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Demokratie ist keine fixe US-Idee!

Kontroverse: Demokratie im Irak - aber wie?

von Sabah Alnasseri

Die Besatzungsmächte USA und Großbritannien haben ihren Verbündeten innerhalb der einstigen irakischen Exilopposition - dem konservativ-liberalen Block - entgegen früheren Versprechungen die Bildung einer Übergangsregierung verweigert. Nur so konnten sie sich nach dem Krieg selbst als Herren im Lande festsetzen und Iraks ökonomische und politische Angelegenheiten an sich reißen, was die UNO Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 sanktioniert hatte. Dies hat zu enormer Verstimmung sowohl innerhalb dieser Opposition als auch innerhalb der irakischen Bevölkerung geführt, was zum Teil eine antiamerikanische Haltung stärkte und eine aggressive Stimmung anheizte.

Die UNO hat mit der Verabschiedung der amerikanisch-britischen Resolution zur Aufhebung des Embargos gegen Irak nicht nur einen rechtswidrigen Krieg nachträglich legitimiert. Sie hat darüber hinaus auch zwei Entscheidungen getroffen, die es seit ihrer Gründung in dieser Form nicht gab und die seit der Delegitimierung kolonialistischer Politik durch die Befreiungsbewegungen historisch überholt schienen: Die Aufwertung und Anerkennung des Besatzungsstatus der Kriegsmächte und die Übertragung der politischen und ökonomischen Angelegenheiten eines Landes auf die Besatzungsmächte. Die negativen politischen und psychologischen Auswirkungen dieser Resolution auf die irakische Bevölkerung waren verprogrammiert. Selbstverständlich empfinden die Bewohner Iraks das Ende des Regimes als Erleichterung, aber sie hegen auch keine Begeisterung für ihre neue Situation. Inzwischen droht die Stimmung zu kippen, nicht zuletzt deshalb, weil die Parteien untereinander zerstritten sind und ihre kurzfristigen Partikularinteressen verfolgen. Alle diese Gruppen versuchen "die Schiiten" für sich zu gewinnen, erreichen damit aber nur eine Zersplitterung der Bevölkerung, begleitet von antiamerikanische Stimmung.

Es muß dennoch als Erfolg gewertet werden, was Teile der etablierten (von den Besatzungsmächten anerkannten) irakischen Opposition, die von den Besatzungsmächten ausgegrenzten Antikriegskräfte und die neu entstehenden politischen Kräfte (Koalition für die Rechte der irakischen Frau, Vereinigung der Arbeitslosen, Studentenvereinigungen etc.) in kürzerer Zeit zustande gebracht haben: Sie zwangen die Besatzungsmächte, von der ursprünglichen Idee eines zivilen Verwaltungsrates ohne politische Befugnisse abzulassen und statt dessen einen provisorischen Regierungsrat zu bilden. Dieser umfaßt immerhin drei weibliche Mitglieder, nachdem die Beteiligung von Frauen bis dahin systematisch verdrängt worden war.

Man darf diesen Erfolg jedoch nicht überbewerten, da er nicht zuletzt der Ratlosigkeit des Zivilverwalters Paul Bremer und der verfehlten Politik der USA in Nachkriegsirak geschuldet ist. Zudem bleibt dieser Rat in vielerlei Hinsicht gehandikapt. Zunächst einmal hat er mehr konsultative und beratende Funktionen als tatsächliche politische Entscheidungsgewalt. Diese liegt nach wie vor in den Händen des Zivilverwalters Bremer. Und zweitens ist die Konstellation weniger politisch als ethnisch-religiös bestimmt, was auf die irakische Bevölkerung und auf den wie auch immer entstehenden Staat spalterisch wirken muß: Die ethnisch-religiösen Unterschiede werden dadurch politisch zementiert und konfliktbeladen.

Die Schiiten, als nominelle Mehrheit, sind durch 13 Mitglieder vertreten. Doch "der Schiit" ist keine politische Kategorie, viele Schiiten sind säkular eingestellt. Ein islamischer Gottesstaat iranischer Prägung ist in Irak daher auszuschließen. Zum einen bilden die Schiiten in Irak nicht eine derart erdrückende Mehrheit wie in Iran, zum anderen stehen viele Schiiten politisch nicht hinter den schiitischen Führern. Letztere selbst bekämpfen einander und sind politisch uneins.

Wenn es den Besatzungsmächten in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht gelingt, eine einigermaßen funktionierende Zivilverwaltung zu errichten und die ökonomischen, politischen und Sicherheitsverhältnisse zu verbessern, wenn den Menschen nicht ermöglicht wird, ihre eigenen politischen und ökonomischen Interessen zu artikulieren, wird es zu einer Teilung Iraks in verschiedene Herrschaftszonen kommen. Wenn jedoch die Iraker ihre eigenen Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Verbände gründen und die alten, durch das Saddam-Regime zerstörten und staatlich vereinnahmten zivilgesellschaftlichen Strukturen reaktivieren, könnte auf dieser Basis in den nächsten Jahren ein neuer Staat entstehen.

Demokratisierung ist hier jedoch nicht im Sinne der Bush-Regierung zu verstehen, sondern artikuliert sich im diametralen Gegensatz dazu. Das Problem der US-Regierung ist, daß sie von vornherein festgelegt hat, was unter Demokratie zu verstehen sei und wie ein künftiger Staat Irak auszusehen habe. Diese fixen Vorstellungen sind das Problem. Denn so bald man diverse politische Gruppen und deren Interessen und Vorstellungen ausschließt, fördert man die Herrschaft kleinerer Cliquen und Eliten, die ohnehin schon seit 20 Jahren herrschen. Und das wird die Mehrheit der Bevölkerung auf die Barrikaden bringen.


Sabah Alnasseri ist Autor des demnächst erscheinenden Buches "Periphere Regulation, Regulationstheoretische Konzepte zur Analyse von Entwicklungsstrategien im arabischen Raum" (Münster 2003).
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift iz3w - informationszentrum dritte welt, Nr. 273.

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sopos 12/2003