Zweiwochenschrift
10/2017 9/2017 8/2017 7/2017 6/2017 5/2017
Archiv
Abonnement
Impressum
Plattform SoPos
|
|
|
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können.
Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror.
Den Aufsatz kommentieren
Simuliertes und Subtiles
Dietrich Kittner
Wer Mitte der achtziger Jahre behauptet hätte, ein auf undurchsichtige
Weise ans Ruder gekommener deutscher Regierungschef lasse aus Gründen höherer
Staatsräson Attentate verüben, der wäre unter allgemeinem Achselzucken
als Spinner oder Anhänger von Verschwörungstheorien abgetan worden.
Erst 1988 platzte dann die Bombe. Nämlich die Aufdeckung der Geschichte
des »Celler Lochs«, eines menschengefährdenden Sprengstoffanschlags,
den wohlbestallte Regierungsräte mit Wissen des niedersächsischen
Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) in Celle unternommen hatten, um
die Tat anschließend »Terroristen« in die Schuhe zu schieben.
Ein Narr natürlich, wer annimmt, solche Aktionen seien – mal abgesehen
von bedauerlichen Einzelfällen wie dem Sender Gleiwitz oder dem Tonking-»Überfall«
– auch anderswo möglich.
Es ist jetzt noch nicht sechs Wochen her, da gefiel es den Machern von ARD,
ZDF und ntv zeitgleich, in einer Kampagne mit nahezu textidentischen Beiträgen
jedermann, der die offizielle Version der Ereignisse des 11. September 2001
nicht einfach gutgläubig akzeptiert, als Irren oder Scharlatan, zumindest
aber als unverantwortlichen Verschwörungstheoretiker an den Pranger zu
stellen. Wer da nur das Etikett Spinner aufgepappt erhielt, hatte noch Glück.
Den Fernseh-Autoren Gerhard Wisnewski und Willy Brunner, die für den im
August vom WDR ausgestrahlten Dok-Film »Aktenzeichen 11.9. ungelöst«
in den USA über Widersprüche der US-amtlichen Darstellung und auftretende
Zweifel recherchiert hatten, wurde vom Sender kurzerhand der Stuhl vor die Tür
gestellt. Wer die alleinseligmachende Lehre des Weißen Hauses auch nur
zu diskutieren wagt, der kriegt als überführter Häretiker keine
Aufträge mehr. Am Ende könnte er doch bisher rechtgläubige TV-Konsumenten
zu Hinterfragungen verführen. Sprecher der beiden öffentlich-rechten
Volksbildungsanstalten wie auch der des o.a. »privaten« (Zitat:
»Unser Partnersender CNN«) Nachrichtenfabrikanten bedauerten übereinstimmend
denn auch zutiefst, daß 20 Prozent der Deutschen glaubten, US-Geheimdienste
seien in den New Yorker Anschlag verwickelt. Wie ich hiermit gestehen will,
hatten auch bei mir zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche Anlaß
zu Zweifeln gegeben, wenn nicht gar zum Abfall vom reinen Glauben an Wahrheitsliebe
und Seriosität etwa der Herren Bush, Rumsfeld und Powell geführt.
Inzwischen muß ich mich korrigieren.
Da wurde nämlich jetzt auf 838 Seiten eine von den Geheimdienstausschüssen
des Washingtoner Parlaments verfaßte Studie veröffentlicht, die sich
der Arbeit von FBI und CIA in Zusammenhang mit dem Terrorangriff widmet. Es
gibt darin geschwärzte Passagen zuhauf, weil auf Order des Weißen
Hauses hin »operative Details« mindestens (!) 25 Jahre lang Staatsgeheimnisse
bleiben sollen.
Bedauerlicherweise. Denn die Grazer Kleine Zeitung, ein auflagenstarkes, von
katholischen Bischöfen herausgegebenes Blatt, schreibt in ihrem namentlich
gezeichneten Artikel über den Untersuchungsbericht kommentarlos: »Bekannt
wurde immerhin, daß die CIA am 11. September 2001 ein Computer-Planspiel
veranstaltete, bei dem ein ›Terrorangriff mit entführten Flugzeugen
auf hohe Gebäude‹ simuliert wurde.« Zitatende.
Auf Rückfragen wurde mir von der Redaktion der Zeitung bestätigt,
daß der Sachverhalt tatsächlich der US-Parlamentsstudie entstamme,
zu deren Autoren Senator Bob Graham gehöre. In den USA sei die Sache kein
Geheimnis und allgemein bekannt. – Nur eben bei ARD, ZDF und ntv nicht.
So gehe ich denn in mich und bedaure aufrichtig, jemals gezweifelt zu haben.
Allen Verschwörungstheorien sei hiermit Absage erteilt: Ich habe jetzt
Gewißheit. Auch wer keine profunden Kenntnisse höherer Mathematik
oder gar der Chaostheorie besitzt, wird mir wahrscheinlich zustimmen in der
Schätzung, daß die Wahrscheinlichkeit der zeitgleichen exakten Übereinstimmung
einer willkürlich angesetzten Computersimulation mit der Realität
etwa der Chance entspricht, im Zahlenlotto 6 aus 49 zehntausend Wochen ununterbrochen
nacheinander einen Sechser mit Superzahl zu treffen.
Zwanzig Prozent der Deutschen also glauben, US-Geheimdienste seien in den Anschlag
auf das World Trade Center und das Pentagon involviert. Erschütternd: Nur
zwanzig Prozent! Die PISA-Studie hatte also doch recht.
*
Hintendran noch die Lokalposse. Vor längerem berichtete der stern in einer
Artikelserie über den Nahen Osten und den Islam. Sachkundig wurde geschildert,
welches Trauma noch heute für Muslime die brutalen Kreuzzüge des Mittelalters
bedeuten. Der Westen müsse hier feinfühlig sein, wurde mit Recht vermerkt.
Jetzt brachte das Blatt pünktlich zum Jahrestag noch einmal eine Zusammenfassung
der Ereignisse des 11. 9. 2001. In Form eines Steckbriefes hat die Redaktion
darin alle mutmaßlichen Attentäter sorgsam aufgelistet und die jeweiligen
Todesdaten der Islamisten taktvoll – mit einem Kreuz gekennzeichnet.
Hier beweist sich einmal mehr die Feinfühligkeit des laut Bush und Berlusconi
kulturell überlegenen christlichen Abendlandes. Solch subtiles Vorgehen
wird todsicher helfen, unbegründete Vorurteile und Spannungen zwischen
Völkern und Religionen abzubauen.
Erschienen in Ossietzky 22/2003
|