Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Linke Analphabeten rechts gewendetIngrid und Gerhard Zwerenz
Wenn das so war, gibt es heute in der Berliner Republik nur noch lauwarmes Feuilletongelaber zu philosophischen Fragen, ausgenommen ein abrupter Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (26.10.03), der sich in drei kurzen Sottisen zusammenfassen läßt: 1. »Als ›Das Prinzip Hoffnung‹ noch aus drei Suhrkamp-Bänden bestand, die jeder im Bücherregal stehen und die keiner ganz gelesen hatte, da war womöglich noch Hoffnung.« – 2. »Doch nach seinem Tod bekam der Hoffnungsphilosoph Ernst Bloch auf einmal so viele eifrige Jünger, die ihn gar nicht kannten, daß heute das Prinzip Hoffnung überall gilt: beim Entlassungskandidaten Huub Stevens wie auf dem Arbeitsmarkt und in der Touristikbranche.« – 3. »Heute heißt es voller Pathos: ›Die Hoffnung stirbt zuletzt‹ – was man wohl so verstehen muß, daß wir alle erst gestorben sein müssen, damit keiner bemerkt, daß es nichts zu hoffen gab. Wenn alle nur noch hoffen, dann bleibt halt nicht mehr viel zu hoffen.« Hier ist kurz und frech auf den Punkt gebracht, was von Blochs Philosophie aus intellektueller Lesefaulheit mißverstanden werden konnte. Bloch ist nicht ganz schuldlos am Ausverkauf seiner Botschaft, der Titel »Das Prinzip Hoffnung« verkürzt die Lehre um den notwendigen, leider in die Ästhetik verbannten Trotz , die drei Bände hätten firmieren sollen unter »Das Prinzip Trotz und Hoffnung« . Soweit allerdings schritten die tapfren Suhrkamp-Leser in der Lektüre nicht voran, wie Peter Körte in der FAS kreuzfidel eingesteht. Warum sich auch mit der Anstrengung des Gedankens herumplagen. Zu unseren in Ossietzky 19/03 veröffentlichten 12 Bloch-Thesen erreichten uns verwunderte, wo nicht verdutzte Anfragen. Bedenken wir ernsthaft, weshalb UdSSR und DDR verschwanden und die europäische Sozialdemokratie nur noch der blasse Schatten ihrer von Marx über Bebel bis Willy Brandt reichenden Vergangenheit ist, so lautet das Resultat: Die Kommunisten scheiterten an der versprochenen Klassenlosigkeit, die SPD-Genossen am deklarierten Sozialstaat. Konnte die Sowjetunion das Kapital nicht abschaffen, schafft das globalisierende Kapital die Arbeit ab, indem es sie teils exportiert, teils durch Automaten, Roboter oder Electronic ersetzt. Da aber nur Arbeiter Steuern zahlen, nicht jedoch Roboter, Automaten und Milliardäre, geht der Staat pleite. Die radikale Analyse führt zur Einsicht in die totale Niederlage der europäischen Linken. Die Sozialdemokratie als Hauptfeind der Kommunisten und Garant des Sozialstaates ist mit dem Verschwinden der Kommunisten überflüssig geworden und übernimmt die Funktion konservativer Volksparteien. Dies könnte die Stunde der Blochschen Philosophie sein. Ist der Mensch laut Nietzsche etwas, das überwunden werden muß, so befolgt die SPD diese Forderung, indem sie zunächst einmal den Genossen überwindet. Bloch widerspricht mit der These: Der Mensch ist etwas, das erst im Werden begriffen ist. Wir ergänzen: Auch der Genosse ist erst dann im Werden, wenn er Hoffnungslosigkeit und Ängste besiegt, seine fehlerbehaftete Vergangenheit überwunden, seine Möglichkeiten erkannt, d.h. seine Dogmen abgelegt hat. Wenn schon attac sagt: »Another world is possible«, können Sozialisten nicht die vorhandene Welt der Krisen und Kriege als legitime Unveränderbarkeit akzeptieren. Während es laut Adorno kein richtiges Leben im falschen gibt, signalisiert Bloch das scharfe Gegenteil: Es gibt ein richtiges Leben im falschen, man muß sich nur trauen. Und mit Lust. Tatsächlich ist Bloch in Person und Werk der Widerpart zum Versagen der deutschen Linken von 1914, 1918, 1933, 1945, 1956, 1968, 1989. Der innersozialistische Reformversuch Blochs und seiner Mitstreiter in der DDR scheiterte mit dem ungarischen Aufstand im Oktober 1956. Von da an wurden Harich-Gruppe und Bloch-Kreis kriminalisiert. Den Rest erledigte Mielke. Zerschlugen Partei und Staat die 56er Bewegung in der DDR, setzten die 68er im Westen auf Herbert Marcuses Neomarxismus statt auf die revolutionäre Pluralität Blochs, die sie intellektuell überforderte. Das Schicksal der 68er in Paris, der Bonner Republik und in Prag war durch die Niederlage der DDR-56er vorgezeichnet, wo sich Wolfgang