dritten Weltkrieg riskieren zu wollen. Nun also, nahezu fünf Jahre nach dem Krieg, in dem er "einen ganz entscheidenden Präzedenzfall für das kommende Jahrhundert" sah, erschien Clark vor dem Tribunal. Doch der Ex-Oberkommandierende nahm nicht auf der Anklagebank Platz. Diese blieb für den ehemaligen Präsidenten des überfallenen Landes reserviert, für Slobodan Milosevic, den Clark in der Nacht zum 22. April 1999 mit einem terroristischen Raketenangriff auf dessen Wohnsitz in Belgrad hatte umbringen lassen wollen. Wie schon bei der Vernehmung des früheren Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, General Klaus Naumann, im Sommer des Vorjahres waren die Rollen wieder einmal vertauscht: der Aggressor im bequemen Sessel des Zeugenstandes, der Angegriffene auf der harten Bank des Angeklagten. Doch wie damals schon, als Naumann von Milosevic befragt gerichtsnotorisch eingestehen mußte, daß der Krieg gegen Jugoslawien ohne Mandat des Weltsicherheitsrates, folglich unter offenem Bruch der UN-Charta, zudem mit international geächteten Waffen geführt worden war, wurde die Rollenbesetzung korrigiert: Milosevic wurde zum Ankläger, Clark zum Angeklagten. Dabei hatten die USA doch alles getan, um vor dem ihnen hörigen Tribunal ihren verdienstvollen Krieger vor dem eingekerkerten Ex-Präsidenten zu schützen: Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen, das Protokoll der Zeugenbefragung erst 48 Stunden später nach einer "Bearbeitung" in Washington veröffentlicht. Nichts half, auch nicht, daß es Clark - einmalig in der Gerichtspraxis - gestattet wurde, den Zeugenstand während der Einvernahme zu verlassen, um Telefongespräche zu führen, in denen er sich Rat und Beistand holen konnte. Sein Ex-Staatoberhaupt Bill Clinton schickte daraufhin ein Fax, in dem er dem im Kreuzverhör in Bedrängnis Geratenen bescheinigte, ein feiner, kluger Mann zu sein; dieser selbst verlas zum Erstaunen der Richter das Fax im Gerichtssaal. Allein schon dadurch geriet sein Auftritt zur Blamage - so kläglich, daß die meisten Medien nach reißerischen Ankündigungen entweder gar nicht oder lediglich mit mageren Zehn-Zeilen-Meldungen darüber berichteten. Als einzig nennenswerte Ausbeute kolportierten sie Clarks Behauptung, Milosevic sei 1995 vorab über das Massaker in Srebrenica unterrichtet, aber nach eigenem Bekunden nicht in der Lage gewesen, es zu verhindern. Für die ZDF-Sendung heute reichte das allerdings zu der bebilderten Kurzmeldung, Clark habe Milosevic vor dem Tribunal schwer belastet. Großzügig übersah die Redaktion alles andere, darunter auch den verblüffenden Umstand, daß der erfahrene Milosevic ausgerechnet dem NATO-General dieses Eingeständnis gemacht haben sollte, natürlich am Rande der offiziellen Gespräche und ganz im Vertrauen. Nicht weniger seltsam ist es, daß Clark dieses Wissen acht lange Jahre tief in seinem Inneren vergraben hatte, obwohl der Fall Srebrenica international immer aufs Neue für Schlagzeilen sorgte und den zentralen Punkt aller Anschuldigungen an die Adresse der Serben bildet. Angesichts der allzu offensichtlichen Ungereimtheiten konnte es nicht einmal den Clark-freundlichen Richter May verwundern, daß Milosevic dem Zeugen ins Wort fiel: "General Clark, das ist ein infame Lüge. Erstens haben wir über Srebrenica überhaupt nicht gesprochen, und zweitens habe ich in dieser Zeit, in all diesen Jahren, General Mladic nicht einen einzigen Befehl gegeben, noch bin ich in der Lage gewesen, ihm Befehle zu erteilen." Verwundert, ja höchst ungehalten zeigte sich der britische Richter jedoch, als der Angeklagte auf die Rolle des Zeugen im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien einging. Schon als Milosevic sein Kreuzverhör mit dem Satz begann: "General Clark, in Ihrem Buch ("Waging Modern War"; R.H.) sagen Sie, daß die Militäraktion der NATO gegen Jugoslawien nicht als Krieg bezeichnet werden kann..." , unterbrach May ihn