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Mein neben mir hockender PEN-Bruder Otto Köhler beschimpfte den 11. September, allerdings den von 1973, als Pinochet putschte und Chile US-amerikanisiert wurde, verteidigte die plural gesinnten Bewohner der Vereinigten Staaten gegen die imperiale USA und zugleich seine eigene Jugendzeit, als eine offenbar anders gepolte US-Army den Reichsdeutschen Pazifizierung und Entmilitarisierung zumutete. Danach gestand ich meine Sympathien für das Sachbuch aus Wien, soweit es Orwells Warnung vor dem Großen Bruder auf die großen Bush-Brüder übertrug. Na ja, unsereins sah schon so viele aufgeblasene Riesen zu Zwergen schrumpfen, da wird der milliardengestützte Bush junior zur Micky Maus, und die aufeinanderfolgenden Imperien gehen dir glatt am Arsch vorbei. Auf der Rückfahrt von Berlin in den Taunus wurde bei braver Zeitungslektüre klar, daß drei Dinge die Berliner Republik zusammenhalten: die strittige Vergangenheit, Geschichte genannt, eine sichere Rente und die unabsehbare Schar der Fernsehgötter. Wird aber die Rente unsicher, dann ist die Geschichte zu Gunsten Deutschlands bereinigt, und das Fernsehen bietet ein römisches Kolosseum an, wo Bestien sich gegenseitig zerfleischen, Helden einander besiegen und das Publikum den Gürtel enger schnallend freudig applaudiert, denn es geht gegen die alten Reichsfeinde. Damit sind wir beim alldeutschen Ritter Martin Hohmann angelangt, den Angela Merkel nach einigem Gewürge ausspie wie Melvilles Moby Dick seine verschluckte ungenießbare Menschenbeute. Zwar reagiert der CDU-Traditionsver-ein sauer, doch seine werten Spitzköpfe kapieren, was gespielt wird, sogar der tiefschwarze Bruder Henryk M. Broder ließ sich mitten im Spiegel etwas Vernünftiges zur Volkskrankheit Hohmannitis einfallen. Anders Otto Schily, der Sonntagabend bei Miss Christiansen Hof hielt und sich schüttelte, weil Norman G. Finkelstein (»Die Holocaust-Industrie«) es wagte, die linke Vergangenheit des Innenministers zur Sprache zu bringen, was OS als Angriff interpretierte und abzuwehren suchte mit der unsterblichen Erwiderung, er sei auch heute noch ein Linker, verachte allerdings Lenin, Stalin und Trotzki. Das muß einem einfallen: Selten gelingt es einem reflektionsfähigen Mann so perfekt, den Mörder Stalin und sein Opfer Trotzki ins Gefängnis eines einzigen Satzes zu sperren. Früher, sagte der unangepaßte, störrische Finkelstein, seien die Linken stolz gewesen auf die Rolle revolutionärer Juden in der Oktoberrevolution. Ein verschwendeter Einwurf für den Senior Schily, bei dem ich mir immer ausmale, wie er als heute Siebzigjähriger sich selbst als Dreißigjährigem begegnete: sich nämlich auf der Stelle verhaften würde. Gewandelt hat sich auch Stoiber: wollte gestern noch das Sudentenländle zurückholen und gemeinsam mit Merkel die Bundeswehr in den Irak führen, überholt heute den Kanzler Schröder links, das fällt jedoch nicht schwer. Am Abend des 9. November war Hessens Koch bei seiner Rede das jüdische Publikum protestierend weggelaufen, in Panik geraten rief er die große Vorsitzende Merkel an. Sie begriff, Kamerad Hohmann mußte gefeuert werden, zumal der alerte Stoiber das auch schon forderte, desgleichen die Bild- Zeitung. Seither murrt nur noch das fundamentale Fußvolk, Hohmann sage doch zu Recht, die bösen roten Juden haben die Revolution gemacht. Vielleicht sollten Merkel und Koch ihren Christen mal verraten, daß Kaiser Wilhelms Massenmord-Oberbefehlshaber Hindenburg&Ludendorff den Bolschewiken Lenin großzügig finanziert nach Rußland reisen ließen, damit er die Revolution vorantreibe – lauter Juden? Bei Christiansen saß noch Rafael Seligmann, zu Hohmanns Sermon anmerkend, der sei nicht nur antisemitisch, sondern minderheiten- und menschenfeindlich. In Bayern also hat es geblitzt, in Berlin gedonnert, und schon stehen die Christkonservativen im Regen, während die Sozialkonservativen längst abgesoffen sind. Allein der kahle Kriegsminister befindet sich auf der Höhe der Zeit und befiehlt: Husch-husch zum Hindukusch! Vielleicht werden wir auf diese Weise die Bundeswehr bald