Zweiwochenschrift
10/2017 9/2017 8/2017 7/2017 6/2017 5/2017
Archiv
Abonnement
Impressum
Plattform SoPos
|
|
|
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können.
Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror.
Den Aufsatz kommentieren
Hamburg privatisiert die Berufsschulen
Horst Bethge
Wiederholte Stromausfälle in den USA mit teilweise katastrophalen Folgen
haben dort zum Nachdenken angeregt, ob es sinnvoll ist, wesentliche Teile der
Infrastruktur, wie es Stromleitungsnetze sind, privaten Eigentümern zu
überlassen, die gern daraus Rendite ziehen, aber ungern Geld aufwenden,
um sie zu pflegen und instandzuhalten. Auch in Deutschland, wo Bund, Länder
und Gemeinden mehr und mehr Gemeinschaftseinrichtungen privatisieren, um mit
dem Erlös Schulden bei den Banken abzuzahlen, gibt es allen Grund, darüber
zu debattieren, ob ausgerechnet die kurzfristigen Verwertungsinteressen des
Kapitals die besten Garanten für die gesellschaftliche Daseinsvorsorge
sind, zum Beispiel auch für das Bildungswesen.
Geht es nach dem Willen des Hamburger CDU/FDP/Schill-Senats und der Handelskammer,
sollen die 48 beruflichen Schulen des Stadtstaats mit 56 000 SchülerInnen
und 3800 Beschäftigten vom nächsten Jahr an nicht mehr staatlich,
sondern privat betrieben werden –herausgelöst aus der behördlichen
Schulverwaltung, geleitet von einer Stiftung, in deren Vorstand die Unternehmensvertreter
ein Vetorecht erhalten sollen. Stiftung deshalb, weil man dann auch die verbeamteten
BerufsschullehrerInnen zwingen könnte, dort zu arbeiten. Das wäre
nicht möglich, wenn die Handelskammer die Berufsschulen direkt in ihre
Regie nähme, wie sie es schon seit 2001 als ersten Schritt zur Privatisierung
des gesamten Schulwesens fordert.
Die Berufsschulen sollen nun in Berufsbildungszentren (BBZs) neu geordnet, (Vollzeit-)Fachschulen
oder Fachoberschulen zumeist geschlossen, die jungen Leute früh auf die
von der Handelskammer kreierten Kurzberufe wie Barkeeper, Parkplatzwächter
oder Filmvorführer orientiert werden. Der Schulsenator, Admiral a. D. Lange
(FDP), bereitet diesen Systemwechsel nun fieberhaft vor, in enger Konsultation
mit der Handelskammer, die sich eigens aus der Kölner Zentrale des Bundesverbands
der deutschen Industrie personelle Verstärkung geholt hat. Die Fachleute
der Schulbehörde werden kaum einbezogen. Privat lasse sich die Berufsbildungsmisere
besser lösen, so das Credo des Senators.
Durch negative Erfahrungen mit rigider Privatisierungspolitik in vielen Ländern
der Welt läßt er sich nicht beeindrucken. Auf Diskussionen darüber
läßt er sich überhaupt nicht ein, sondern folgt einfach der
Ideologie, alles sei besser, wenn es privat sei –was für die Aktienbesitzer
durchaus gelten mag. Für die große Zahl der Bahnreisenden und Postkunden
hatte die Privatisierung der beiden Bundesunternehmen gewiß keine Vorteile.
Andere Beispiele: die Elektrizitätsversorgung, nicht nur in den USA. In
London die U-Bahn. Das Ge¬ sundheitswesen in Großbritannien und den
USA. In Chile das Bildungswesen: Seitdem es privatisiert wurde, sank das Bildungsniveau,
sanken auch die Lehrergehälter, für die Unterpriviligierten ist die
Schule dennoch kaum mehr bezahlbar. Als 1989 in Neuseeland die Schulwahlfreiheit
eingeführt wurde, sammelten sich die lernschwachen Schüler bald an
einzelnen Schulen, desgleichen die Schüler einzelner Ethnien. In Ontario
(Kanada), wo Eltern für jedes Kind, das eine Privatschule besucht, 3500
Dollar Steuerabschlag erhalten, während die staatlichen Aufwendungen für
die öffentlichen Schulen gekürzt wurden, gab es bald wenige gut ausgestattete
Privatschulen und viele schlechte öffentliche. Private Bildungsfirmen profitierten.
