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Mein Weltbild
I Gewiß, mein Weltbild wird einfacher Gewiß, ich verschweige II Und mein Weltbild wird einfacher III Aber die dunklen Stunden , Die dunklen Stunden. IV Die Bilder sind es, die täglich Michael Mäde
Virtueller KriegHollywood oder Bagdad – dem Publikum des Krieges, den die Regierung der USA andauernd fortführt, wird es schwer gemacht, dazwischen noch zu unterscheiden. Nach Präsident George W. Bush hat auch der Kriegsminister Donald Rumsfeld wieder einen Blitzbesuch im Irak abgestattet; bei dieser Gelegenheit gab er zu verstehen, man werde des Ex-Staatschefs Saddam Hussein wohl gar nicht habhaft werden. Eine Desinformation, um diesen Mann zur Unvorsichtigkeit zu verleiten? Eher geht es darum, den angeblichen neuen Hitler, der auch schon mal Partner der US-Regierung war, allmählich hinter den Kulissen verschwinden zu lassen. Er hat seine Rolle gespielt, in der Showserie der Politik-Regisseure in Washington. Möglicherweise werden die ZuschauerInnen schon bald gar nicht mehr wissen, ob es ihn wirklich gab. Was ist Schein, was ist Sein? Inzwischen kam heraus, daß es sich sogar bei dem so knusprig gebratenen Truthahn, den der Präsident der Vereinigten Staaten in Bagdad den US-Soldaten medienwirksam servierte, um eine Attrappe handelte. Kein Problem, denn das telegene Plastikteil hat seinen Dienst getan, die Einschaltquote war hoch, und das TV-Publikum ist ja an Tricks gewöhnt. Diese Art von postmoderner Inszenierung des Krieges hat durchaus ihren Sinn: Sie lenkt das Publikum verwirrend von den brutalen Realitäten ab. In Bagdad dagegen wissen die Leute, daß sie sich nicht in Hollywood befinden: Das Blut, die Trümmer sind echt. Arno Klönne
PeriodikaWie ist die weltweite Macht- und Militärpolitik der Vereinigten Staaten heute analytisch zu begreifen? »Imperialismus«? »Empire«? In der Linken, bei attac und bei den Sozialforen wird darüber nachgedacht und auch gestritten. Ein sehr lesenswerter Beitrag dazu ist in Heft 6 der schweizerischen Zeitschrift debatte zu finden, die der dortigen »Bewegung für den Sozialismus« nahesteht. »Das imperiale Amerika und der Krieg« ist der Titel des Aufsatzes von John Bellamy Foster, einem der Herausgeber der in New York erscheinenden linken Zeitschrift Monthly Review . In derselben Ausgabe der debatte , ebenfalls der Lektüre wert, ein kritischer Beitrag über die UNO (in ihrer derzeitigen Struktur) als »Instrument der Mächtigen«. Anschrift: debatte , Postfach 8707, CH 8036 Zürich Red .
Erinnerung an einen KriegWer spricht noch von Jugoslawien? Da gab es einmal ein europäisches Land, das seine Unabhängigkeit hart erkämpft und erfolgreich verteidigt hatte und in seiner Sprecherrolle für die Blockfreien weltweit geachtet war. Es hatte entscheidenden Anteil am Zustandekommen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlußakte allen europäischen Staaten territoriale Integrität, politische Souve-ränität, Schutz vor Einmischung von außen zusicherte. Aber kaum war der Ostblock zerbrochen und Deutschland vereinigt, stürzten sich Deutschland und dann auch die USA und die ganze NATO auf Jugoslawien – das nun nicht mehr besteht. Mit der völkerrechtswidrigen Militärintervention 1999 wurde ein Exempel für weitere imperialistische Eroberungskriege statuiert. Wer spricht noch von Jugoslawien? Wer prangert die Kriegsverbrechen derer an, die es überfallen haben? Wer wagt es überhaupt, die Verbrechen Verbrechen und die Verbrecher Verbrecher zu nennen? Wer hält ihnen ihre ungeheuerlichen Lügen vor, mit denen sie damals die Opfer als Täter verleumdeten? Schweigen im Bundestag, Schweigen in den mitschuldigen Medien. Um so wichtiger sind Bücher wie