gänzlich los sein? Nochmal zu Bild . Dort positionierte man sich so radikal gegen den unheiligen Martin, daß es selbst der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu aufklärerisch wurde. Kein Wunder, hatte doch Joachim Fest zur Verteidigung des Professors Ernst Nolte schon lange vor Hohmann im Sinne Hitlers böse revolutionäre Juden abgezählt: »Und daß unter denen, die der schon bald in Chaos und Schrecken auslaufenden Münchner Räterepublik vorgestanden hatten, nicht wenige Juden gewesen waren, verschaffte überdies seinen antisemitischen Obsessionen eine scheinbare und jedenfalls agitatorisch nutzbare Bestätigung. Er ebenso wie die verängstigten Massen mochten glauben, daß eine Rettung, wenn überhaupt, nur durch den Entschluß möglich sei, in der Gegenwehr genauso zu verfahren, wenn auch ›zehnmal‹ terroristischer. Es kann nicht unzulässig sein, diese Überlegung vorzutragen und einen Zusammenhang herzustellen zwischen den Greuelmeldungen von Osten und Hitlers Bereitschaft zum Exzeß. Wenn das aber so ist, fragt man sich doch nach den wirklichen Gründen für die Ungehaltenheit, die Noltes Bemerkung ausgelöst hat, die Ereignisse in Rußland seien ›das logische und faktische Prius‹ zu Auschwitz und zwischen beidem sei ein ›kausaler Nexus wahrscheinlich‹.« ( FAZ 29. 8. 1986) Wir verstehen die Ungehaltenheit der FAZ wegen des Kausalnexus zwischen Fest und Hohmann, zudem entschwand ein heftig sympathisierender General im Zivilleben, weg vom Fenster wie seine Vorgänger in Stalingrad, und an alldem sind die Juden schuld, weil »deren logisches und faktisches Prius« die bolschewikische Oktoberrevolution war, wie die Brüder, Söhne und Enkel Hitlers, den seine Fans gern Wolf nannten, schwören. Um die Folgen der jüdisch-bolschewistischen Machenschaften ging es auch am 16. November in Erlangen bei der Wiederaufführung des U-Boot-Stückes »Die Wölfe« von des Führers Geburtstagsdichter Hans Rehberg. Die Erstaufführung fand 1944 in Breslau statt, das danach unterging wie die deutschen U-Boote. Neben ein paar Grünen und der »Initiative gegen Nazi-Propaganda auf der Bühne« war auch der CSU-Oberbürgermeister gegen das dumpf-deutsche Trauerspiel, während Sozis und Feuilletonpromis lieber dafür votierten, weshalb Franz Schönhuber sie zu ihrer »Zivilcourage« beglückwünschte. Ist also rosa heute braun näher als schwarz? Da fehlt nur noch der Glückwunsch des Horst Mahler als Vertreter einer Generation, die sich aus Nazifamilien kommend in der Bonner Republik linksrevolutionär aufführte und inzwischen zurückkriecht ins deutschnationale Nest angestammter Volksbefreier. Mir scheint, dieser vertrottelt-bourgeoisen Berliner Republik fehlt das Gegengewicht einer DDR – nicht wie sie von Moskau her mit Ulbricht und Honecker zusammengeschustert und bankrott gemacht wurde, sondern wie sie antifaschistisch und widerständig hätte werden können im Sinne der Juden und Nichtjuden Liebknecht, Luxemburg, Brecht, Bloch, Becher ... Na schön. Nicht alle Blütenträume reifen. Doch etwas davon wäre wohl nötig, damit nicht die Judennasenzähler samt anderen auftauchenden U-Booten den Kurs bestimmen. In Erlangen verlangten die Freunde der Wölfe »Freiheit fürs Theater«. Wie wär's mit einer Freiheit der Köpfe vom FAZ- Schrott der Nolte und Fest samt Rehberg und Hohmann? Zu Beginn dieser Notizen war die Rede von der schönen Neuerscheinung »Ami go home«. Am Ende soll die dicke Biographie »Abgrund des Widerspruchs« über Johannes R. Becher stehen, deren 861 Seiten die Ostdeutschen finanziell und die Westdeutschen intellektuell überforderten, weshalb der Autor Jens-Fietje Dwars jetzt eine auf 254 Seiten fragmentierte Ausgabe riskierte (Aufbau-Taschenbuch, 10 €). Die Kurzfassung ist immer noch klüger als Dutzende von Dissertationen. Um es gleich vorwegzunehmen: Becher war kein Jude, doch Dichter und Kommunist, was für unsere Konservativen von Fest bis Hohmann und Baring entsetzlich genug ist, denn, so Joachim Fest 1986 in der FAZ : »Ist nicht, bei allen Unterschieden, das Vergleichbare doch stärker?«
Erschienen in Ossietzky 24/2003 |
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