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Zerstörung der Kommunen
Otto Meyer
»Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten
der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung
zu regeln«, heißt es im Grundgesetz-Artikel 28, Absatz 2. Und weiter:
»Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen
der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den
Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.«
Nach Absatz 3 hat der Bund zu gewährleisten, daß die »verfassungsgemäße
Ordnung der Länder« den Grundrechten und dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht
entspricht.
Bundes- und Landesregierungen verstoßen seit Jahren gegen dieses Verfassungsgebot.
Sie haben die »finanzielle Eigenverantwortung« der Kommunen nach
und nach untergraben. Den durch die Spargesetze von Bund und Ländern immerzu
verminderten Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden stehen gleichbleibende
oder gar wachsende Verpflichtungen gegenüber (Sozialhilfe, Kindertagesstätten,
Wirtschaftsförderung etc.). Die neoliberale Konterreform eines zügellosen
Privatwirtschafts- und Marktradikalismus scheint sich neben der Zerstörung
des Sozialstaates genau dies zum Ziel gesetzt zu haben: die Liquidierung der
Kommunen als selbstverwaltete demokratische Körperschaften.
Verheerend für die Kommunen hat sich Eichels »große Steuerreform«
ausgewirkt. Nicht nur der ihnen zustehende Anteil an der Lohn- und Einkommenssteuer
ging durch die Steuergeschenke an die Besserverdienenden zurück; noch größer
waren die Verluste bei der Gewerbesteuer, jener vom Grundgesetz garantierten
»den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehenden wirtschaftsbezogenen Steuerquelle«.
Denn der zuständige Staatssekretär im Finanzministerium, der vom Chemie-Konzern
Bayer entliehene Heribert Zitzelsberger, hat dafür gesorgt, daß Großunternehmen
ihre Gewerbesteuer wie auch die Körperschaftssteuer gegen Null rechnen
können. Die Deutsche Bank in Frankfurt am Main oder die Bayerischen Motoren-Werke
(BMW) in München schafften sogar (bei erhöhter Gewinnausschüttung!)
das Kunststück einer »negativen Gewerbesteuer«, das heißt
die Kämmerer mußten ihnen Steuergelder zurückzahlen, weil sie
ihre Abschreibungen, sogar die aus dem Erwerb von Firmen im Ausland, gegenrechnen
dürfen. Kein Wunder, daß zeitweilig die Vorsitzende des Städtetages
und Frankfurter Oberbürgermeisterin Roth (CDU) zusammen mit dem Münchener
Oberbürgermeister Ude (SPD) daran dachte, gegen den Bund Verfassungsbeschwerde
einzureichen und zu Protestdemonstrationen aufzurufen.
In Nordrhein-Westfalen muß heute mehr als die Hälfte der Kommunen
den Weisungen eines »Staatskommissars« folgen, sie dürfen also
keinen eigenverantworteten Haushalt mehr aufstellen. In den östlichen Bundesländern
kann von kommunaler Selbstverwaltung noch weniger die Rede sein. Die radikalen
Kürzungen zwingen die Kommunen zur Schließung von Bädern, Theatern,
Museen, Büchereien, Jugendzentren usw. und zu Stellenstreichungen, die
dem Heer der Arbeitslosen noch einmal einige Hunderttausend hinzufügen.
Der Wahnsinn, daß der Staat im öffentlichen Sektor seit 1992 schon
mehr als 1,7 Millionen Arbeitsplätze vernichtet hat (und dabei nichts »spart«,
weil ja Steuern, Sozialabgaben und Kaufkraft wegfallen und Unterstützungen
fällig werden), ist unter Rot-Grün erst richtig zur Methode geworden.
Auf Drängen der Kommunen mußte die Regierung eine Kommission einsetzen,
die im Frühjahr 2003 ihr Ergebnis vorlegte: Die Gewinne vor Ort sollten
– wenn auch mit großzügigen Freibeträgen und prozentualen
Abschlägen – wieder gewerbesteuerpflichtig werden und nicht durch
Verschiebungen innerhalb eines transnationalen Firmengeflechts zu mindern sein.
Außerdem sollten auch Freiberufler wie Architekten und Rechtsanwälte
einbezogen werden, sofern sie mehr als 25 000 bzw. 35 000 Euro Gewinn erzielen.
Ihre Gewerbesteuerzahlungen sollten ihnen auf ihre Einkommensteuer angerechnet
werden – eigentlich ein Nullsummenspiel. Immerhin errechneten sich die
Kommunen von diesem überparteilich mit großer Mehrheit erarbeiteten
Kommissionsvorschlag Mehreinnahmen von vier Milliarden Euro – bei rund
zehn Milliarden Euro Defizit in diesem Jahr mehr als ein Tropfen auf den heißen
Stein.
Doch dann putschte die Dreierbande Schröder, Clement, Eichel. Was scherte
diese vermeintlichen Realpolitiker das Grundgesetz, was kümmerten sie die
Verpflichtungen, die sie gegenüber ihren Wählern übernommen hatten?
Der Bundesverband der deutschen Industrie und die Bundesvereinigung der deutschen
Arbeitgeberverbände (BDI und BDA) senkten zum Kommissionsentwurf die Daumen
(»zu teuer für die deutsche Wirtschaft«, »enorme Wettbewerbsverschlechterung
für den Standort Deutschland«). Also legten Wirtschafts- und Finanzministerium
dem Parlament einen Gesetzesentwurf vor, der die Kommunen im wesentlichen doch
wieder so belastete, wie in Eichels »großer Steuerreform«
vorgesehen.
Nach zornigen Reaktionen gestandener sozialdemokratischer Oberbürgermeistern
wie Herbert Schmalstieg (Hannover) gab Eichels Ministerium inzwischen etwas
nach – aber unter dem Strich nicht zu Lasten »der Wirtschaft«,
die vielmehr ihre Steuervermeidungstricks nur etwas umdisponieren muß.
Für die Gemeinden springen vielleicht noch drei Milliarden Euro heraus,
die aber zum großen Teil daraus resultieren, daß ihre Gewerbesteuerabführungen
an Bund und Länder von 30 Prozent jetzt wieder auf 20 Prozent begrenzt
werden. Die öffentlichen Hände insgesamt werden kaum einen Euro mehr
einnehmen, das Finanz- und Industriekapital darf sich weiterhin aus den Kosten
für die kommunale Infrastruktur davonstehlen.
Artikel 20 GG bestimmt: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer
und sozialer Bundesstaat.« Doch neben der Zerschlagung des Sozialstaates
steht auf der »Agenda« die Beseitigung der Demokratie. Die vom Bundeskabinett
vorangetriebene Zerstörung der Kommunen ist glatter Verfassungsbruch.
Erschienen in Ossietzky 22/2003
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