dieses. Die junge Politikwissenschaftlerin Cathrin Schütz räumt mit Propagandalügen auf und legt die Interessen bloß – hauptsächlich durch Zitate (viele davon in englischer Originalsprache ohne Übersetzung). Die Stärke dieser Arbeit liegt nicht in unmittelbarer Anschauung, sondern in gründlicher Sammlung und Auswertung gedruckter Informationen. Mehr als die meisten bisher vorliegenden Bücher über die NATO-Militärintervention geht dieses auf die Frage ein, was mit der Absicht gemeint war, »Demokratie und Marktwirtschaft« zu etablieren, und was daraus geworden ist: Fremdbestimmung. Die Wirtschaft des Landes, vor allem in Serbien, ist weitgehend zerstört, die Beschäftigten sind entrechtet, das Volk ist beraubt, ausländischen Mächten – wirtschaftlichen und politischen – wehrlos ausgeliefert. Bezeichnend dafür ist, daß die beiden großen Zeitungen in Belgrad jetzt deutschen Medienkonzernen gehören. Der in Den Haag angeklagte frühere jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milosevic, dem sich in bisher 200 Verhandlungstagen kein Kriegsverbrechen hat nachweisen lassen, sagte, die Bombardierung Jugoslawiens sei »die Rache für die Politik der Unabhängigkeit« gewesen, für die Jugoslawien gestanden habe. US-Regierungsvertreter sagten es ähnlich: Es sei darum gegangen, die »Region« unter »Kontrolle« zu bringen – durch Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, »als Eisenhower es unterließ, dort Bodentruppen zu stationieren«. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer, der dieses Zitat übermittelte, war als deutscher Vertreter in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) besonders sensibilisiert und informiert. Er schrieb das Vorwort für dieses Buch, worin er beklagt: »Eine Autobahnstrecke, die neu gebaut werden soll, ruft mehr Diskussionen in der Öffentlichkeit hervor als ein Krieg.« Bald sind fünf Jahre seit Beginn des Bombenkrieges vergangen. Es ist zu wünschen, daß Bücher wie dieses die notwendige Diskussion anstoßen. E. S. Cathrin Schütz: »Die NATO-Interven- Valjevo– ein stolzer Name in der Geschich- Hamburg schiebt ab – egal wohinHamburg will Flüchtlinge abschieben und weiß nicht wohin. Aber das ist kein Problem. Die Hamburger Ausländerbehörde hat verschiedene Methoden entwickelt, auch Flüchtlinge mit »ungeklärter Staatsbürgerschaft« loszuwerden. Erste Methode: Die Flüchtlinge müssen von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags in der Ausländerbehörde warten, bis sie im Laufe des Tages aufgerufen und von SachbearbeiterInnen befragt werden. Viele von ihnen werden täglich vorgeladen, da ihre Duldung nur jeweils um einen Tag verlängert wird. Bei den Verhören werden sie durchsucht; Gegenstände, die Hinweise auf ihr Herkunftsland geben könnten – wie Handys, Telefonkarten, Adreßbücher –, werden ihnen abgenommen. Zum Teil wird ihnen mit Abschiebung gedroht, sofern sie über ihr Herkunftsland schweigen. Diese Drohungen werden zum Teil untermauert, indem die SachbearbeiterInnen angeblich mit Reisebüros telefonieren und den Flüchtlingen Vorladungen zum Flughafen für einen der folgenden Tage mitgeben. Wenn die Flüchtlinge dort nicht erscheinen, werden sie bei der nächsten Vorsprache in der Ausländerbehörde in Abschiebehaft genommen – falls sie durch diese Drohungen nicht zuvor in die Illegalität getrieben wurden. In vielen Fällen ist gar nicht klar, ob tatsächlich Reisepapiere vorliegen und wohin die Maschine überhaupt fliegen soll. Zweite Methode: Flüchtlinge werden zu verschiedenen Botschaften gebracht, die unter Druck gesetzt werden, Papiere auszustellen – unabhängig davon, ob der Flüchtling tatsächlich Staatsbürger dieses Landes ist. Dritte Methode: Seit 1999 haben mehr