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Schon gar nicht sollen die Betagten ihr eventuell Erspartes ganz schnell ausgeben oder auf Pump einkaufen, damit die Nachfrage sich belebt und die Konjunktur anspringt. Dann gäbe es ja bald nichts mehr zu erben. Nein, sie sollen nach den »fetten Jahren« zurückstecken, ihre Renten werden gekürzt, weil sie zu viele sind und zu lange leben. Der geheime Wunsch ist: Sie sollten sich bald und möglichst geräuschlos auf den »Acker Gottes« begeben. Ihr einfaches Dasein »in unserer Wirtschaft und Gesellschaft«, so erfahren wir von früh bis spät aus den Medien, erfordert zu hohe Lohnnebenkosten und lähmt die Konjunktur, Der Kanzler hat in seiner berühmt-berüchtigten Agenda-2010-Rede festgestellt, daß » die durchschnittliche Lebenserwartung ... immer größer wird«. Deswegen müsse »nachjustiert« werden. Die Anpassungsmechanismen (Kürzungen) aus der Riester-Reform vor zwei Jahren reichten nicht mehr aus. Am 19. Oktober war es soweit. Das Kabinett versammelte sich, um Dramatik zu signalisieren, an einem Sonntag im Kanzleramt. Man einigte sich auf »die notwendigen Renten-Sofortmaßnahmen« für nächstes Jahr und stellte erste Weichen für die Zeit danach. Erstmals in der Geschichte der BRD werden 2004 die Renten gekürzt. Die sogenannte »Nullrunde« bedeutet, daß die Renten nicht an die um etwa 1,3 Prozent gestiegenen Preise angepaßt werden. Schlimmer noch: Die Auszahlungsbeträge werden gesenkt, denn die Alten müssen ihre Beiträge zur Pflegekasse statt bisher zur Hälfte jetzt zur Gänze selber aufbringen, zu diesem Zweck werden ihnen 0,85 Prozent mehr von der Rente abgezogen. Addiert mit dem Kaufkraftverlust ergibt sich eine Kürzung um 2,15 Prozent. Ein Durchschnittsrentner mit 980 Euro muß sein Monatsbudget um 21 Euro einschränken, die Durchschnittsrentnerin mit heute 510 Euro um 11 Euro. Hinzu kommt, daß der Auszahlungstermin vom Anfang auf das Ende des Monats verlegt wird, was viele Rentner zwingt, ihre Konten zu überziehen und dann entsprechende Zinsen zu zahlen. Außerdem wird es ab 2004 spürbar teurer, krank oder pflegebedürftig zu werden: Eintrittsgeld von zehn Euro pro Quartal bei Arztbesuchen, Zuzahlung von zehn Euro pro Tag bei Krankenhausaufenthalt, Zuzahlungen von mindestens fünf Euro für Medikamente, keine Leistungen der Krankenkasse mehr für Brillen sowie Krankenfahrten. Für Zahnersatz muß eine private Versicherung abgeschlossen werden, ebenfalls für die Beerdigungskosten, weil das Sterbegeld entfällt. Ab 2006/7 werden die Abzüge für die Krankenkassen erhöht. Et cetera. Und die Kürzerei geht weiter. 2005 soll schon der vom doppelten Kommissionsvorsitzenden Bert Rürup vorgeschlagene »Nachhaltigkeitsfaktor« die Rente um 1,7 Prozent vermindern. Mit »Nachhaltigkeit« ist gemeint, daß die Rente sinkt, sobald die Zahl aller Vollzeit-Beschäftigten abnimmt, und daß sie auch dann sinkt, wenn die Zahl der Rentenempfänger steigt. Dadurch gerät die Rente in der gegenwärtigen Wirtschaftslage von beiden Seiten unter Druck: Die Firmen schicken ihre über 55-Jährigen in »Anpassung« und »Frührente«, wodurch die Beschäftigten weniger und im selben Maße die RentnerInnen mehr werden. Mit einer »immer größeren Lebenserwartung« (Schröder) hat das nichts zu tun. Für die fernere Zukunft wurde angekündigt, daß für Ausbildungszeiten keine drei Jahre Rentenanwartschaften mehr erworben werden, wodurch die Rente um weitere sieben Prozent sinkt. Inzwischen sagt Sozialministerin Schmidt, daß die von Walter Riester versprochenen 64 Prozent Rente vom Nettolohn, die es 2030 nach 45 Beitragsjahren geben sollte, nicht zu finanzieren sind. Auf 60 Prozent müsse man sich wohl einstellen. Nur private Vorsorge könne retten... Begründet werden die aktuellen Rentenkürzungen mit den »dramatisch eingebrochenen Einnahmen«. Ohne Kürzungen im Jahre 2004 um etwa fünf Milliarden Euro bei den Rentnern und noch einmal fünf Milliarden Entnahme aus den Rücklagen müßten laut amtlicher Propaganda die Lohnnebenkosten allein für die Rente von jetzt 19,5 auf 20,5 Prozent steigen – was angeblich eine Katastrophe für die Konjunktur wäre. Merkwürdig nur: Die Lohnnebenkosten, an deren Höhe in den letzten drei Jahren die Konjunktur gekränkelt haben soll, sind in den letzten fünf Jahren nicht gestiegen, der Anteil für die Rente ist vielmehr 1999 von 20,3 auf 19,5 Prozent gesunken. Was wäre so schlimm daran, wenn vom Bruttolohn der Arbeitnehmer und von den Bruttolohnkosten der Arbeitgeber jeweils 0,5 Prozent mehr abgezogen