und erklärte sichtbar erregt: "Ich denke nicht, daß wir eine solche Debatte führen sollten... Es ist Ihnen nicht erlaubt, über die NATO-Aktion eine freie Diskussion zu führen." Und das war lediglich der Auftakt. Immer dann, wenn der sich weiterhin selbst verteidigende Angeklagte die Aggression unter dem Oberbefehl des Zeugen zur Sprache brachte, verlor Clarks Schutzengel in der Richterrobe die Contenance und fand immer neue Verbotsformulierungen: "Das ist keine zulässige Frage...Wir wollen hier keine politischen Reden... Das ist nicht die Art von Fragen, mit der sich der Zeuge befaßte... Ich untersage Ihnen Ihre Kommentare." Im Verlauf dieses seltsamen Kreuzverhörs erkundigte sich Milosevic: "Herr May, nur um die Grundfrage meiner Lage im Verhältnis zu diesem Zeugen zu klären: Ist es denn nicht unstrittig, daß General Clark der Kommandeur der NATO während des Krieges gegen Jugoslawien war? Ist es denn nicht unstrittig, daß das seine bedeutendste Rolle in Bezug auf Jugoslawien war? Und kann es dann unstrittig sein, daß Sie mir nicht erlauben, ihn über all das zu befragen?" Als Richter May das mit "That's right" bestätigte, konstatierte der so belehrte Milosevic: "Well, Mr. May, das Beispiel zeigt, daß dies eine Farce ist und nichts weiter." Man mag zu Milosevic stehen, wie man will, in diesem Punkt ist er schwerlich zu widerlegen. Vor seiner Aussage in Den Haag hatte Clark siegessicher erklärt: "Ich bin stolz, daß ich an einem historischen Gerichtsverfahren teilnehmen kann, denn das ist meine Pflicht." Ob er nach seiner Haag-Reise darauf immer noch stolz ist? Im Gegensatz zu dem angeklagten Ex-Präsidenten, der während der Einvernahme des Zeugen gelassen und überlegen blieb, wurde der mögliche künftige US-Präsident zusehends unruhiger und nervöser. Zum Beispiel, als ihm Milosevic ein Foto vorlegte, das den Zeugen bei einem Treffen mit General Mladic zeigt: Clark mit der Mütze des vom Tribunal als Kriegsverbrecher Gesuchten auf dem Haupt und der bosnisch-serbische Militär bedeckt mit der Generalskappe des Yankees - eine Geste, wie sie unter hohen Offizieren unterschiedlicher Staaten freundschaftlicher nicht sein kann. Nicht weniger hilflos war Clark, als der Angeklagte die Beteuerung, die Intervention der NATO im Kosovo-Konflikt habe mehr als eine Million Menschen vor ethnischer Säuberung bewahrt, ausnahmsweise vom überraschten Richter ungestört mit den Worten parierte: "Sie haben eine humanitäre Katastrophe verursacht, General Clark. Sie haben niemanden gerettet. Und da Sie NATO-Befehlshaber waren, wissen Sie, wie ich annehme, daß die Schlußakte von Helsinki es Staaten ausdrücklich erlaubt, gegen den Terrorismus auf ihrem Territorium zu kämpfen, und kein anderer Staat das Recht hat, das zu verhindern. Sie haben in diesen Konflikt eingegriffen und die Partei der Terroristen ergriffen, General Clark. Ist das richtig oder nicht?" Das in Washington, der Zentrale des "Kampfes gegen den Terrorismus", redigierte Protokoll gibt dazu keine Auskunft, aber auch so ist ihm zu entnehmen, daß Milosevic trotz aller Verfahrenstricks auch dieses Mal nicht in die Knie zu zwingen war. Die jeglicher Pro-Milosevic-Haltung unverdächtige Frankfurter Allgemeine Zeitung, die als eines von wenigen deutschen Blättern recht ausführlich über die Zeugenaussage Clarks berichtete, zog folgendes Resümee: "Wegen Krankheit des Angeklagten haben die Sitzungen des Gerichts in den vergangenen Monaten häufiger ausfallen müssen. Doch von fatalistischer Resignation ist bei Milosevic wenig zu spüren. Dabei gibt das Kreuzverhör mit dem Zeugen wahrscheinlich nur einen Vorgeschmack auf das, was zu erwarten ist, wenn die Anklage die Beweisaufnahme demnächst beendet und er im April... mit seiner Verteidigung beginnen kann." Hoffnung auf einen Sieg der Gerechtigkeit verbietet sich freilich auch weiterhin.
Erschienen in Ossietzky 1/2004 |
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