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Wir wollen, daß Kriegsdienstverweigerung als Grundrecht wirklich Ernst genommen wird. Ein Grundrecht verträgt keine staatliche Prüfung und eventuelle Genehmigung auf Antrag. Gewissen kann man höchstens durch Martyrium beweisen. Allenfalls dürfte in einer Art Strafverfahren bewiesener Mißbrauch der Gewissensfreiheit zur Einschränkung dieses Rechtes führen. Davon kann bisher keine Rede sein. Die Verweigerer, die nach Ablehnung ihrer Anträge sagten: »Ich bin zur Bundeswehr verurteilt worden«, hatten genau das richtige Gespür. Die Ablehnung eines Kriegsdienstverweigerungsantrages hat die Wirkung eines Strafurteils, das Grundrechte aussetzt. Sie erfolgt aber nicht nach dem Strafverfahrensrecht mit dem Prinzip »Im Zweifel für...«, sondern nach dem Recht des Verwaltungsverfahrens, in dem man seine Ansprüche selbst beweisen muß. Da wird also »im Zweifel gegen...« entschieden. Das ist zutiefst grundrechtsfeindlich. Der Grund für diese Mißachtung des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung ist die Wehrpflicht. Sie setzt für Wehrpflichtige fast alle Grundrechte außer Kraft, zu allererst das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, weil man gezwungen werden kann, auf Befehl zu töten oder zu verletzen und sich selbst der Gefahr des Getötet- oder Verkrüppeltwerdens auszusetzen. Es gibt auch keine Freizügigkeit mehr, wenn Männer zwangsweise kaserniert werden können und selbst als Zivilisten für längere Auslandsreisen besondere Genehmigungen brauchen. Radikal eingeschränkt sind Meinungsfreiheit und Koalitionsrecht, weil Soldaten und Zivildienstleistende sich bei gemeinsamen Beschwerden strafbar machen. Und es gibt keine Gewissensfreiheit, Kriegsdienstverweigerung ist kein Grund recht, wenn die Anerkennung von Antragstellung, staatlicher Prüfung und dabei vom Bedarf der Bundeswehr, der allgemeinen Stimmung und/oder dem Ermessen und damit den Vorurteilen der Prüfenden abhängt. Es gibt auch keine Gewissensfreiheit und kein Kriegsdienstverweigerungsgrundrecht, wenn nur generelle Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird, nicht aber das Nein zu unrechtmäßigen Kriegen wie etwa Hitlers verbrecherischem Krieg. Eigentlich ist im Grundgesetz geregelt, daß die Grundrechte nicht aufgehoben werden können – als Lehre aus 1933. Aber durch die Wehrpflicht sind sie für viele eben doch aufgehoben. Trotz alledem hat das Bundesverfassungsgericht die Wehrpflicht bejaht und gegen die historischen Fakten sogar zu einer demokratischen Errungenschaft erklärt. Was hat diese Mißachtung des Grundgesetzes und die Verklärung der Wehrpflicht ermöglicht? Meines Erachtens hauptsächlich das Interesse an deutschen Soldaten im Kalten Krieg und im Zusammenhang damit die Entschuldung der Wehrmacht des 3. Reiches. Ihre Kriegsverbrechen auf Befehl Hitlers, aber natürlich auch in der Verantwortung der jeweiligen Kommandeure und Ausführenden wurden lange Zeit geleugnet. Alles Böse wurde auf Hitler, die politische Führung, die SS und andere Nazis geschoben. Im Kalten Krieg gab man dem Drängen der alten Wehrmachtssoldaten auf Anerkennung ihrer Pflichterfüllung ohne Verschulden immer mehr nach, um wieder Soldaten organisieren zu können. Die Wehrpflicht machte Militär dann vollends zur Normalität. Die 18 Millionen deutsche Soldaten der Hitler-Wehrmacht waren ja auch nur Einberufungen gefolgt und hatten militärischen Befehlen gehorcht. Selbst die Angehörigen der Waffen-SS wurden in diesem Sinne anerkannt und versorgt. Dagegen wurden die Gegner des Krieges, die Opfer der NS-Militärjustiz, die Deserteure, Wehrkraftzersetzer und Befehlsverweigerer lange Zeit nicht einmal rehabilitiert, geschweige denn entschädigt. Ihr Nein zu Hitlers Krieg galt als Unrecht, das Mitmachen auf Grund der Wehrpflicht als normal. Von militärischen Verbrechen wußte man ja angeblich nichts. Die Forschungen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes haben längst die Verbrechen der Wehrmacht bewiesen. Dabei geht es nicht nur um die Kriegsführung in der Sowjetunion und in Jugoslawien, die inzwischen auch durch die umstrittene Wehrmachtsausstellung öffentlich ins Bewußtsein gebracht worden sind. Es geht um den Angriffs- und