als 25 »Botschaftsanhörungen« stattgefunden. Zu diesem Zweck werden diplomatische Vertreter in die Ausländerbehörde geladen. In Kurzinterviews sollen sie klären, ob die Flüchtlinge aus ihrem Land stammen. Gegebenenfalls sollen sie Reiseersatzpapiere ausstellen, mit denen die Flüchtlinge abgeschoben werden können. Hamburg ließ sich die »Botschaftsanhörungen« in den letzten Jahren einiges kosten. Nicht nur Flug und Unterkunft der Botschaftsvertreter wurden bezahlt (inklusive Stadtrundfahrt und Musicalbesuch – schließlich müsse man, so argumentierte die Ausländerbehörde, den Diplomaten »ein bißchen was bieten«), die Hamburger Behörde zahlte den Diplomaten auch Gelder pro Interview und pro ausgestelltem Reisepapier. Viele RechtsanwältInnen sind sich darin einig, daß diese sogenannten Anhörungen rechtswidrig sind, nicht nur wegen des Eindrucks der Käuflichkeit, der sich aufdrängt, sondern auch, weil Datenschutzregeln mißachtet, Begleitpersonen als Beistand nicht zugelassen wurden und weil sich in einem Fünf-Minuten-Interview aller Erfahrung nach nicht nachweisen läßt, ob jemand Bürger eines bestimmten Staates ist. Seit kurzem entwickelt Hamburg eine weitere Methode, die, sofern sie sich durchsetzt, dazu führen könnte, daß Menschen ohne Papiere in Zukunft beliebig abgeschoben werden können: Die Innenbehörde stellt Reisepapiere für Flüchtlinge einfach selbst aus. Es wurden Fälle bekannt, in denen afrikanischen Flüchtlingen Reisepapiere für Benin, Burundi und Sudan ausgestellt wurden, obwohl die Herkunft der Flüchtlinge ungeklärt ist und die drei Staaten keine aktenkundige Zusage für die Aufnahme der Flüchtlinge gegeben haben. Der Pressesprecher der Innenbehörde gestand zu, daß es bei diesem Verfahren der Absprache mit den Grenzbehörden des Ziellandes bedürfe. Wenn sich bei der Einreise herausstellen sollte, daß der Flüchtling nicht aus dem Land stammt, müsse die Ausländerbehörde selbstverständlich die Kosten für den Rücktransport übernehmen. Aber auch für einen solchen Fall gibt es Methoden. Werden die Flüchtlinge zunächst in irgendein afrikanisches Land geflogen und von dort aus mit einer afrikanischen Fluggesellschaft in das Zielland gebracht, muß diese Gesellschaft für den eventuellen Rücktransport aufkommen und nicht die Ausländerbehörde. So war für den 10. Dezember eine Abschiebung aus Hamburg geplant, die einen Zwischenstopp in Dakar vorsah. Von dort aus sollte der Flüchtling mit Air Senegal weiter nach Benin gebracht werden. Ob er tatsächlich aus Benin stammt, ist unklar. Wo es ihn letztendlich hinverschlägt, ist der Behörde egal. Hauptsache, Hamburg wird ihn schnell und möglichst kostengünstig los. Kirsten Hofmann
Konspirative ÜberzeugungsarbeitZur Weigerung des Berliner Landgerichtes, den in der Haftanstalt Berlin-Plöt-zensee einsitzenden Egon Krenz nach Ablauf der Hälfte seiner Haft auf freien Fuß zu setzen, erlaubte ich mir in Ossietzky 24/03 die Frage, was eigentlich aus dem Beschluß des Geraer PDS-Par-teitages geworden ist, der die PDS-Frak-tion im Berliner Abgeordnetenhaus und die PDS-Senatoren aufgefordert hatte, sich für die unverzügliche Freilassung von Egon Krenz einzusetzen. Von der Berliner PDS-Führung kam erwartungsgemäß keine Antwort. Inzwischen erhielt ich aber Kenntnis von einem Schreiben des PDS-Frak- Die bemerkenswerte Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit, der SPD und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit, der befugt wäre, die Freilassung zu erwirken, hat, wie es scheint, auch noch andere Gründe. Sonst hätte Liebich nicht fast beiläufig gesagt, daß er es »nicht für legitim« halte, »wenn Politiker versuchen, in die Rechtsprechung einzugreifen, auch wenn es solche Versuche gab und sicher auch gibt«. Ja, solche Versuche gibt es. Man erinnere sich nur an die bekannte Aufforderung des früheren Bundesjustizministers Kinkel vor dem 15. Deutschen Richtertag in Köln (1991) an die Richter und Staatsanwälte, das »SED-System zu delegitimieren«, da es »unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland...« Aber auch in umgekehrter Richtung gibt es Einmischungsversuche. Als zum Zeitpunkt der Ablehnung des Krenz-Antrages die Polizei im Berliner Stadtbezirk Köpenick ein Vereinslokal stürmte, in dem das Gründungsjubiläum der rechtsextremen »Vandalen-Ariogermanischen Kampfgemeinschaft« gefeiert wurde, stellte sie fest, daß die Neonazis über die Razzia vorab informiert waren. Informant war ein Richter, der, nachdem er von der Polizei über die angesetzte Aktion unterrichtet worden war, aus reiner »Fürsorgepflicht« den Rechtsanwalt eines Angeklagten telefonisch auf die Auflage hingewiesen hatte, an derartigen Treffen nicht teilzunehmen. Der Anruf erfolgte am Vorabend des Vandalenfestes. Der Richter heißt Wolfgang Weißbrodt. Es ist der gleiche, der der Strafkammer vorsaß, die Egon Krenz die ihm zustehende Haftentlassung verweigerte. Ralph Hartmann
Walter Kaufmanns LektüreAus 458 eingereichten Reportagen entschied sich die Jury für die über einen Konkursverwalter, für eine eher kurzlebige über die Stoiber-Schröder-Debatte im Wahljahr 2002 und für die ausführliche Schilderung der Karriere eines Schweizer Panzerknackers – durchaus lesbar alle drei. Aber preiswürdig, Egon-Erwin-Kisch-Preis-würdig? Unter den 32 im Buch vorgestellten Arbeiten finden sich andere: die vom »Krieg der Mädchen« zum Beispiel, in der das kurze Leben einer jungen palästinensischen Attentäterin dem Leben einer fast gleichaltrigen Israelin gegenübergestellt wird, die durch den Selbstmordanschlag der Palästinenserin mit in den Tod gerissen wurde – ein jäher Einblick in nahöstliche Realität! Auch die von dem texanischen Städtchen Crawford, in dem Präsident George W. Bush eine Ranch kaufen wird – wonach die Einwohner sich und die Welt nicht mehr wiederfinden: eine inside Texas Story auf sieben Seiten. Dazu die zwei taz -Reportagen »Tango Argentino« von Erwin Koch und Kurt Oesterles »Nur von Stammheim spreche ich«. Letztere weckt Zweifel an der Legende von der Isolationshaft der Gefangenen im Hochsicherheitsgefängnis von Stuttgart-Stammheim. Dieser Horst Bubeck, einstiger Vollzugsdienstleiter, der zwischen 1974 und 1977 für die Abteilung zuständig war, in der die führenden Aktivisten der ersten RAF-Generation einsaßen, überzeugt. Warum sollte er, längst im Ruhestand, sich selbst und anderen mit der Behauptung etwas vormachen wollen, daß die damalige Landesregierung den Isolationsvorwürfen nicht entgegentrat, weil sie »keinen geringen Vorteil davon hatte, wenn die Mehrheit des Wahlvolks in dem Glauben blieb«, die Terroristen von Stammheim würden hart, aber gerecht behandelt. Dafür habe man in Kauf genommen, daß eine Minderheit sich wegen der vermeintlichen Isolationsfolter unaufhaltsam radikalisierte. »Ich wäre manchmal gern zu den Antifolterdemos gelaufen«, so Horst Bubeck, »um den jungen Leuten die Wahrheit zu erzählen.