würden? In der letzten Lohnrunde stiegen die Bruttolöhne immerhin noch um zwei bis drei Prozent. Da taucht sogleich die nächste Frage auf: Wieso hat der Bruttolohnzuwachs nicht automatisch den Rentenkassen entsprechend höhere Einnahmen verschafft, wenn doch in den vergangenen Jahren der gleiche Prozentsatz von 19,5 Prozent abzuführen war? Die Mehrausgaben für Rentenerhöhungen lagen nur bei einem Prozent, also nicht einmal halb so hoch wie die Bruttolohnzuwächse. Wie also erklärt sich das Minus? Da muß man sich einige politische Entscheidungen noch einmal ins Gedächtnis rufen: Zum einen wurden die Einnahmen der Rentenkassen bewußt verringert zugunsten der Riesterrente; die Beiträge hierfür wie auch die für Betriebsrenten dürfen vom Bruttolohn abgezogen werden, bevor die Berechnung der Lohnnebenkosten einsetzt. Zum andern sind hier die massiv betriebene Vermehrung der Minijobs auf jetzt 5,5 Millionen und die damit verbundene Zurückdrängung der Vollarbeitsverhältnisse zu nennen; für Minijobs muß nur der halbe Prozentsatz von Lohnnebenkosten abgeführt werden. Zum dritten hat der Finanzminister durchgesetzt, daß der Bundeszuschuß für Arbeitslose und für die »versicherungsfremden Leistungen« noch einmal um eine Milliarde Euro abgesenkt worden ist. Die Geldknappheit der Rentenkassen – wie auch der Kranken- und Pflegekassen – ergibt sich also aus bewußt von der Regierung betriebenen Kürzungen. Sie hat Einnahmeausfälle herbeigeführt, um anschließend Rentenkürzungen als alternativlosen Sachzwang darstellen zu können. Schuld sollen die Alten selber sein: Sie lebten zu lange und hätten zu hohe Ansprüche. Zwei Tage vor dem »Rentengipfel« im Kanzleramt, wo den Rentnerinnen und Rentnern fünf Milliarden Euro aus der Tasche gezogen wurden, ließ die Regierung im Bundestag so nebenbei Steuererleichterungen von fünf bis zehn Milliarden Euro jährlich für die private Versicherungsbranche beschließen. Eigentlich müßte diese asoziale Schamlosigkeit die Bevölkerung derart aufbringen, daß sie Kanzler und Minister aus ihren Ämtern jagt. Begründet wurde das Geschenk an die Versicherungsgesellschaften damit, daß wegen des zeitweiligen Kursverfalls an den Börsen das Überleben vieler Gesellschaften gefährdet sei und dann auch Lebensversicherungspolicen »von kleinen Leuten« verfallen würden – obwohl die zuständigen Minister uns doch ständig versichern, die einzige Rettung vor der bedrohlich heranwachsenden »demographischen Zeitbombe« sei der Aufbau einer kapitalgedeckten Altersversorgung. Und sie tun alles, um uns auf diesen Kapital-Leim gehen zu lassen. Für viele Alte, sofern sie nicht zu den Vermögenden gehören, wird es allmählich eng. Die meisten Durchschnittsrentner – und erst recht all jene mit geringerer Rente – hatten nie die Chance, sich ein privates Kapital aufzubauen. Sie bekommen mehr und mehr zu spüren, daß sie bei den Machern in Politik und Wirtschaft sowie bei den Trendsettern in der öffentlichen Meinung nur noch als Ballast gelten. Wen wundert's, daß da junge Nachwuchspolitiker aus allen Parteien fordern, Krankenbehandlung und Pflegeleistungen bei über 70-Jährigen einzustellen. Die Regierung plant bei der ebenfalls anstehenden Pflege-»Reform« die Verringerung der Pflegeleistungen in Heimen... Norbert Blüm und Walter Riester – beide nicht ganz unschuldig an einer Politik, die zu diesem Rentenklau führte – beklagen in Interviews inzwischen bitter die »soziale Kälte« (Blüm) oder den »Unsinn« (Riester), den die Regierung da anstelle. Für Einsichten ist es nie zu spät. Das weitere Schreddern des Sozialstaates muß zu noch größerem Einbruch der Binnennachfrage führen und damit zu mehr Arbeitslosigkeit. Angesagt wäre das Gegenteil: Höhere Sozialtransfers und Ausgaben für öffentliche, gemeinwirtschaftliche Aufgaben, wobei sofort Millionen Arbeit finden könnten. Das Geld ist da – leider bisher auf den falschen Konten. Nötig wären Steuern auf große Vermögen und eine Abschöpfung der hohen Einkommen. Bei den Reichen häuft sich Kapital, das in Spekulationsblasen zerplatzt. Es fehlt für Schulen, Pflegeheime, Jugend- oder Sozialarbeit. Wäre es nicht an der Zeit, daß sich Rentner als »Altenblock« bei Attac und anderen sozialen Bewegungen einmischen, in Solidarität mit allen von der neoliberalen Konter-Reform Betroffenen! Alte wollen nicht ewig leben. Aber die ihnen gegebene Zeit schon – und ohne Angst vor einer sozialdarwinistisch aufgehetzten Meute.
Erschienen in Ossietzky 23/2003 |
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