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Sie hatten sich mit dem »konterrevolutionären Putsch in Ungarn« solidarisiert, mit den »ungarischen Intellektuellen, die sich vor allem im Petöfi-Klub ein konterrevolutionäres Zentrum geschaffen«, die »uneingeschränkte Kritik in Presse und Rundfunk« und »den Abzug der Sowjet truppen« gefordert hatten. »Das ungarische Beispiel beweist die unerhörte Gefährlichkeit dessen, was die Angeklagten unternommen haben, erklärte der Generalstaatsanwalt. Aus der Verhandlung ergab sich ferner, dass Janka den von ihm geleiteten Aufbau-Verlag den Mitgliedern der staatsfeindlichen Gruppe als organisatorisches Zentrum zur Verfügung stellte.« Der Aufbau-Verlag, von Johannes R. Becher initiiert, im Auftrag des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet, hatte schon in den ersten fünf Jahren seines Bestehens 236 Erstausgaben in 6,5 Millionen Exemplaren herausgebracht. Besonders großen Erfolg hatte er mit seinem ungarischen Autor Georg Lukacs, von dessen Büchern in den Jahren 1945 bis 1954 nicht weniger als 296 000 Stück verkauft wurden. Lukacs, zeitweilig Mitglied der ungarischen Regierung, strebte eine »Renaissance des Marxismus« an, die auch Walter Janka und Wolfgang Harich mit ihrem Verlagsprogramm unterstützen wollten. Harich, den das Oberste Gericht der DDR 1957 wegen Bildung einer »konterrevolutionären staatsfeindlichen Gruppe« zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte, von denen er sieben in Bautzen und Berlin verbüßte, bevor er 1964 nach einer Amnestie entlassen wurde, berichtete 1993 in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität, wie weit der Konflikt zurückreichte: »Ich habe mein erstes Parteiverfahren, schweren Herzens, deswegen bekommen, weil ich mich hier an der Universität für eine gerechte Würdigung Hegels gegen Stalin mit allen Mitteln des Einflusses von Georg Lukacs eingesetzt habe.« Im September 1951 hatte er mit Vorlesungen über Hegel an der Humboldt-Universität begonnen. »Was ich da über griechische und hellenistisch-römische Philosophie vortrug, paßte bereits nicht in das simple Schema, das, mit autoritativem Nachdruck, von dem Chefideologen Stalins während der Nachkriegsjahre, von Andrej Schdanow, für die marxistische Darstellung des Kampfes zwischen Materialismus und Idealismus vorgeschrieben worden war.« Ernsthafter wurden Harichs Probleme mit der Staatsmacht, als er auf der Grundlage des Buches von Lukacs »Der junge Hegel« (Aufbau) seinen Vorlesungsgegenstand auf die klassische deutsche Philosophie ausdehnte. Dabei verstieß er gegen die seinerzeit von Stalin vorgegebene offizielle Hegelinterpretation und erhielt vor Studenten und Dozenten eine strenge Rüge. In der Korrespondenz mit Lukacs sprach Harich mit Blick auf seine DDR-Kollegen immer von »unseren Sektierern« und kam zu der Einschätzung: »Beachten Sie bitte..., dass bei uns in der DDR auf dem Gebiet der Philosophie außer dem dunkel aphoristischen Bloch fast nur noch märkischer Sand existiert, der entweder von sektiererischen Genossen à la Schrickel oder von halbwegs loyal gestimmten bürgerlichen Professoren minderer Güte produziert wird.« In der Deutschen Zeitschrift für Philosophie erschien 1954 der Artikel »Die marxistische dialektische Methode und ihr Gegensatz zur idealistischen Dialektik Hegels« von dem Leipziger Ordinarius für Philosophie Rugard Otto Gropp, der fortan kräftig gegen Lukács polemisierte. Während für Lukács und Harich Hegel eine wichtige Grundlage des marxistischen Denkens bildete, folgte Gropp in seinem Artikel Stalins Interpretation: Das Alte, zu Überwindende (Hegel) sei falsch, das Neue, sich Entwickelnde (Marx) sei dagegen richtig. Die deutsche idealistische Philosophie vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts sei ein Ausdruck der aristokratischen Reaktion gegen die französische bürgerliche Revolution von 1789-1794 und gegen den französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts gewesen. Lukacs, der den Übergang von Hegel zu Marx als etwas Vermittelndes begreife, vermische den Idealismus Hegels mit dem Materialismus von Marx und sei deshalb ein Feind des Sozialismus. Hegel war für die angestrebte Renaissance des Marxismus, wie sie Lukacs forderte, ein besonders wichtiger Denker gegen mechanische Vereinfachung des marxschen Denkens. »Das Ganze ist das Wahre. Das Wahre ist das Werden«, heißt es bei Hegel. Damit lieferte er eine Grundlage für den Totalitätsbegriff von Lukacs, nach dem die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht eindimensional, sondern als Prozeß von Prozessen begriffen werden muß, will man denn als Subjekt bewußt die menschliche Geschichte gestalten. Gropp dagegen, wie der damaligen Staatsführung der DDR, ging es um die Verteidigung Stalins, der im Vorjahr gestorben war. Der Verhaftung von Harich und Janka ging also ein längerer ideologischer Streit voraus. Streitpunkt war der Umgang mit der bürgerlichen Tradition: Sollte sie im Sozialismus gepflegt oder als arbeiterfeindlich verbannt