Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Alles auf Anfang (3)Anne Dessau
Dunstschwaden wabern wie Wrasen im Dampfbad durchs Foyer der »Busch«, Berlin-Schöneweide. Die Studenten qualmen maßlos. Die Treppen hinauf zu einer der Probebühnen. Professor Angelika Waller arbeitet mit Alexander und Margerita an »Romeo und Julia«. Er kommt aus Wuppertal, sie ist Deutschrussin und kam vor zehn Jahren aus Sibirien nach Deutschland. Beide haben Abitur, spielten in Theatergruppen. Alexander versuchte zehnmal an diversen Schauspielschulen vergeblich, die Aufnahmeprüfung zu bestehen, jetzt ist er hier im zweiten Studienjahr, probiert mit Margerita eine der schönsten Liebesszenen der Weltliteratur. Sie führen vor, was sie einstudiert haben. Die Waller attackiert unnachgiebig, liebevoll, was sie sieht: »Es geht um Vertrauen in des Dichters Wort – ihr werdet noch so viel fürchterliche Literatur sprechen müssen, nehmt doch diese köstlichen Worte an – ›Es lacht der Narben, wer nie fühlte Wunden', genießt das – Spannung, Rhythmus, Herzklopfen, atemlose Liebe – er sehnt sich nach ihr – ihr Herz schlägt hörbar – stellt das her: duduffduduff, duduffduduff – bis in ihre Ohren dringt das – Hochspannung mit Text – und vergeßt nicht den Krieg! Krieg zwischen den Familien, Krieg in der Welt heute – Liebe ist trotzdem!« Die Freundlichkeit der Waller, ihre Genauigkeit – sie sieht alles, weiß stets noch mehr über die Figuren, forscht ihre Seelen aus, benennt innere Vorgänge, äußere Abläufe. Und tut das mit Poesie. Daran kann sich die Phantasie der Akteure entzünden. Aber sie bleibt behutsam, versteht sich als Anregerin, nicht als Bestimmerin. »Du darfst alles, ich wähle nur aus.« Muß sie sich kritisch äußern, wird sie noch differenzierter, noch leiser, rückt ganz dicht an die Person/Figur. Im Umgang mit Shakespeares Sprache erweist sich ihre Musikalität. So schön habe ich Romeo und Julia kaum gesehen. Margarita ist sehr begabt, man sieht die Vielfalt ihrer Gedankenwelt, mühelos drückt sie ihre Empfindungen aus, sie ist locker, frei, diese Eigenschaften verschaffen ihr großen inneren und äußeren Spielraum, ungehemmt nimmt sie die Bühne in Anspruch, füllt sie mit ihrem Dasein und dem Julias. Es ist ein kleines Fest, ihr zuzuschauen. Sie hat hart daran zu arbeiten, ihren Akzent zu beseitigen. Privat ist er reizvoll, für die Bühne taugt er selten. Alexander geht klug mit seiner Figur um, er ist diszipliniert, unermüdlich auf der Probe, trotzdem sprudelt es nicht bei ihm, man ahnt, da ist etwas, aber er kann es nicht loslassen, dadurch wirkt sein Romeo wie ein Entwurf, nicht umgesetzt in Gelebtes, Nachvollziehbares. Dann, zwei Wochen später, die beiden agieren erstmals auf der großen Bühne, ich traue meinen Augen und Ohren nicht, fegt Alexander furios über die Szene, zeigt Feuer, Mut, ist geschüttelt vom Glück, schelmisch, männlich, und man versteht, warum diese wundervolle Julia sich eben diesen Romeo auserwählt hat. Sie toben über die Bühne, tanzen in inniger Versunkenheit, tauchen bäuchlings ab in Versenkungen, fliehen durch Vorhänge und Türen, erklimmen Gestänge, skandieren ihre Liebe in wechselvollen Positionen. Alexander ist dabei, sich loszulassen, hat Vertrauen gefaßt und traut sich. Was er auf diese, seine Weise zeigt, ist schön anzusehen. Romeo und Julia, Alexander