Eroberungskrieg schon gegen Polen, um die mehrfache Verletzung von Neutralität, um Luftangriffe gegen die Zivilbevölkerung in Warschau, Belgrad, Rotterdam, Coventry, um das Mitmachen beim Holocaust, um sinnlose Zerstörungen beim Rückzug, zum Beispiel die »verbrannte Erde« in Nordnorwegen, um das Verhungernlassen von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, um Geiselerschießungen und brutale Repressalien in den besetzten Gebieten. Die Wehrmacht war ein Mittäter der Verbrechen, aber selbst die Generäle, die all das geplant, befohlen und darüber berichtet hatten, leugneten nach 1945 jede Schuld. Da niemand gern mit Schuld lebt, wurde diese verdrängt und die Verantwortung abgeschoben. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht half bei der Entschuldung und entsprach der allgemeinen Stimmung. Millionen, die Angehörige verloren hatten, Millionen Verwundete und ehemalige Soldaten wollten nicht auch noch Kriegsverbrecher oder Angehörige von solchen sein. Also hieß es: Kriege wird es immer geben. Deshalb braucht man eben zur Sicherheit Militär, und die Wehrpflicht ist ein übliches Mittel, um Soldaten zu bekommen. Natürlich gab es Bedenken, als mit den angeblich nur mißbrauchten Generälen, Offizieren, Unteroffizieren und Wehrbeamten Hitlers die Bundeswehr aufgebaut wurde. Ein Gutachterausschuß sollte deshalb die höheren Dienstgrade überprüfen, ein Wehrbeauftragter die Armee kontrollieren, der Verteidigungsausschuß jederzeit als Untersuchungsausschuß tätig werden dürfen, der lebenskundliche Unterricht nicht von Soldaten, sondern von den Militärpfarrern gehalten werden. (Nebenbei: Die maßgeblichen Leute der Militärseelsorge kamen auch aus der Hitler-Wehrmacht.) Kurz: Die Verfassung wurde geändert, und Adenauer gewann mit D-Mark und Wehrpflicht die nächste Wahl so triumphal, daß die Kritiker verstummten. Seitdem haben wir Verfassungsrecht, das es eigentlich nicht geben dürfte, weil dabei Gewissen tausendfach unter die Räder kam. Deshalb müssen wir die Wehrpflicht angreifen und dürfen die Kapitulation des Bundesverfassungsgerichtes vor den Militärinteressen nicht hinnehmen. Es geht um die Achtung der Menschenrechte, die durch die Wehrpflicht aufgehoben sind. Und wenn die Wehrpflicht, dieses Lieblingskind der Diktatoren und absolutistischen Fürsten, als Mittel der Verharmlosung des Krieges und der Militarisierung der Gesellschaft endlich fällt, geht es darum, die Verpflichtung der Grundgesetzpräambel, dem Frieden der Welt zu dienen, endlich Ernst zu nehmen. Kriegsdienstverweigerung ist ein kleiner, aber wichtiger persönlicher Beitrag dazu. Im Rahmen der »neuen NATO« und im EU-Verfassungsentwurf werden derzeit immer mehr Interventionen geplant. Der Verteidigungsminister will Deutschland schon am Hindukusch verteidigen und gefährdete Deutsche notfalls mit Gewalt aus anderen Ländern befreien. Man stelle sich vor, die Türkei würde sich entsprechend überlegen, türkische Familien, die bei uns überfallen werden, durch militärische Interventionen zu schützen; ich möchte mal wissen, was dann los wäre. Wissen wir in Deutschland noch, was wir tun? Wer Recht und Schutz von Kriegsdienstverweigerern will, muß denen in den Weg treten, die Kriege ausweiten und statt der Stärke des Rechtes das Recht der Stärkeren praktizieren. Das wird auch – vielleicht erst recht – nötig sein, wenn die Wehrpflicht fällt, denn auch freiwillige Soldaten können noch verweigern. Wenn der EU-Verfassungsentwurf unverändert angenommen wird, ist Kriegsdienstverweigerung nur noch ein Recht nach Maßgabe der Mitgliedsstaaten. Von der EU her gesehen ist es dann kein Grundrecht, kein Menschenrecht. Die Auseinandersetzungen darum sind ein Teil des Bemühens um die Menschenrechte. Wie mühsam so etwas ist, aber auch wie lohnend, hat die Bürgerrechtsbewegung der Farbigen in den USA gezeigt. Sich auf die Verfassung berufend haben sie mit zivilem Ungehorsam, unter manchen Opfern viel erreicht. Warum soll es nicht auch in Deutschland möglich sein, verbürgte Grundrechte durchzusetzen, indem man die Verfassung, das Grundgesetz, so lange beim Wort nimmt, bis auch das Bundesverfassungsgericht das endlich tut.
Erschienen in Ossietzky 24/2003 |
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