werden? Während Lukacs für die Erhaltung frühbürgerlicher Werte mit den Mitteln des Intellektuellen warb, setzte sich die dogmatische Position in allen Ländern des Ostblocks mit den Mitteln staatlicher Unterdrückung durch. Der geistige Niedergang des Sozialismus in der DDR begann daher bereits in den fünfziger Jahren, und noch die 1979 erschienene »Geschichte der marxistisch-leninistischen Philosophie in der DDR« hielt an dem Urteil fest: »Der Revisionismus versuchte die Situation, in der bestimmte Fehler Stalins überwunden wurden, zum Kampf gegen die marxistisch-leninistische Theorie überhaupt auszunutzen. Dabei knüpfte besonders die Gruppe um Harich an die von Lukacs und Bloch entwickelten Konzeptionen einer hegelianisierenden Verfälschung des Marxismus an, die den grundlegenden Gegensatz zwischen der idealistischen Dialektik und der materialistischen Dialektik leugnete und auf die Liquidierung des materialistischen Monismus der marxistisch-leninistischen Philosophie hinauslief.« Am 17.5.1955 hatte Lukacz den Aufbau-Verlag besucht. Ein Protokoll dieses Besuches beschreibt, wie sehr sich Lukacs über die Herausgabe der Lessing- und der Herder-Ausgabe, aber besonders über die Hegelsche Ästhetik gefreut hatte, mit der sich den jungen Intellektuellen, Journalisten, Redakteuren eine Möglichkeit biete, sich in der Geschichte des deutschen Denkens zu orientieren: »Wir müssen anknüpfen an jede Tradition und auch solche bürgerlichen Werke verbreiten, die einen fortschrittlichen Gehalt haben und in die wirklichen Probleme eindringen.« Die Ästhetik passe sehr gut zu einem Verlagsprofil, das sowohl eine akademische und gleichzeitig eine breite Schicht von Menschen durch die »Pflege des Denkens« verbinden möchte. Lukacz rühmte, daß der Verlag neben »den besten Vertretern der heutigen deutschen Literatur« das literarische Erbe pflege. »Es darf nicht der Eindruck entstehen,« sagte Lukacs, »als ob man bürgerliche Menschen bzw. Auffassungen als Gerüst ansähe, das abgetragen wird, wenn das Haus des Sozialismus einmal gebaut wird. Die bürgerlichen Menschen haben oft den Eindruck, daß wir sie als Mittel benutzen, solange wir sie brauchen, um sie dann wegzuwerfen.« Wir müssen ihnen »zeigen, daß wir die großen bürgerlichen Traditionen doch als einen ewigen Wert betrachten, der nicht abgebaut wird, wenn der Sozialismus steht.« Das Individuum war für Lukács Teil des Ganzen, ohne dessen Bewußtsein das Ganze zum Scheitern verurteilt ist. Seine Gegner verspotteten diese Sicht als bürgerlichen Individualismus – dabei lebt von dieser Dialektik der menschliche Fortschritt. Lukacz forderte den Aufbau-Verlag auch auf, »durch seine Publikationen sichtbar zu machen, welch eine brennend interessante Persönlichkeit Marx ist...« Die Beschäftigung mit Marx dürfe »nicht in stocksteifen Abhandlungen zur Quälerei der Leser entarten. In diesem Sinne forderte Lukacs eine »Literaturhistorik..., die Diskussionen provoziert.« Ein Jahr nach diesem Gespräch wurden Janka und Harich verhaftet. 1957 übernahm Klaus Gysi die Leitung des Aufbau-Verlages, der sich emsig gegen Lukacs profilierte und 1960 eine Sammlung von ungarischen und deutschen Autoren veröffentlichte, die alle gegen Lukacs polemisierten. Erst im Sommer 1989, also nach 33 Jahren Lukacs-Abstinenz im Aufbau-Verlag, besannen sich Jürgen Jahn und Christine Malende im Verlag an dessen Tradition. Es erschienen zwei Lukacs-Bücher, die beide nach der Privatisierung des Verlages in den Regalen der Antiquariate verschwanden. Heute ist die Tradition des Aufbau-Verlages sicher nicht vergessen, aber ein Profil, so wie es Lukács einst skizzierte, ist zum Teil profanen Marktreaktionen gewichen. Lukács wäre heute sicher sprachlos, wenn er die Plattheiten eines »Äffe« (Effenberger) in der Aufbau-Verlagsgruppe finden würde, die schwerlich als Beitrag zur »Pflege des Denkens« verstanden werden können. Herausgeber der Reihe »Politisches Sachbuch« im Aufbau-Verlag ist seit neuestem Michel Friedman, der in Sabine Christiansens wöchentlicher Wegweisung für die Nation mehr Patriotismus, mehr Verantwortung fürs Vaterland von den Deutschen forderte. Er wird dazu beitragen, die humanistische, kritische Tradition des Verlages abzuwickeln. Lukács ließ, nachdem ihn der Aufbau-Verlag 1956 aus seinem Programm gestrichen hatte, seine Schriften in Westdeutschland erscheinen, beim Luchterhand-Verlag, der unter Federführung von Frank Benseler 15 Bände einer Gesamtausgabe herausbrachte. Doch seit 1986, Luchterhand ist mittlerweile Teil des Bertelsmann-Konzerns geworden, ist auch hier Lukács nicht mehr lieferbar. Er paßt nicht in das Marktgetümmel, wo jeder Text als unverkäuflich gilt, wenn er vom Leser Konzentration und den Willen nach Erkenntnis verlangt. Am 16. Dezember um 18 Uhr hält Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz im Leipziger Haus des Buches einen Vortrag zum Thema »Aufbau-Verlag: Die Erfolgsstory eines ostdeutschen Verlages.«
Erschienen in Ossietzky 24/2003 |
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