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Restwärme
Volker Bräutigam
Waren Sie je in Papenburg? Die Stadt liegt im platten, dünn besiedelten
Emsland, unweit der holländischen Grenze. Dort, wo man schon mittwochs
sieht, wer samstags zu Besuch kommt. Bekannt wurde Papenburg durch die Meyer-Werft.
Sie baut Ozeanriesen, obwohl zwischen Werft und Nordsee noch 50 Flußkilometer
liegen. Damit so große, schwere, tiefgehende Schiffe hier vom Stapel laufen
und zur Nordsee geschleppt werden konnten, ließ der Staat die Ems auf
das Doppelte ihrer natürlichen Tiefe ausbaggern, allein im wirtschaftlichen
Interesse der Meyer-Werft, trotz schwerer Folgeschäden für die Umwelt.
Nahe bei Papenburg steht ein »Biomasse-Heizkraftwerk«. Mit Biomasse
werden Verbrennungstemperaturen von 850 Grad Celsius erreicht und Dampfturbinen
angetrieben. So entsteht elektrischer Strom. »Ökostrom«. Für
den hat der Gesetzgeber einen Garantiepreis festgesetzt: 8,3 Cent pro Kilowattstunde.
Zu diesem Preis müssen die großen Energiekonzerne, zugleich Inhaber
der Verteilernetze, Ökostrom ankaufen. Im Mix mit ihrem eigenen, konventionell
erzeugten Strom verkaufen sie ihn an die Verbraucher.
Die Biomasse für Heizkraftwerke besteht aus Baumrindenresten, Stroh, Sperrmüll,
Bauholzabfall, Eisenbahnschwellen. Eventuell enthaltenes Dioxin und andere Giftstoffe
werden thermisch gespalten und zerstört. Ein Nutzen. Die bei der Verbrennung
entstehende Wärme läßt sich allerdings – und da steckt
der erste Haken – in diesem Kraftwerkstyp nur zu 30 bis maximal 34 Prozent
zur Stromerzeugung verwenden. Die restlichen mindestens 66 Prozent könnten
zwar noch als Fernwärme dienen. Im dünn besiedelten Emsland gibt es
jedoch kein Fernwärmenetz. Also stehen am Heizkraftwerk Kühltürme,
in denen die Restwärme vernichtet wird. »Öko«-Heizung
für Weißfische und Aale in der Ems.
Der zweite Haken: Im Emsland fällt nicht genügend Biomasse an, um
das Heizkraftwerk damit auszulasten. Folglich wird Biomasse aus dem nahen Holland
herbeigekarrt. Umweltschädigend per Lastwagen. Etwas weniger umweltschädigend
per Schiff. Aber lohnend für die Kraftwerksbetreiber, für die Spediteure
und für die Holländer. Der deutsche Stromverbraucher subventioniert
mit hohen, gesetzlich garantierten Öko-Strompreisen holländische Abfallbeseitigungsunternehmen.
Das ist nicht nur ein Friesenwitz. Auch die Hamburgische Electricitätswerke
AG, Tochtergesellschaft des schwedisch-deutschen Energie-Riesen Vattenfall,
betreibt den Bau eines »Biomasse-Heizkraftwerks«. Fernwärmeanschluß
oder andere Formen der Restwärmenutzung sind wiederum nicht vorgesehen.
Aber Kühltürme. Die Aale in der Elbe sollen gleichfalls nicht länger
frieren.
In unserem Land sind Fernwärmenetze selten. Einrichtung und Betrieb wären
teuer. An Fernwärme besteht nur saisonaler Bedarf. Sie »rechnet sich
nicht« – für die Anbieter. Folglich sind viele »Biomasse-Heizkraftwerke«
bloße Kraftwerke mit schändlich niedrigen Wirkungsgraden.
*
Nicht alles am »Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien«
ist so mißraten. Die Förderung der Energiegewinnung aus Windkraft
verdient ein günstigeres Urteil. Die Verspargelung ganzer Landstriche mit
Windkraftanlagen müssen wir zwar in Kauf nehmen. Aber es gibt häßlichere
Industriebauten in unserer »Kul¬ turlandschaft«.
Großkonzerne wie EnBW, Eon, RWE und Vattenfall müssen laut Gesetz
auch den aus Windenergie gewonnenen elektrischen Strom für mindestens 8,3
Cent pro Kilowattstunde aufkaufen. Unbegrenzt, von jedem Windkraftwerksbetreiber,
20 Jahre lang; danach besteht Abnahmepflicht nur noch zu Marktpreisen. An den
Rand des Ruins bringt das die Konzerne keineswegs. Nicht einmal die vorgeschriebenen
48 Cent pro KW/h für Solarstrom führen dorthin. Die Konzerne wälzen
den Kostendruck auf die Verbraucher ab.