« Doch wer hätte ihm geglaubt? fragt er sich sogleich – und wie Kurt Oesterle die Begegnungen mit Bubeck über lange Strecken schildert, ist man geneigt, dessen Aussagen für mehr als nur bedenkenswert zu halten. Klug angelegt das Ganze und in seiner Nüchternheit das Gegenstück zu Erwin Kochs erschütterndem »Tango Argentino«, in dem das Schicksal der jungen argentinischen Jüdin Silvia Tolchinsky umrissen wird, Mutter zweier Kinder und Kämpferin im Untergrund gegen die argentinische Junta: Sie wird gefaßt, und erst nach zwei Jahren grausamster Folter gelingt ihr mit Hilfe eines Mannes, der zu der Schändertruppe gehörte, die Flucht. Eine meisterliche Arbeit über Schuld und Sühne, und zugleich auch die Geschichte einer unerhörten Liebe. »Ein Tango«, sagt sie. * Gesteigerte Erwartungen an einen Nobelpreisträger: literarisches Können, Breite des Spektrums, repräsentive Stimme seines Volkes... Ersteres steht außer Frage: J.M. Coetzee schreibt mit sprachlicher Genauigkeit, bewahrt Sparsamkeit im Ausdruck und den kompositorischen Überblick – »Schande« ist ein durchgefeilter Roman, der die Spannung hält, selbst wenn sich in einigen Passagen, wo die Liebesabenteuer Lord Byrons über Gebühr reflektiert werden, der Handlungsfaden verliert. Zugleich regt der Roman über weite Strecken zum Nachdenken über die Lage im Lande Südafrika an: Überfälle von Schwarzen auf entlegene Gehöfte weißer Farmer, Raubmorde, Vergewaltigungen, in den Städten ruchlose Plünderungen in den Wohnungen wohlhabender Weißer. Wie peripher aber (oder womöglich auch nicht) sind Leben und Schicksal der zentralen Romanfigur? David Lurie, ein zweimal geschiedener Literaturprofessor in mittleren Jahren, bedient sich über lange Zeit einer attraktiven Hure; als diese sich ihm entzieht, schliddert er in eine Affäre mit einer jungen Studentin, die ihm zum Verhängnis wird: Nach peinlichster Befragung durch eine Untersuchungskommission der Universität quittiert er den Dienst und zieht sich zu seiner Tochter aufs Land zurück. Und dort geschieht es: Der Überfall dreier Schwarzer kostet ihn um ein Haar das Leben, seine Tochter wird mehrfach vergewaltigt – schwarze Rache! Und als er, halbwegs genesen, nach Kapstadt zurückkehrt, findet er sein Haus ausgeplündert vor – schwarze Rache auch hier? Aus einem kleinen Fenster eine weite Sicht, könnte man meinen. Oder blieb die Sicht nicht doch zu eng? Man wüßte gern, ob dazu der Londoner Jury des Booker-Preises oder später dem Gremium des Stockholmer Nobelpreises Bedenken kamen. Wie auch immer, die Wahl fiel auf J.M. Coetzee. Wozu ihm zu gratulieren ist. W. K . J.M. Coetzee: »Schande«, Roman, aus dem Englischen von Reinhild
Böhnke, S.Fischer Verlag, 285 Seiten, Sonderausgabe 15 Euro; »Egon-Erwin-Kisch-Preis
2003 – Die besten deutschsprachigen Reportagen«, Aufbau Verlag, 318
Seiten, 20 € Bemühungen um MühsamErich Mühsam, der kluge Beobachter, der glänzende Schriftsteller, der Anarcho-Kommunist und durch nichts zu beirrende Kriegsgegner, war gelegentlicher Mitarbeiter der Weltbühne . Wie Carl von Ossietzky wurde er in der Nacht nach dem Reichstagsbrand festgenommen und zeitweilig am selben Ort gefangengehalten. Von seinem vielgestaltigen literarischen und publizistischen, auch zeichnerischen Werk gibt es noch keine Gesamtausgabe. Aber mit schönster Entdeckerfreude arbeitet die Erich-Mühsam-Gesellschaft daran, alles zusammenzutragen, was Mühsam geschaffen hat und was über ihn (oft gegen ihn) geschrieben worden ist. Vieles davon ist im mühsam-magazin dokumentiert. Als jüngstes ist Heft 10 erschienen (200 Seiten, 12.50 €). Außerdem liegen inzwischen 22 Hefte der Schriftenreihe der Erich-Mühsam-Gesellschaft vor (per Adresse: Buddenbrookhaus, Meng-straße 4, 23552 Lübeck). Eine gute Hinführung zu Mühsams Leben und Werk ist Marlies Fritzen mit der Ausstellung »Sich fügen heißt lügen« gelungen, die zuerst in Lübeck und kürzlich – zu kurz – in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung in Berlin zu sehen war. Begleitend zu der Ausstellung sind ebenfalls unter dem Titel »Sich fügen heißt lügen« zwei Bände im Steidl Verlag erschienen: »Ein Lesebuch« (271 Seiten) und »Leben und Werk in Texten und Bildern« (168 Seiten), im Schuber zusammen 45 €. Red.
