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Statt die Behauptungen, die bolschewistische Revolution sei von Juden angeführt worden, die sich in großer Zahl an den tschekistischen Erschießungskommandos beteiligt hätten, als historisch nicht haltbar zurückzuweisen, hatte Günzel ihm »Mut zur Wahrheit und Klarheit« attestiert. Struck bezeichnete daraufhin seinen Untergebenen als einen psychologisch-politisch »verwirrten General« und entließ ihn »unehrenhaft«. Ob der unbequeme Brigadegeneral schon länger auf der Abschußliste des Verteidigungsministers stand, ist nicht bekannt. Politisch besonders brisant ist, daß Günzel keine x-beliebige Bundeswehrtruppe befehligte, im Gegenteil: Seit November 2000 war er Kommandeur der Elitetruppe des Heeres, des Kommandos Spezialkräfte (KSK), das gerade erst im Oktober seinen bisher größten Auslandseinsatz, in Afghanistan, beendet hatte. Nun wirft die Affäre ein schräges Licht auf diese Truppe, die gemeinhin unter strengster Geheimhaltung im Verborgenen agiert. »Keiner sieht sie kommen. Keiner weiß, daß sie da sind. Und wenn ihre Mission beendet ist, gibt es keinen Beweis dafür, daß sie jemals da waren«, hieß es 1997 in der Zeitschrift des Bundeswehrverbandes, Die Bundeswehr . Nicht nur Zivilisten, auch die Kommandeure anderer Militäreinheiten können die Kampfkraft der Einzelkämpfer und »Schneckenfresser« nicht genau einschätzen. Immerhin ist das Gründungsdatum bekannt: Am 1. April 1996 wurde das KSK in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Schwarzwald) aufgestellt, wo die Truppe noch heute ihre feste Adresse hat. Doch schon bei der Personalstärke gehen die Angaben weit auseinander: 450 bis 700 Mann. Dabei sollte die Truppe eigentlich schon im Jahre 2000 mit 960 bis 1088 Soldaten ihre volle Kampfstärke erreicht haben. Aber wegen der hohen Leistungsanforderungen finden sich nicht genügend geeignete Bewerber. Mit 18 Monaten ist die Ausbildungsphase ziemlich lang. Durch Schlafentzug (bis zu drei Stunden pro Tag), Nahrungsmangel und hohe körperliche Anstrengungen bei psychologisch extremer Belastung wird der Rekrut immer wieder an seine Grenzen herangeführt: »Die reißen einem richtig den Arsch auf«, erklärte ein Beteiligter, und Günzel stimmte zu: Die Ausbildung sei »das Härteste, was man Menschen in der Demokratie abverlangen darf« ( Der Spiegel 24.9.01 ). Neben dem Infanteriekampf, der Fallschirmspringerausbildung und der Gebirgs-, Winter- sowie Wüstenkriegführung steht auch das »instinktive Combat-Schießen« auf dem Lehrplan. Günter Kreim, der Psychologe der Truppe, erklärte, es komme darauf an, die Balance zwischen Aggressivität und kontrolliertem Handeln zu halten, um »das Feindmuster jederzeit wie eine Schublade zu öffnen«, nur so lasse sich die natürliche Tötungshemmung überwinden. Zur Ausrüstung gehören Pistolen P8, Maschinenpistolen MP5SD3, Granatpistolen HK-69A1, Schnellfeuergewehre G36K, britische Scharfschützengewehre G22, Maschinengewehre G8, Schrotflinten HK512 sowie alle Arten von Spezialwaffen und Sondermunition wie Ultraschall- und Ultrablitzgeräte, in begrenztem Umfang auch Panzerabwehrraketensysteme Milan 3. Allerdings wurden mit der Gründung des KSK nicht zum ersten Mal Eliteeinheiten in der Bundeswehr aufgestellt. Schon 1962 begann man mit dem Aufbau von drei Fernspähkompanien aus Einzelkämpfern, die im Kriegsfall bis zu 200 Kilometer hinter den feindlichen Linien operieren sollten. Mit dem Ende des Kalten Krieges sollten sie in drei »Fallschirmjägerkompanien für spezielle Verwendung« umgewandelt werden. Schließlich erfolgte 1996 deren Eingliederung in das KSK. Mit dessen Gründung wurden alle Eliteeinheiten des Heeres erstmals unter einem einheitlichen Kommando zusammengefaßt; daneben bestehen noch die Kampfschwimmerkompanie der Marine in Eckernförde und kleinere »Combat Rescue«-Einheiten der Luftwaffe zur Rettung abgeschossener Piloten aus dem feindlichen Hinterland. Ursprünglich war die Aufstellung des Kommando Spezialkräfte als militärischer Anti-Terror-Einheit damit begründet worden, daß die polizeiliche GSG-9 nicht im Ausland eingesetzt werden dürfe. Aber dieses Argument ist falsch, weil nach Paragraph 8 des Bundesgrenzschutzgesetzes ein Auslandseinsatz der GSG-9 durchaus zulässig ist. Der Unterschied zwischen GSG-9 und KSK besteht vielmehr darin, daß die Grenzschützer nur mit Zustimmung des Ziellandes eingesetzt werden sollen, die Kommandosoldaten auch gegen den Willen der dortigen Regierung ( Europäische Sicherheit 8/97). Seit September 2003 sind mehrere Polizeibeamte der GSG-9 im Irak, wo sie die vier Helfer des Technischen Hilfswerk beim Wiederaufbau des Trinkwassernetzes schützen sollen. Der Einsatz dauert voraussichtlich bis Februar 2004. Gemäß der sogenannten Zielstruktur soll sich das KSK eines Tages in drei Bereiche aufgliedern: 1. Wie bei jeder anderen Militäreinheit unterstehen dem KSK-Kommandeur eine Stabs- und Fernmeldekompanie, eine Unterstützungskompanie mit einem Sanitätszug sowie ein sogenanntes Ausbildungszentrum. – 2. Das zweite Standbein der Spezialeinheit ist eine Fernspähkommandokom-panie mit rund 100 Soldaten, die sich in zwei Züge gliedert. – 3. Die Kerntruppe des KSK sind die vier geplanten Kommandokompanien mit je 80 Mann. Jede gliedert sich in eine Kompanieführungsgruppe und vier spezialisierte Züge. Der erste Zug ist für das Eindringen über den Landweg ausgebildet worden, der zweite für Luftlandeoperationen, der dritte für Landungen über den Wasserweg, und der vierte Zug ist auf Einsätze im Hochgebirge und unter besonderen Bedingungen wie z. B. das Polargebiet, spezialisiert. Jeder Zug gliedert sich in vier Kommandotrupps, die wiederum aus vier Soldaten bestehen. Insgesamt sollten 64 Kommandotrupps a vier Soldaten aufgestellt werden. Durch die Personalprobleme sind erst zwei, höchstens drei Kommandokompanien voll einsatzbereit. Die militärpolitische Überwachung der KSK-Einsätze erfolgt durch das Führungszentrum der Bundeswehr (Bonn), die operative Führung durch das Einsatzführungskommando (Potsdam) oder den Stab der Division Spezielle Operation (Regensburg). Nach Angaben von Hauptmann Lutz Regenberg, der beim KSK die Personalwerbung leitet, ist die Truppe zuständig für folgende Aufgaben: Aufklären und Überwachen wichtiger militärischer Ziele in Krisen- und Konfliktgebieten zum Gewinnen von Schlüsselinformationen; Kampf gegen Ziele mit hoher Priorität auf gegnerischem Territorium; Schutz eigener Kräfte und Einrichtungen in Krisen- und Konfliktgebieten, unter anderem durch Terrorabwehr; Rettung deutscher Staatsbürger aus Kriegsgebieten, Kriegsgefangenschaft und Geiselsituationen. Der »Kampf gegen den Terrorismus« hatte in einer ursprünglichen Darstellung des Bundesverteidigungsministeriums eine defensive Ausrichtung: »Im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung ist die Abwehr terroristischer Bedrohung und subversiver Kräfte erforderlich für den Schutz eigener Einrichtungen, Kräfte und Mittel.« Die Jagd auf die Mitglieder der Al Qaida ist kaum durch diese amtliche Definition der KSK-Aufgaben abgedeckt. Vielmehr wurde hier ein Präzedenzfall für eine offensive Terrorismusbekämpfung geschaffen. Bei einem Einsatz begeben sich die KSK-Mitglieder dreimal in Lebensgefahr: wenn sie durch die gegnerische Frontlinie durchsickern, wenn sie im Hinterland des Feindes ihre Operation durchführen, wenn sie von einem Einsatz zurückkommen und dabei von der eigenen Fronttruppe möglicherweise für feindliche Soldaten gehalten werden. Als Elitetruppe kann das KSK Operationen ausführen, zu denen Militäreinheiten mit gewöhnlicher Ausbildung und Bewaffnung nicht in der Lage wären. Hauptmann Jason vom KSK erklärte dazu: »Es ist eine außergewöhnliche Truppe, die ein anspruchsvolles Gefecht liefern kann. Sie fordert körperlich und befriedigt die Abenteuerlust.