Manfred Güllner, Demoskop. - Als Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa haben Sie Erfahrung darin, dem Bundeskanzler Deutungen zu liefern, die ihn an sich selbst und seiner Politik nicht zweifeln lassen. Die schlechten Umfrageergebnisse für die SPD haben Sie jetzt so erklärt: "Die Menschen ziehen nicht den Reformkurs der Regierung an sich in Zweifel, sondern sie haben nicht genug Vertrauen, daß Schröder diese Politik auch wirklich durchsetzen kann." Das nennen wir Interpretationskunst - die Arbeitslosen, die Rentner und die Krankenkassenmitglieder würden wieder auf die SPD setzen, wenn sie nur sicher sein könnten, daß diese sie noch nachhaltiger schröpft.

Michael Rogowski, BDI-Präsident. - Über den stern haben Sie mitgeteilt: "Ich schließe nicht aus, daß ich Gerhard Schröder wähle." Sie sind ein schlauer Fuchs. Bis zur nächsten Bundestagswahl wird sich der Kanzler noch viel Mühe geben und viele AltwählerInnen seiner Partei enttäuschen müssen, um Anwärter auf Ihre Stimme zu bleiben. Und fest versprochen haben Sie ihm nichts.

Harald Schartau, SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen. - Als Chef des stärksten Landesverbandes Ihrer Partei machen Sie sich mit der Amtsautorität eines Ministers für Wirtschaft und Arbeit dafür stark, daß die SPD auf das Logo "Sozialismus" verzichtet: "Es macht keinen Sinn für unsere Partei, Begriffe hochzuhalten, die keinen Inhalt mehr besitzen." Aber vielleicht ist das ein bißchen schlicht gedacht. Ein Präsidiumsmitglied Ihrer Partei (der Name wurde nicht genannt) gab einem Journalisten folgenden Hinweis: "Wir sollten unseren Leuten bei all den sozialen Zumutungen nicht auch noch den Begriff Sozialismus wegnehmen."

Bascha Mika, taz-Chefredakteurin. - Den begehrten Aufmerksamkeitsgewinn haben Sie erreicht, als sie dem Bild-Chef Kai Diekmann für einen Tag Ihren Platz überließen. Wir fragen uns, was sich daraus weiter machen läßt. Daß Diekmann zu Ihrer Zeitung überwechselt, ist nicht zu erwarten. Sie allerdings könnten bei Bild ein Plätzchen finden, wenn Sie sich weiter bewähren. Die Chef redaktion seines Blattes wird Ihnen Diekmann jedoch nicht überlassen, nicht mal für einen Tag.

Peter Krug, evangelischer Bischof in Oldenburg. - Nachdem die Bundesregierung keine "schwerwiegenden Einwendungen" (Militärseelsorgevertrag) gegen Sie erhoben hatte, wurden Sie im Berliner Dom (der schon so manche Kriegspredigt gehört hat, beispielsweise am 4. August 1914 vom Hofprediger von Dryander: "Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?") in das Amt des Militärbischofs eingeführt. Das geschah in Anwesenheit des Generalinspekteurs Schneiderhan, des Wehrbeauftragten Penner, Ihres katholischen Kollegen Mixa und des für die Finanzierung Ihrer Institution zuständigen Bundesministers Struck. In Ihrer Predigt entfalteten Sie die Vision aus Psalm 85, "wo Gerechtigkeit und Friede sich küssen", und der Minister erklärte, wo das sein soll: "bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr", wo "der Schwerpunkt der Seelsorge liegen" wird. Zugleich empfingen Sie den ersten Marschbefehl für Ihre etwa 150 Mann starke Seelsorgetruppe: Ziel ist Kundus in Afghanistan. Nach Ihrer einstigen Kriegsdienstverweigerung mußten Sie die alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch lernen, jetzt kommt noch Orwells "Neusprech" hinzu, wonach "Krieg" Frieden und "Frieden" Krieg meint. "Gerechtigkeit" ist allerdings im Wörterbuch des Großen Bruders gar nicht mehr vorhanden. Schade um den Predigtkuß!

Erschienen in Ossietzky 20/2003