Aus dem Exil zurückgeholtIn seinem Geleitwort schreibt Paul Spiegel: »Gibt es 60 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus immer noch vergessene Künstler?« Es gab sie – bis zum Erscheinen dieses Buches. Der Hamburger Publizist und Historiker Wilfried Weinke, der schon vieles zur Exilforschung beigetragen hat, setzt hier vier Hamburger jüdische Fotografen wieder ins Licht, die nach 1933 ihre Ateliers verkaufen, ihre Heimat verlassen mußten – verdrängt und vertrieben. Nun aber nicht (mehr) vergessen. Wenn man dieses Erinnerungswerk aufschlägt, ist man sofort fasziniert. Auf 304 Seiten in Großformat und auf Glanzpapier findet man eine Sammlung von Lichtbildkunst, wie man sie wohl noch nicht kannte. Porträts, Straßenbilder, kostbare Wohnungseinrichtungen, Familienfotos, Milieu-Ansichten, zudem geistreiche Collagen, Deckblätter von Zeitungen und Zeitschriften, Programme, Briefe und Dokumente – all das ergibt eine Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht nur in Hamburg. Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg konterfeiten, jeder auf seine Weise, eine hochinteressante Welt. Eines Tages waren sie nicht mehr da. Ihre Ateliers gehörten anderen, die Schaufenster zeigten anderes. In aller Welt mußte Weinke recherchieren, jahrelang, um das zusammenzutragen, was jetzt vor uns liegt: Erinnerungskultur höchsten Grades. Die Porträts zeigen große Gelehrte und kleine Artisten, wunderschöne Frauen in ihren modischen Verwandlungen, Schauspieler, Schriftsteller, Menschen beim Sport. Und unsere Kinder würden vielleicht die Kinder von damals bedauern, die so fein gekleidet einherkamen, manchmal nicht eben fröhlich, manchmal sehr lustig in die Kamera blickend. Spaß macht es zu erfahren, wie das alles in den Ateliers funktionierte, etwa mit der Beleuchtung, und wie die Dekorationen im Hintergrund allerlei Zauber ins Bild brachten. Man darf lachen, staunen, aber auch schaudern, wenn ein Synagogenraum mit vielen Menschen und Lichtern die Unterschrift trägt: »Abschiedsfeier am 21. Oktober 19 34. Ausheben der Thorarollen.« Die Älteren werden sich zwischen Freude und Wehmut erinnern. Die Jüngeren, die sich für die Kunst und Kultur unseres Landes interessieren, mögen dankbar sein für diese Art kritischer Geschichtsforschung (mit Biographien, Bibliographien und Herkunftsnachweisen aus privaten und amtlichen Quellen). Um mit einem Wort von Willy Brandt aus dem Jahr 1984 zu enden: »Das Exil war nicht nur der Verlust der Heimat: Die Gefahr bestand darin, aus der Wirklichkeit verbannt, in den Köpfen der Leute getilgt zu werden...« Es ist dem Autor, großzügigen Sponsoren und dem Kunstverlag zu danken, daß uns davon ein wenig wiedergegeben wird – und zudem noch nahezu geschenkt. Ingeborg Hecht Wilfried Weinke: »Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen – Die vier Fotografen Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan, Kurt Schallenberg«, Kunstverlag Weingarten, 304 Seiten mit 230 Abbildungen, 29 €; eine entsprechende Ausstellung ist vom 14. Januar bis zum 4. April 2004 im Altonaer Museum in Hamburg zu sehen.
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlAus einer AFP -Meldung: »Der turkmenische Staatschef feilt weiter am Kult um seine Person... Nach dem Präsidenten auf Lebenszeit wurden Straßen und Orte, ein Rasierwasser und sogar ein Meteorit benannt. Mit der Umbenennung von Monaten und Wochentagen setzte Njasow sich ein weiteres Denkmal. Die Häuser der Hauptstadt werden überragt von einer riesigen goldenen Statue Njasows, die drehbar ist und stets zur Sonne zeigt. Er regiert seit 17 Jahren.« Schlagzeilen über Teil 1 einer Serie des Berliner Kurier : »Erste Triumphe mit Reifen aus dem Müll. So fing alles an: Schumi schon als Kind ehrgeizig, aber grundehrlich.« Titel der Serie: »Schumi. Der Unsterbliche.« Frage eines Lesers: Wann wird der Unsterbliche endlich drehbar? * Sensationelle dpa -Meldung: »In Stehcafés sind jetzt Sitzplätze erlaubt. In Bäckereien, Metzgereien und anderen Stehcafés können die Kunden künftig bis zu zehn Sitzplätze auch dann anbieten, wenn sie keine Toiletten zur Verfügung stellen, teilte die Wirtschaftsverwaltung am Donnerstag mit.« Niemals habe ich als Kunde in Metzgereien oder anderen Stehcafés bis zu zehn Sitzplätze, also sagen wir mal: sieben, angeboten, auch wenn sie keine Toiletten zur Verfügung stellen. Nun belehrte mich eine Wirtschaftsverwaltung am Donnerstag über meine Möglichkeiten, die leider kein Mensch verstehen kann. Da biete ich mir doch lieber daheim ein paar Sitzplätze an, mache es mir bequem und trinke den Kaffee im Liegen aus der Kanne. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 25/2003 |
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