Zur normalen Fassung

Migranten wehren sich gegen Massendeportation

von Christian Karl

 

Gyeongi-do, Südkorea, Dezember 2003. Irgendwo in den Bergen. In einem verlassenen Baürnhaus kaürn fünf Migranten aus Indonesien auf dem nackten Boden. Es gibt keinen elektischen Strom, kein fliessendes Wasser und keine sanitären Anlagen. Zu essen gibt es einmal täglich eiskalte Ramyeon. Dutzende Beutel mit Instantnudeln haben sich die neün Bewohner als Proviant mitgebracht. Seit dem 16. November halten sie sich hier versteckt, denn Gagas und seine Freunde sind auf der Flucht - auf der Flucht vor Polizei und Einwanderungsbehörde.

Am 31. Juli diesen Jahres hat das südkoreanische Parlament das Gesetz über die Einführung des EPS (Employment Permit System) verabschiedet. Dieses Gesetz ermöglicht Migranten eine dreijährige Erwerbstätigkeit in Südkorea. Als Voraussetzung für das Inkrafttreten fordert die Regierung aber von allen bisher hier lebenden und arbeitenden Migranten, die sich länger als drei Jahre in Korea aufhalten, deren “freiwillige” Rückkehr in ihre Heimat. Migranten, die länger als drei aber nicht mehr als vier Jahre im Lande leben, müssen ausreisen und könnten dann in der südkoreanischen Botschaft ihres Landes eine Arbeitserlaubnis für maximal ein Jahr beantragen. Alle die sich länger als vier Jahre hier aufhalten, haben, nach der derzeitigen Regelung, keine legale Chance zur Wiedereinreise. Da aber die meisten der Migranten, denen eine Wiedereinreise in Aussicht gestellt wurde, das ganze als unrealistisch einschätzten, haben sie sich der Registrierungsprozedur, die eine erzwungene Deportation vermeiden sollte, widersetzt, genauso wie die Migranten die länger als vier Jahre hier leben und arbeiten. Der letzte Tag, an dem eine Registrierung möglich war, war der 15. November. Seit dem versuchen sich mehr als 120.000 so genannte illegale Arbeitsmigranten vor der Verfolgung durch Polizei und Einwanderungsbehörde zu schützen in dem sie sich “unsichtbar” machen.

Südkorea ist seit der Olympiade 1988 zum Ziel von Arbeitsmigration geworden. Nach offiziellen Angaben lebten im Sommer 2002 266.600 Personen ohne gültiges Visum im Land. Die meisten Migranten stammen aus China, den Philippinen, Indonesien, Bangladesh, Myanmar, Vietnam und der Mongolei, aber auch aus mehreren Republiken der ehemaligen UdSSR und aus Aufrika.

Gewöhnlich erhielten Migranten bisher eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung im Rahmen des ITS (Industrial Trainee System). Da es sich aber in meisten Fällen der ITS-Arbeitsplätze eher um eine moderne Form der Sklaverei handelt – “Trainees” werden die härtesten, schmutzigsten und gefährlichsten Arbeiten zugewiesen, ihre Löhne liegen bei 300 Euro, oft wird auch gar nicht gezahlt, häufig werden die ”Trainees” wie Gefangene gehalten – versucht die Mehrheit nach kurzer Zeit sich einen Arbeitsplatz zu suchen, an dem die Bedingungen weniger extrem sind. Da aber die Aufenthaltsgenemigung immer an einen ITS-Arbeitsplatz gebunden ist, werden auf diesem Wege alle Migranten automatisch “illegal”.

Dagegen regte sich eine wachsende Opposition. Anfang 2001 wurde die Migrantengewerkschaft ETU-MB (Equality Trade Union - Migrants Branch) unter dem Dach der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) gegründet. Lee Yoon-joo, die damalige Vorsitzende der ETU-MB: “Es war einfach an der Zeit, dass wir die Lösung unserer Probleme in die eigenen Hände nehmen mussten. Bisher waren wir immer auf die Hilfe von Menschenrechtsorganisationen und Kirchen angewiesen und somit auch in Abhängigkeit geraten.”

