Blick durch die Klobrille

Anne Dessau

Das Düsseldorfer Schauspielhaus präsentiert »Die Präsidentinnen« von Werner Schwab, inzeniert von Thomas Bischoff. Der Vorhang ist offen. Die Rückwand zeigt eine Stirnglatze nebst Heiligenschein. Unverkennbar der amtierende Papst. Musikschmalz spült über die Szene, ein Sonnenaufgang koloriert unserer Gefühle. Alsbald dominieren klösterliche Chorgesänge, und die Szene (Bühne und Kostüme: Ute Kala) erstrahlt im Rheingold. Drei Frauen (Hanna Seiffert, Claudia Burckhardt, Lisa Hagmeister) nehmen die Bühne in Besitz, sie stehen da, als wären sie in Gummistrümpfe gepreßt. Aus Himmelssphären tönt die Stimme des Papstes hernieder. Sie grinsen verzückt. Musik schwillt, ihre Herzen auch. Ein Gefühl wie in »Out of Africa«: Robert Redford fliegt in den Tod. Man ahnt seinen Absturz. Schmerz – Glück – Gott – alles, was Hollywood vermag. Glockenläuten. Die Frauen tanzen in Verzückung, Sektgläser und Stichsägen in der Hand. Sie tanzen sehr lange.
Ton aus. Lichtwechsel. Erschöpft tauchen die Frauen aus der Ekstase in die kaltweiße Wirklichkeit auf. Die Dialoge des Trios sind von künstlicher Diktion. Sie zelebrieren den Text wie auf Kothurnen. Sie können sich Zeit lassen, und so entsteht etwas, was ich lange nicht so auf einer Bühne gesehen habe. Sie beißen die bösen Sätze Schwabs aus der Luft, saugen die Repliken aus ihrem Gegenüber, kauen und schlucken genußvoll daran. Eine Meditation hebt an über Scheiße, Haufen, Stuhl, Jauche, Sau, Hintern, Klopapier, Kloschüssel, Klobesen, Abort. Die Zuschauer warten, gut unterhalten, auf die Philosophie. Weiter geht es mit der »Vorrrsehung« und Kindesmißbrauch. »Das Geschlechtliche ist schon immer verheerend für die Menschen.« Zu Zithermusik gehen die Damen einander an die Gurgel, zwei sägen am Tisch, eine peitscht sich selber. Klänge und Dialog von »Sissi« ziehen sie zum imaginären Fernseher, in Andacht verharren sie vor Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm.
Diese Frauen sind grauslich, spießig, bös und erfüllt von ungestillten Sehnsüchten. Ihr soziales und selig-seelisches Biotop ist der Nährboden für »Nazis«. Das ist die Botschaft in diesem Fäkaliendrama, dem meistgespielten dieser Spezies vom (1994) jung verstorbenen Werner Schwab. Aufi geht’s mit Versatzstücken aus Lieblingsliedern Lieschen Müllers (»Zipfli rein und Zipfli raus, heut geht es gutt...«), der Papst ist allgegenwärtig in der geschilderten Figur des Fleischermeisters »Wottila«, liebevoll tränkt der Autor die bitterböse Persiflage des weiblichen Dreigestirns mit Verständnis. Wortmalerisch wird der ganze Kosmos ihrer enttäuschten Erwartungen vorgeführt, endend mit dem Boden-Satz: »Die menschliche Jauche reicht schon bis zum Abortrand.« In guter österreichischer Tradition von Nestroy bis Bernhardt führt Schwab seine »Volksgenossen« vor: leberkäsdick, mordbereit und sehr katholisch. Die Darstellerinnen dienen seiner Sprache vorbildlich.

Erschienen in Ossietzky 22/2003