Harich und Walter Janka während der Haft verfeindeten und bis in den Tod hinein Feinde blieben. Gustav Just wurde Sozialdemokrat, Heinz Zöger verschwand nach den Gefängnisjahren sofort in den Westen, suchte bei Zwerenz Zuflucht, heiratete dann Carola Stern und schwieg. Die Vertreibung Blochs vom Leipziger Lehrstuhl und der Sieg der Partei über die Reformer verhinderten die Fortexistenz und Tradition eines kritischen und selbstkritisch sich modernisierenden Marxismus innerhalb der DDR, so daß die so ahnungs- wie geschichtslose Bürgerbewegung 1989 innerhalb eines Jahres von der freiheitlichen Revolution zur antisozialistischen Konterrevolution denaturierte und vom westdeutschen Kapital aufgesogen wurde. Die horrende Niederlage von anderthalb Jahrhunderten revolutionärer Arbeiterbewegung führte zu amerikanischen Zuständen in einem Deutschland, dessen Revolutionen von 1848 bis 1989 schief gingen, denn: »In Deutschland kann keine Art der Knechtschaft gebrochen werden, ohne jede Art der Knechtschaft zu brechen.« (Karl Marx) So mußte die revolutionäre Moderne im 19. Jahrhundert von Napoleonischen und im 20. Jahrhundert von Stalinschen Truppen nach old Germany transportiert werden, wo die Sieger sich alsbald in Besiegte verwandelten, denn: »Wir haben die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen.« (Karl Marx) Weil das so ist, wurde Blochs revolutionäre Philosophie erst in der DDR verfolgt und verboten, danach in Westdeutschland totgefeiert und zum Steinbruch handlicher Zitate fürs herrschaftliche Feuilleton zugerichtet. So wird der Philosoph zum Hoffnungspfaffen verfälscht, den die tonangebenden Zeit-Ungeister beschwören, weil sie nichts so fürchten wie den Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unfreiheit. Wir werden demnächst die zweiten 12 Bloch-Thesen vorlegen, damit selbst blasierte Sonntagszeitungsschreiber erfahren dürfen, was sie weder wissen noch leben wollen, weil es ihnen an Phantasie und aufrechtem Gang mangelt. Zum Abschluß noch zwei schöne Klassikerzitate: 1. Marx: »Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen.« 2. Bloch: »Das Proletariat wird verringert, der Rest zu Fellachen eingeschüchtert ... bei totalem Sieg mit allen Konsequenzen, doch ohne Sozialismus steht die Welt, in einigen zwanzig Jahren, zum dritten Mal an gleicher Stelle.« Das scharfsinnige Wort von 1943 entfaltet erst sechzig Jahre später im globalen Neokolonianismus imperialer Kapitalzentralen seine volle Bedeutung. 1939 hatte Bloch in einem Vortrag über »Die Wurzeln des Nazismus noch gefragt«: »Wie gelingt es, ein Lump zu werden?« Es ist an der Zeit, die drei Bände seines Hauptwerks bis zum Ende durchzulesen, und ein paar andere Bücher noch dazu. Inzwischen hat der Faschismus sein Gesicht gewechselt, nicht seinen Charakter. Jedenfalls braucht sich kein Genosse, ob in Ost oder West, für seine antifaschistische Vergangenheit zu entschuldigen. Es sei denn, er hielte sie für einen Fehler. Der Untergang des zweiten deutschen Staates darf uns nicht vergessen lassen, wie hoffnungsfroh Brecht, Bloch, Kantorowicz, Eisler aus den USA in die DDR eingereist waren, nachdem ihnen McCarthy samt Konsorten das Exil nachdrücklich verleidet hatten. Im Wunschland DDR aber herrschte wie in der UdSSR jener Stalin, der mit der linken Faust die Wehrmacht aus Rußland hinausgeprügelt hatte und mit der rechten Faust die eigenen Genossen zu erschlagen beliebte. 2004 wird sich die Entstalinisierung, beginnend 1953/54, zum fünfzigsten Male jähren. 2006 wird das kurze Tauwetter in Ostdeutschland ein Halbjahrhundert zurückliegen. Dann herrschte wieder Repression. Von alldem haben die Bloch-Leser, über die in der FAS ironisch berichtet wurde, wenig Ahnung. Das hätte nicht so bleiben müssen, mit ein wenig Mühe und wacher Intelligenz hätten sich ganz andere Weltperspektiven eröffnen lassen. Indessen setzte die irrationale Gegenbewegung ein, vom alten Bloch-Freund Georg Lukács bereits 1954 unter dem Titel »Die Zerstörung der Vernunft« exakt definiert. Das Buch liest sich fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen als klarsichtige Prophetie heutiger Verhältnisse. Denn unsere linken jüdischen Meisterdenker kannten ihre Pappenheimer.
Erschienen in Ossietzky 25/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |