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Alte Herren gegen den AStA
Andreas Steinsieck
»Asta auf dem Freudenstrahl. Sexseminare und Kuba-Reisen: Studentenausschüsse
verjubeln das Geld der Kommilitonen.« Im Stil der Bild-Zeitung überschrieb
Der Spiegel kürzlich einen angeblich investigativen Artikel über die
gewählten Vertretungen der Studierendenschaften an verschiedenen Hochschulen.
Autor Michael Fröhlingsdorf bemühte seine Schmuddelphantasien, um
eine vom Studierendenparlament der Technischen Universität Braunschweig
geförderte Bildungsveranstaltung über das gesellschaftliche Bild vom
weiblichen Körper als Selbstbefriedigungsseminar zu denunzieren. Diesem
Artikel vorausgegangen war eine Artikelserie in der Braunschweiger Zeitung,
die Anfang September getitelt hatte: »Finanzskandal bei Studenten? 650
000 Euro weg.« Woher kommen die Angriffe? Wie berechtigt oder unberechtigt
sind sie? Und wohin zielen sie?
Die Summe von 650 000 Euro »verschwendeter Gelder« setzt sich zusammen
aus im Laufe von 20 Jahren nicht zurückgezahlten Darlehen des studentischen
Hilfsfonds für unverschuldet in Not geratene Studierende. Der ehemalige
Vorsitzende des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses, Alexander Böker,
erläutert: »Da die Geförderten zum großen Teil aus Ländern
der sogenannten ›Dritten Welt‹ stammen, ist es kaum verwunderlich,
daß sie ihre Darlehen auch nach Beendigung ihres Studiums nicht zurückzahlen
können. Selbst wenn sie es könnten, wäre es beinahe unmöglich,
die Gelder gerichtlich einzutreiben. Das verschweigen aber sowohl der Spiegel
als auch die rechten Ankläger, für die das eigentliche Verbrechen
offenbar in der Förderung ausländischer Studierender besteht.«
Mit den »rechten Anklägern« sind Burschenschaftler und der
Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) gemeint, die im Sommersemester,
erstmals seit 30 Jahren, den Braunschweiger AStA stellten. Es ist gewiß
auf die meist so erfolglosen Kandidaturen dieser Gruppen zurückzuführen,
aber auch auf ihre elitären Ideen, daß sie die verfaßten Studierendenschaften
prinzipiell befehden. Als sie nun einmal stark genug waren, die linken Gruppen
zu verdrängen, nutzten sie die Möglichkeit, alte AStA-Akten zu durchforschen
– mit dem Ergebnis, daß das niedersächsische Wissenschaftsministerium
einen »Bericht zu den finanziellen Unregelmäßigkeiten bei den
Finanzen der Verfaßten Studierendenschaft in den Jahren 1984-2003«
erhielt. Schaut man sich diesen Bericht genauer an, so kann man feststellen,
daß die genannte Summe künstlich in die Höhe getrieben worden
ist. Die Darlehensnehmer müssen sich verpflichten, 18 Monate nach Beendigung
ihres Studiums mit der Rückzahlung zu beginnen. Der RCDS-geführte
AStA zählte jedoch alle bis zum September 2003 bewilligten Darlehen zusammen,
auch viele, die noch längst nicht zur Rückzahlung anstehen oder die
nicht einmal vollständig ausgezahlt waren.
Das nun skandalisierte »Sexseminar« war im Februar 2003 vom Studierendenparlament
befürwortet worden, ohne daß jemand dagegengestimmt hätte, auch
nicht der Abgeordnete Matthias Nieber, der dann im Sommersemester dem Vorstand
des AStA angehörte, der die Vorwürfe erhob.
Von Beginn seiner Amtszeit an machte dieser AStA von seiner Position Gebrauch,
um die Strukturen der Verfaßten Studierendenschaft zu zerschlagen. So
löste er gegen den Willen des Studierendenparlaments die eigene Druckerei
auf und bedrängte die festangestellten Mitarbeiterinnen, um sie zur Kündigung
zu bewegen.
Die niedersächsische Landesregierung beschloß im Sommer, die Etats
der Hochschulen stärker zu kürzen als je seit Bestehen des Bundeslandes.
Dazu schwieg der Braunschweiger AStA konsequent. Er sah seine Aufgabe offensichtlich
darin, der ihm nahestehenden Landesregierung den Rücken frei zu halten.
Nachdem ihn die Wählerinnen und Wähler im Juli aus dem Amt gefegt
hatten, nutzte er bis zur Amtsübergabe an den Nachfolger die ihm verbleibende
Zeit, um mit Skandalgeschichten beim Gesetzgeber auf die Abschaffung der Verfaßten
Studierendenschaft zu dringen. So legte der RCDS in der Mensa an den Wissenschaftsminister
adressierte Unterschriftenkarten aus, die die Abschaffung der Zwangsbeiträge
zur Verfaßten Studierendenschaft forderten, was deren Ende bedeuten würde.
Auch die Braunschweiger Junge Union richtete, teilweise in Personalunion mit
dem AStA, derartige Forderungen an den Landtag. Und die gelegentlich noch als
links geltende tageszeitung (taz) öffnete am 8.10.2003 der RCDS-Bundesvorsitzenden
Barbara von Wnuk-Lipinski ihre Spalten, um die generelle Abschaffung der Studierendenvertretungen
zu fordern.
Zur Hilfe springt da der Spiegel: »Studentenvertretungen wirken wie ein
Relikt der 68er-Bewegung«. Wie beinahe jedes Detail in diesem Spiegel-Artikel
stimmt noch nicht einmal das: Studentenvertretungen gibt es, seit es Hochschulen
gibt, also seit dem Mittelalter. In ihrer jetzigen Form wurden sie 1927 eingeführt.
Gäbe es sie nicht mehr, so wäre es kaum möglich, Kritik an Form
und Inhalt der Lehre oder der Hochschulpolitik zu äußern. Was sie
für die soziale Sicherung der Studierenden leistet, sei es durch Beratung,
Hilfsfonds oder die Ausgabe von Semestertickets, würde wohl erst durch
ihre Abschaffung ganz deutlich werden. Die einzigen, die auf diese demokratische
Struktur verzichten können, sind wohl Verbindungsstudenten. Sie holen sich
ihre Unterstützung von »Alten Herren«, zu denen auch der Spiegel-Autor
Michael Fröhlingsdorf gehört (Akademische Vereinigung Rheinstein zu
Köln im CV). Aber das kann schwerlich ein Modell für alle sein.
Erschienen in Ossietzky 22/2003
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