« Obwohl die Truppe zahlenmäßig nur 0,3 Prozent des Bundeswehrpotentials ausmacht, wird durch ihre Gründung das Einsatzspektrum der Streitkräfte erheblich ausgeweitet. In der Offizierszeitung Truppenpraxis hieß es dazu: »Mit dem Kommando Spezialkräfte steht (…) der Bundesrepublik Deutschland ein höchst wirkungsvolles Instrument für das Krisenmanagement zur Verfügung«, dessen Einsätze aber auch, so ein Planungspapier der Hardthöhe, sich vom Einsatz herkömmlicher Kräfte durch ihre »in der Regel hohe politische Bedeutung« unterscheiden und daher »politisch eng zu führen« seien. Daß hierin eine militärpolische Gefahr liegt, wußte auch KSK-Kommandeur Günzel, der im Oktober 2001 eine deutliche Warnung an die Berliner Politiker richtete: Nach dem 11. September sei deren Bereitschaft gestiegen, gegebenenfalls den Tod von ein paar Elitesoldaten in Kauf zu nehmen, um das Leben von tausenden Zivilisten zu retten. Dies aber sei riskant: »Wir entschließen uns immer erst zum Zugriff, wenn wir bei der Risikoanalyse eine 90-prozentige Erfolgsquote ansetzen können. Denn selbst wenn Spezialkräfte-Operationen bis zum letzten Griff minutiös geplant werden, bleibt noch immer ein unproportional hohes Risiko,« warnte Günzel. Bei den bisherigen Einsätzen ging alles gut: Am 15. Juni 1998 führte die Sondereinheit ihren ersten Auftrag durch. Im Rahmen der Operation PRECIOUS BOUNTY nahm sie den als Kriegsverbrecher geltenden Serben Milorad Krnojelac fest. Am 1. August 1999 folgte in Foca die Festnahme des ähnlich Beschuldigten Rodomir Kovac. Drei KSK-Mitglieder wurden schwer verletzt, als sie am 12. Oktober 2000 im selben Ort den serbischen Paramilitär Janko Janjic gefangennehmen wollten, der sich mit einer Handgranate in die Luft sprengte. Nach dem 11. September startete das KSK seinen ersten Großeinsatz mit fast 100 Soldaten in Kandahar, Kabul und der afghanischen Provinz Paktia. Über diese Operation ENDURING FREEDOM drangen kaum Informationen an die Öffentlichkeit. Bekannt wurde lediglich, daß das KSK im Dezember 2001 an den Gefechten um die Bergfestung Tora Bora beteiligt war, als es Osama bin Laden gelang, verletzt zu entkommen. Im März 2002 war die deutsche Truppe an der Operation ANACONDA gegen die Al Qaida-Festung im Shahi-i-Kot-Gebirge beteiligt – unter denkbar schwierigen politischen Rahmenbedingungen. Auf der einen Seite sollte die deutsche Kommandoeinheit wohl keine Taliban- oder Al Qaida-Mitglieder töten, weil es dem offiziellen Bundestagsmandat widersprochen hätte und dann ein schlechtes Presseecho zu erwarten gewesen wäre. Auf der anderen Seite sollte das KSK aber auch keine Terroristen lebend gefangen nehmen, weil man diese dann an das CIA-Folterzentrum in Bagram hätte übergeben müssen, was mit den deutschen Gesetzen nicht in Einklang zu bringen gewesen wäre, da die USA gegen Terroristen die Todesstrafe verhängen und ihre Häftlinge nicht gemäß den Bestimmungen der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen behandeln. Gelegentlich nahm das KSK Afghanen fest, um sie gleich wieder laufen zu lassen. Einmal soll sich dem KSK die Möglichkeit geboten haben, Osama bin Laden zu fangen ( Spiegel 27.5.02 ). Es stellt sich daher die Frage, was das KSK während seines fast zweijährigen Afghanistaneinsatzes vom Dezember 2001 bis Oktober 2003 tatsächlich gemacht hat. Nach Pressemeldungen war es zuletzt im Raum nordöstlich von Kabul mit Aufklärungsaufgaben betraut. Überraschenderweise war aus den Reihen des KSK selbst heftige Kritik an der Afghanistanoperation zu vernehmen. Brigadegeneral Günzel warnte schon vor dem Beginn des Einsatzes: »Bin Laden umgibt sich mit einem Schutzkräfte-Kordon von bestimmt hundert bis zweihundert Mann, die alle bereit sind, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Spezialkräfte kommen leicht bewaffnet, ungeschützt, es würde ein Blutbad geben.« Seine Männer beklagten, daß sie nicht gemäß ihrem Aufgabenspektrum eingesetzt würden. Sie fühlten sich als »politisches Symbol« mißbraucht, weil die USA die deutsche Elitetruppe angefordert hätten und die Bundesregierung dem widerspruchslos gefolgt sei. Tatsächlich lag die Operationsführung nicht bei deutschen Kommandobehörden, sondern beim US-Oberkommando CENTCOM. Dieses soll die »Krauts« nur mit nebensächlichen Aufgaben bedacht haben, zu denen die Amerikaner ihre eigenen Special Forces nicht einsetzen wollten. Auch wegen der zermürbenden Lebensbedingungen in Afghanistan wollten die KSKler schon im August 2002 nach Hause, sie mußten aber noch mehr als ein Jahr in Afghanistan bleiben. Wer monatelang in einem Erdloch in der afghanischen Wüste ausharren mußte, hatte viel Zeit, über die Sinnlosigkeit rot-grüner Kriegspolitik nachzudenken. Da ist es kein Wunder, daß sich in der Truppe Frust ansammelte und die ersten Soldaten dem Verband den Rücken kehrten, um eventuell bei der GSG-9 anzufangen. Überraschenderweise kam auch aus dem Bundestag Kritik an der Afghanistanoperation. Gemäß dem Out-of-Area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 hat der Bundestag das letzte Wort bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Allerdings gilt dies nicht bei »Gefahr im Verzuge«, wenn beispielsweise das KSK zur Geiselbefreiung eingesetzt würde. Im Fall Afghanistan hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch am 8. November 2001 in seiner Regierungserklärung erklärt: »Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden.« Eine Woche später, am 16. November 2001 , faßte der Bundestag mit den Stimmen der rot-grünen Regierungskoalition den genau gegenteiligen Beschluß. Das Parlamentsmandat zur Operation ENDURING FREEDOM ließ zwar offen, wo, wann, wieviele Soldaten eingesetzt werden sollten, sah aber ausdrücklich den Einsatz von fast 100 Mann »Spezialkräfte« vor. Als dann Anfang 2002 durch eine Indiskretion des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld bekannt wurde, daß mit den »Spezialkräften« das KSK gemeint war, zeigten sich die albernen Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages empört darüber, daß sie erst jetzt aus der Zeitung erfuhren, was sie vier Monate zuvor selbst beschlossen hatten: den Einsatz des KSK in Afghanistan. CDU-Obmann Thomas Kossendey warf Verteidigungsminister Scharping ein »verklemmtes Verhältnis zur Öffentlichkeit und zum Parlament« vor. Der FDP-Abgeordnete Günther Nolting beschwerte sich über das regierungsamtliche »Verschweigen, Tarnen und Leugnen«, PDS-Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke sprach vom »Tricksen, Täuschen, Tarnen«. Nun wünscht sich der Bundesverteidigungsminister ein Entsendegesetz, das die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages reduzieren soll. Die Parlamentarier sollen also ihrer eigenen Entmündigung zustimmen. Dabei hatte schon ein Generalstabsoffizier aus dem Verteidigungsministerium über das KSK gesagt: Wenn »diese Kerle losstürmen, müssen wir denen jede Sekunde auf die Finger gucken.« In Calw sieht man das anders. In einem Flugblatt hat man ausdrücklich Loyalität zur Bundesregierung und zur Demokratie bekundet – was die Frage nahelegt, ob die Elitetruppe es nötig hat, dies zu betonen. »Wir sind die Guten«, sagte ein KSK-Major (lt. Spiegel vom 27.5.02 ). Diese Vorstellung hat freilich noch jeder General seiner Truppe eingeimpft, nicht nur Günzel. Und dem völkerrechtswidrigen Einsatz in Jugoslawien hat im März 1999 die gesamte Bundeswehrgeneralität zugestimmt.
Erschienen in Ossietzky 23/2003 |
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