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Denn Schwabs gute Argumente waren so merkwürdig eingezwängt durch einen Beginn und einen Abspann, der so ähnlich häufig auftaucht, wenn es unter uns Linken um die Kinderfrage geht. Es müßten mehr Kinder geboren werden, wird dort als Zitat derer, die sich berufen fühlen würden, »die Nation zu retten«, an den Anfang gestellt. »Um Gottes willen,« habe ich mir da gedacht, »stimm' ja nicht in diesen Chor ein, hinterher bist Du noch einer von denen, die die Nation retten wollen!« Und am Ende zitiert Schwab – nach meinem Eindruck zustimmend – Erich Kästners bitteres Resümee aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts: »Wer nicht zur Welt kommt, wird nicht arbeitslos.« Was folgt denn nun daraus? Vielleicht liegt es an meinem eingeschränkten Bekanntenkreis. Aber wenn ich unter Linken rumfrage, wie wir uns zur demographischen Diskussion verhalten sollen, die uns aus jeder Zeit entgegenspringt, gibt es meist – von Linken mit oder ohne Kinder – die auch bei Schwab gedruckt vorliegende Ambivalenz. Manchmal wird gesagt, das Thema entziehe sich der Politik und gehöre ganz in den privaten Raum. Ich entgegne mit dem Argument, in meinen Jugendjahren dafür gekämpft zu haben, daß das Private politisch ist und das Politische privat, und daß ich daran weiterhin festhalte. Häufig ernte ich daraufhin Schweigen. Ende der Debatte? Wenn das Thema ganz unpolitisch wäre, stünde es nicht gleich vorn in Ossietzky. Also: Die Kinderfrage gehört in die Politik. Aber ist sie denn ein Thema für die Linke? Ja, sagt Schwab in den 28 Zeilen seines Hauptteils, nein, sagt Schwab in den 14 Zeilen der Einleitung und des Schlusses. Denn, so entnehme ich diesen Zeilen, das Thema sei von rechts besetzt und seit den 30er Jahren verbrannt. Womit er wiederum recht hat – und dabei könnten wir es eigentlich belassen: Wir halten der herrschenden Politik den Spiegel vor, zeigen also, wie sie die Trommel fürs Kinderkriegen rührt, aber die Kinder dann, wenn sie da sind, als ein lästiges Übel behandelt, wie sie den Eltern das Leben schwer macht, an der Bildung spart und der Jugend keine berufliche Perspektive bietet. Das ist agitatorisch gut – aber ist es auch gute Politik? Mir gegenüber im Betrieb sitzt Karin, dreifache Mutter, ihr Mann arbeitet am Theater und hat angesichts der Haushaltskürzungen der neuen niedersächsischen Landesregierung Angst vor der Arbeitslosigkeit. Notfalls käme die Familie mit ihrem Gehalt wohl durch. Notfalls. Sie hat auch Angst um die Zukunft ihrer Kinder. Wie soll ich ihr antworten? Mit Kästners »Wer nicht zur Welt kommt, wird nicht arbeitslos«? Dann läge ich auch bei ihr in der Schublade, wo Linke sich hierzulande stapeln: neunmalklug und wenig hilfreich. Wie stellen wir uns dieses Land in Zukunft denn vor? Soll die Geburtenrate weiter sinken oder da bleiben, wo sie ist? Gäbe es dann weniger Arbeitslose, wäre die Gefahr von Kriegen geringer, weil es weniger Soldaten fürs Militär gäbe? Weder das eine noch das andere. Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, imperialistisch pervertiert, heißt auch, daß zur Eroberung von Ländern früher Millionenheere nötig waren, heute aber eine High-Tech-Armee von 150 000 Schwerbewaffneten genügt. Fürs Militär brauchen die da oben weder Karins noch meine Kinder. Muß nur die Geburtenzahl sinken, damit automatisch auch die Arbeitslosenzahl sinkt? Arbeit gibt's im Kapitalismus dann, wenn sich Ausbeutung lohnt und Profit winkt. Wenn jedoch die Produktivität dank vieler kluger erwachsen gewordener Kinder weiter steigt und die Realeinkommen stagnieren, läßt sich, so habe ich bei Marx gelernt, der aufgehäufte Mehrwert schwer realisieren. Autos noch nie waren, und Dell auf Bergen neuer Computer, die so schnell sind, wie General Motors sitzt auf Bergen blitzender Autos, die so wohlfeil und gut sind, wie Computer noch nie waren. Für die Herstellerfirmen wird es immer schwieriger, sie loszuwerden, weil sie ihre Leute immer effektiver ausbeuten. So schnell kann die Geburtenrate gar nicht sinken, wie die Kombination von Kapitalismus und Produktivität die Arbeitslosenrate steigen läßt. Ein Problem der politischen Ökonomie erscheint oberflächlich als ein biologisches: zu viele Kinder eben. Und weil es zu viele sind, werden sie arbeitslos und fallen als Sozialhilfeempfänger der Gemeinschaft zur Last: überflüssige Esser. Aber wo sollten sie unter kapitalistischen Bedingungen denn hin? Wo stehen die Fabriken, in denen jetzt vier oder fünf Millionen Arbeitslose schuften könnten? Für zehnmal soviel Reifen, wie in den »Continental«-Werken früher von 20 000 Mann hergestellt wurden, arbeiten heute nur noch gut 2000. Der Kern ist: Das Kapital heute ist nicht einmal in der Lage, alle Arbeitskräfte ordentlich auszubeuten. Sie sind überzählig. Karl Marx und Friedrich Engels haben das als Twens schon geahnt, als sie im »Kommunistischen Manifest« der »herrschenden Klasse« vorwarfen, sie sei »unfähig, zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu werden.