Selbst im langen und extrem kalten vergangenen Winter konnten die Netzbetreiber
an der Börse Einkaufspreise zwischen 60 und 70 Euro pro Megawatt aushandeln,
also maximal sieben Cent pro Kilowatt. Das war ein Preismix aus Kosten für
erneuerbare Energie (elf Prozent, inklusive Strom aus Wasserkraft) und für
traditionell erzeugte Energie (89 Prozent). Industrielle Großabnehmer
bezahlten ihnen dann 8,5 Cent und mehr für die Kilowattstunde, Privathaushalte
sogar bis zu 18 Cent. Mit der Differenz zwischen Gestehungskosten oder Einkaufspreisen
einerseits und Verkaufspreisen andererseits erwirtschaften die großen
Energieproduzenten und Netzbetreiber nicht nur den Ausgleich ihrer Kosten, sondern
saftige Gewinne.
Die Eigentümer der Windkraftanlagen hingegen machen ihren Schnitt allein
aufgrund der gesetzlichen Preis- und Abnahmegarantie. Die Kosten für Windräder
amortisieren sich binnen vier bis sechs Jahren. Danach beginnt das Geldverdienen.
Deshalb wurde Deutschland Weltmeister: Hier stehen inzwischen mehr als 14 000
Windkraftwerke. Monatlich kommen weitere 100 dazu. Ein Ende des Booms ist nicht
abzusehen.
Wenig wäre einzuwenden, wenn auf dem Land in gleichem Maße wie Windkraft-
auch Biogasanlagen errichtet würden. Bioabfälle und Fäkalien
setzen in diesen Anlagen Wärme und Methangas frei, die verbleibende Festmasse
läßt sich zu Humus kompostieren. Die Wärme kann unmittelbar
genutzt, das Methan mittels Gasturbinen zur Erzeugung von Elektrizität
verwendet werden. Biogasanlagen haben einen hohen Wirkungsgrad und helfen zudem
bei der Reinhaltung des Grundwassers, weil mit Kompost statt mit Jauche gedüngt
werden kann.
*
Eigentum am Stromnetz haben aufgrund des rücksichtslosen Verdrängungswettbewerbs
auf dem sogenannten Energiemarkt nur noch die schon genannten Großkonzerne
und etliche, meist finanziell arg bedrängte Stadtwerke. Es wacht kein amtliches
Kontrollorgan wie in der Telekommunikation oder bei der Post.
Als regionale Monopolisten erzielen die großen Konzerne nicht nur aus
dem Verkauf konventionell erzeugter Energie ihre Milliardengewinne. Sie nutzen
gleichfalls, wie der Eigentümer einer kleinen Windkraftanlage, das gesetzliche
Garantiepreissystem für erneuerbare Energie und produzieren selbst »Öko¬
strom« in Biomasse-»Heizkraftwerken«, die nicht heizen. Darüber
hinaus haben die Konzerne inzwischen große Beteiligungen an Windkraft-Energieparks
erworben und profitieren an diesem Geschäft, das sich als höchst profitabel
erwiesen hat. Wer frühzeitig an der Börse Anteilscheine an Ökostrom-Ge¬
sell¬ schaften erworben hat, konnte innerhalb weniger Jahre Gewinne von
mehr als 1000 Prozent einfahren. Öko-Wanderpredigern wie Franz Alt dienten
solche Gewinnspannen als Werbeargument für Börsenspekulationen mit
Papieren der Ökoenergiebranche.
Die ökologische und demokratische Energiewende hat bisher nicht stattgefunden;
nicht einmal der Abschied von der Atomenergie ist perfekt. Das Parlament hat
viele Möglichkeiten. Ein Gesetzgeber, der nicht eng mit den Energiekonzernen
verbandelt wäre, könnte die Mindest-Wirkungsgrade anheben, die in
Biomasse-Heizkraftwerken erreicht werden müssen, ehe deren Betreiber Preisgarantien
genießen. Von 29 auf – sagen wir – 60 Prozent. Er könnte
unterschiedliche Garantiepreise für Ökostrom festsetzen: niedrige
für große Konzerne, denn es wäre pervers, sie zu subventionieren,
hohe für kommunale und genossenschaftliche Anbieter, die dadurch gestärkt
würden. Im Falle der Kommunen sprächen die Dezentralität der
Energieversorgung und die bürgernahe Verwaltungsform dafür. Bei Genossenschaften
käme hinzu, daß alle Mitglieder gleiches Stimmrecht haben; sie sind
demokratieverträglicher als Aktiengesellschaften. Die Gefahr von Machtmißbrauch
wäre geringer; Verschwendung wie bei den »Heizkraftwerken«
stieße auf Widerspruch. Die Elektrizitätsnetze könnte der Gesetzgeber
enteignen und öffentlich-rechtlichen Instituten überlassen. Soziale
Vernunft und ökologische Interessen hätten gesiegt.
Dieser Tage wurde bekannt, daß im österreichischen Bundesland Vorarlberg
jede dritte Kommune ein Heizkraftwerk mit Biomasse betreibt – angeschlossen
an ein Fernwärmenetz. Man kann also, wenn man wirklich will.
Von unseren Politikern läßt sich eine Weichenstellung in die gleiche
vernünftige Richtung jedoch noch weniger erwarten als Kondomwerbung von
einer päpstlichen Enzyklika.
Erschienen in Ossietzky 21/2003
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