Die Gründung der ETU-MB sei die Aktion einiger »irregeleiteter linker Sektierer«, schrieb die Tageszeitung Chosun Ilbo vor zwei Jahren. Doch die Migrantengewerkschaft entwickelte sich zu einer sehr agilen Bewegung. Am 26. Oktober gingen über 1.000 Migranten, unterstützt von tausenden koreanischen Arbeitern, auf die Strasse und bekräftigten ihre Forderungen nach Visa mit einer Arbeitserlaubnis für mindestens fünf Jahre, nach dem Streikrecht, der Organisations- und Redefreiheit und nach der Legalisierung aller so genannten Illegalen. Die Demonstration wurde von Anti-Aufruhr-Einheiten blutig niedergeschlagen und zwei Aktivisten der ETU-MB gerieten in Gefangenschaft.

Schon seit längerem wurde innerhalb der ETU-MB darüber diskutiert, wie man die geplanten Abschiebungen am wirksamsten – vor allem im Hinblick auf die Medien – anprangern und bekämpfen kann. Letztendlich kam man zu dem Entschluss, einen Tag vor dem Auslaufen der Registrierungsfrist am 16. November, das Gelände der Myeongdong-Kathedrale im Herzen der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zu besetzten.

Während die Mehrzahl der unregistrierten Migranten in den Untergrund ging, bisher gingen mindestens vier Migranten sogar so weit und nahmen sich das Leben, begannen 65 Aktivisten der ETU-MB und zwölfkoreanische Unterstützeren am 15. November mit der Okkupation. Der Leiter des ESC (Emergency Struggle Committee) der ETU-MB Sammar Thapa aus Nepal, selbst ein “illegaler” seit 9 Jahren, ist der Meinung, dass nur unter dem Druck medienwirksamer Aktionen die Regierung zu Zugeständnissen – ETU-MB fordert die Legalisierung aller Migranten in Südkorea, ein Ende der Deportationen und die Freilassung aller bisher inhaftierten Migranten - bereit sei. Und medienwirksam ist die Besetzungsaktion allemal. So vergeht jetzt kaum ein Tag, an dem die hiesigen Medien über das Schicksal der Migranten in Südkorea im Allgemeinen und über die Aktivitäten der Bestezter berichtet wird. Selbst stockkonservative Zeitungen, wie Chosun Ilbo kommen nicht umhin über die Aktionen, die reichlich und vielfältig sind, der ETU-MB zu berichten. Neben den mittlerweile schon obligatorisch gewordenen Solidaritätsansprachen auf nahezu allen KCTU-Demonstrationen gewinnt auch der eigentliche Kampfplatz der ETU-MB, das okkupierte Gelände der Myeongdong-Kathedrale, einen gewissen Kultstatus. Am Dienstag voriger Woche unterstützten über 500 Studentinnen der Dongdeok University den Kampf der Migranten, indem sie kurzerhand ihre eigene Protestkundgebung gegen Korruption an ihrer Uni auf das Gelände der Besetzer verlegten. Hier organisieren die Aktivisten täglich Protestkundgebungen, an Wochenenden finden Kulturfestivals und Kampfdemonstrationen statt.

Das ganze erntet natürlich in gesteigertem Maße das Missfallen bei den Herrschenden in Südkorea. Am vorvergangenen Samstag kam es dann auch, am Rande einer Gedenkzeremonie für die Opfer der Politik der Verfolgung und Deportation, zum ersten Zusammenstoss zwischen den berüchtigten Anti-Aufruhreinheiten der Polizei und Demonstanten. Und der nächste Konflikt scheint schon vorprogrammiert zu sein: Da die Kirche nur sehr wiederwillig der Besetzung zugestimmt hat, wird spätestens für Weihnachten ein Räumungsersuchen erwartet, was dann möglicherweise in einem blutigen Konflikt enden könnte.

Näheres zu ETU-MB unter: http://migrant.nodong.net

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https://sopos.org/aufsaetze/3fe32265c89b5/1.phtml

sopos 12/2003