« Aber ich schweife vom Thema ab. Es geht um Kinder und die Linke. Eigentlich könnte es uns nach Hitler egal sein, ob in den deutschen Grenzen 80, 60 oder 20 Millionen Menschen leben. Nach zwei angezettelten Weltkriegen hat das Argument viel für sich. Aber die Geburtenrate sinkt ja nicht nur in Deutschland. Selbst in Frankreich kommen pro Frau weniger als zwei Kinder zur Welt. Und die UNO hat im Februar dieses Jahres in ihrem revidierten Bevölkerungsbericht nachberechnet, daß die Weltbevölkerung bis 2050 nicht, wie früher prognostiziert, auf knapp zehn Milliarden Menschen anwächst, sondern sich das Wachstum aufgrund der überall sinkenden Geburtenraten so abschwächt, daß in 50 Jahren auch in 75 Prozent aller sogenannten Entwicklungsländer die Bevölkerung zu schrumpfen beginnt. Ich fühle mich wohl unter vielen Menschen. Von mir aus könnte ich mich Mitte des Jahrhunderts innerlich gerne von zehn Milliarden statt von acht Milliarden verabschieden, wenn es allen gut ginge. Nun sagen manche meiner zäh weiter grün wählenden Bekannten, es täte der Natur gut, wenn weniger von uns auf ihr herumtrampeln würden. Aber auch dieses Argument überzeugt mich nicht ganz. Abgesehen davon, daß ich mich auf Demonstrationen oder Versammlungen, wo Kinder toben, wohler fühle als auf solchen, wo die Grauköpfe unter sich sind, glaube ich einfach nicht, daß das ein biologisches Problem ist. Gut, also sozialistisch organisiert, sind nach meiner Überzeugung weder acht noch zehn Milliarden Menschen eine ökologische Belastung. Schlecht, weil kapitalistisch organisiert, reichen vier Milliarden Menschen aus, die Erde zu Schande auszubeuten. Die marxistische Demographie – so etwas gab es in deutscher Sprache tatsächlich, als es die DDR noch gab – lehrt, daß die Gesellschaftsformationen (Sklavenhalter, Feudalismus, Kapitalismus) in ihrer aufsteigenden Phase an Bevölkerung wuchsen, in jeder Niedergangsphase dagegen die Bevölkerungszahl schrumpfte. Schwab hat ja völlig recht mit seinem Hinweis, daß die Klagen über den Bevölkerungsrückgang kurz nach dem ersten Weltkrieg angestimmt wurden. Das war die Zeit, als Lenin den Begriff vom Imperialismus als faulenden und sterbenden Kapitalismus prägte. Er hat bis heute recht: Eine Gesellschaft, die dauerhaft weniger als zwei Kinder pro Menschenpaar hervorbringt, stirbt. Dieses Sterben war im vergangenen Jahrhundert noch überlagert durch zwei Prozesse. In den vom Kapitalismus noch nicht »entwickelten« Teilen der Welt stieg die Bevölkerungszahl in den vergangenen Jahrzehnten steil an. Damit ist allmählich Schluß. Zweitens hat sich durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die Kraft der Arbeiterbewegung, die eine existenzsichernde Altersversorgung durchsetzen konnte, die durchschnittliche Lebenszeit so verlängert, daß die absolute Zahl der Menschen wuchs, obwohl der Nachschub immer spärlicher wurde. Aber die Mathematik setzt sich durch. Egal wie lange wir individuell leben – wenn es weniger als zwei neue Menschen pro Paar gibt, ist irgendwann Ende Gelände. Der Kapitalismus stirbt langsam, aber er stirbt – vor unseren Augen. Linke haben also gar keinen Grund, das Thema Demographie der für den Kapitalismus werbenden Zeit zu überlassen oder sich jedesmal erst zu entschuldigen und zu vergewissern, daß sie nicht ins nationale Fahrwasser geraten, bevor sie über »Kinder, Kinder« sprechen.
Der Autor, dessen Thesen hier zur Diskussion gestellt werden, hat eine »Marxistische Analyse zum Bevölkerungsschwund« geschrieben. Die Broschüre kann bei Einsendung von 10 Euro bei ihm bestellt werden (Manfred Sohn, Am Pfarrgarten 4a, 31234 Edemissen). Übrigens: Der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Hubert Markl, bezeichnete es in einem Interview der Frankfurter Rundschau als wünschenswert, die Weltbevölkerung von sechs auf zwei Milliarden Menschen zu reduzieren.
Erschienen in Ossietzky 25/2003 |
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