Sie sind nicht an staatliche Normen für die Lehrerausbildung gebunden.
In USA führt die Erhöhung der Studiengebühren an privaten Hochschulen
dazu, daß arme Familien heute 26 Prozent ihres Familienbudgets ans College
zahlen müssen, doppelt so viel wie früher – und immer weniger
junge Leute studieren.
Ohne Rücksicht auf all diese Verluste bereiten nun in Hamburg der Senator
und die Handelskammer den Systembruch vor: Ein ganzer Bildungsbereich soll privatisiert
werden. Dagegen entwickelt sich aber breiter Widerstand. Der DGB, attac, die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Schüler- und Elternorganisationen
haben eine »Volksinitiative gegen die Privatisierung der beruflichen Schulen
in Hamburg« gegründet und wollen unter dem Motto »Bildung ist
keine Ware« mit einem Volksentscheid die Privatisierung verhindern. Für
die erste Stufe der Volksinitiative haben sie schon 25 000 Unterschriften gesammelt.
Einige Wirtschaftsunternehmen, darunter der Otto-Versand, haben erklärt,
daß sie im Prinzip mit den öffentlichen Berufsschulen zufrieden sind.
Erziehungswissenschaftler der Universität warnen vor dem Systembruch.
Fällt erst einmal die öffentliche Verantwortung für die Berufsschulen,
wird auch die Privatisierung anderer Schulbereiche nicht lange auf sich warten
lassen. Bei den internationalen Verhandlungen über ein General Agreement
on Trades of Services (GATS), das Bildung, Wasser, Gesundheit als Waren definiert,
steht letztlich der gesamte Staat und dessen Steuerfinanzierung zur Disposition.
Darauf dringen große Bildungskonzerne wie Bertelsmann, Merill Lynch, Education
Testing Services (ETS) und Sylvan Learning System (SLS). ETS und SLS sind schon
in der BRD tätig: Sie nehmen die Auswahl der deutschen Studenten vor, die
Stipendien für die USA und Kanada erhalten, und unterziehen BewerberInnen
für zahlreiche Graduiertenstudien ihrer »Testbatterie«.
SPD und Grüne beteiligen sich nicht am grundsätzlichen Widerstand,
sie beschränken sich darauf, das Stiftungsmodell abzulehnen. Um so größer
und schwerer ist die Aufgabe der außerparlamentarischen Bewegung –
auch deswegen, weil der Senat noch etliche andere Privatisierungen plant, zusammengestellt
seit Jahresfrist in der »Jesteburger Liste«, benannt nach dem Ort,
wo der Senat über diese Liste beriet. Die Hamburger Elektrizitätswerke
(HEW) wurden an den Stromkonzern Vattenfall schon vom Vorgängersenat verkauft.
Die Krankenhäuser, mit 13 500 Beschäftigten Hamburgs größter
Arbeitgeber, stehen ebenfalls auf der Liste. Ämter wie der Luftmeßdienst,
die Hamburger Wasserwerke oder die Gewerbeaufsicht werden als nächste genannt.
Eine Volksinitiative gegen den Verkauf der Krankenhäuser hat schon 106
000 Unterschriften gesammelt. Aber reicht es, gegen jede einzelne Privatisierung
Volksinitiativen zu starten? Die Presse hält sich zurück. Die Industriegewerkschaften
tun so, als ginge sie das, was im öffentlichen Dienst geschieht, nichts
an. Und die Wissenschaftler? Sind großenteils empfänglich für
modischen Neoliberalismus, spötteln billig über die Bürokratie
und tragen damit zur Privatisierungskampagne bei. Daß es seit der Französischen
Revolution immer einen Kernbereich der Gesellschaft gab, der von kapitalistischer
Konkurrenz freigehalten wurde, ist ihnen nicht geläufig.
Da sind die Auszubildenden und SchülerInnen der G19, der Berufsschule für
Bauberufe, schon weiter. Kurzerhand besetzten sie ihre Schule. Zwei Tage lang
befaßten sie sich selbst mit Privatisierung, GATS und einer Berufsbildung,
wie sie selber sie brauchen und wünschen.
Erschienen in Ossietzky 21/2003
|