und Margerita schaffen Momente von großer Intensität und Dichte. Auch die angstvolle Ahnung des bösen Endes ist stets gegenwärtig. Sie zittern, schreien, weinen beim Ruf der Lerche, die ihnen Trennung singt, daß es Gott und den Zuschauer erbarmen muß. Sie sind wahrhaftig, sind zeitlos Liebende in ewig unguten Zeiten. Alexanders Ausbruch an Julias (vermeintlichem) Leichnam macht schaudern. Die Verzweiflung Romeos, seine Wut, Trauer, Hilflosigkeit, das Wissen um die Vergeblichkeit seiner Leiden – in all dem zeigen die vielfältigen Möglichkeiten dieses jungen Schauspielers. Zwei Edelsteine, Rohlinge noch, behutsamer Feinschliff kann sie zum Leuchten bringen. Auf diesen Durchlauf folgt die Kritik. Eindringlich, beinahe beschwörend die Waller: Ton abnehmen, den Rhythmus, Musik und Tempo der Sprache aufnehmen, trocken die Brüche, alles muß sitzen und zu verstehen sein. Damit hat es seine liebe Not. Das Erarbeitete steckt noch im Privaten, findet, verbal, nicht immer den Weg von der Bühne in den Zuschauerraum. Worauf es aber ankommt. Bühnenwechsel. Grundlagenunterricht. Zu Gast bei Professor Margarete Schuler und neun Studenten des ersten Studienjahres. Heiße Typen. Selbstbewußte, blasse Mädchen, eins von ihnen ladylike, lustige Burschen, Turnschuhfreaks. Jede/r hat ein Musikinstrument dabei. Gitarre, Geige, Tröte und Flöte, Rassel, Trommel, Triangel, Tamburin, Knarre und eine mobile Klaviatur, die mit Atemluft betrieben wird. Die Aufgabe heißt: Gemeinsamkeit. Aufeinander hören, voneinander abnehmen. Ein Student wird für das Dirigat ausgewählt. Er muß seine Kommilitonen – nonverbal – zur Zusammenarbeit führen, verführen, muß die angebotenen Klänge bündeln, steigern, bändigen, eine Geschichte erzählen – und voller Körpereinsatz wird verlangt. Themen und Dirigenten wechseln. Vom allseits bekannten Lied steigern sich die Vorschläge bis hin zum Abstrakten: Das Erdmännchen im Wüstenwind. Oktoberfest. Liebesgeflüster. Die Steckdose im Abendland. Die letzte Vorgabe wird vom Dirigenten erläutert: Mittels Strom kann der Mensch getötet, aber auch belebt werden. Los geht's. Soli, Duos, Ensemblearbeit – alles wird aufgeboten. Das Orchester schwillt, flirrt, girrt, zirpt, donnert und dröhnt. Der Dirigent gebietet Leidenschaft, provoziert mit geballten Fäusten den Trommler, bringt die Geige mittels Handaufsherz zum Schluchzen. Mit magischen Gesten zwingt er die Flötistin, einer Schlange Tanz zu beschwören, dann bricht er, schweißgebadet, ab. Die Orchestermitglieder amüsieren sich. Jetzt dirigiert eine Studentin. Sie zeigt sich total blockiert, eintönig schlägt sie den Takt, motiviert den einzelnen Spieler nicht, steht da ohne Phantasie, sendet nichts und erhält das entsprechende Echo. Ein Student schickt eine Botschaft per Handy, ein anderer zieht die Schuhe aus. Dekonzentration. Professor Schuler analysiert Aufgabe und Ergebnis. Erläutert, wie wichtig klare Zeichensprache, d.h. Körpersprache ist, die wiederum nur gelingen kann, wenn die Abläufe in Kopf und Bauch stimmen. Die Studenten tauschen die Instrumente. Alles auf Anfang. Die beiden ersten Berichte Anne Dessaus über ihre Erkundungen in der nach Ernst Busch benannten Hochschule sind in Ossietzky 21 und 23/03 erschienen.
Erschienen in Ossietzky 25/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |