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Aber es ist immer wieder das gleiche beklemmende Gefühl beim Betreten. Das mehrfache Schnappen der Sicherheitsschlösser, die Gittertüren und Gitterzäune, die langen Gänge mit den Zellentüren und den aufklappbaren Öffnungen darin. Was ich sehe, ist eine kleine Stadt in sich: Arztpraxis mit Wartezimmer, Kirchenraum, Bibliothek, Fitneßraum, Schule, Sportgelände im Hof. Auf der ersten Etage spielen welche Billard. Im ärmellosen Unterhemd, braungebrannt, auf muskulösen Armen tätowiert, Haare kurz geschoren, so, wie sie das draußen schon waren, golden glänzende Ohrringe. Sie mustern mich, teils herausfordernd, teils angetan von meinem Interesse an ihrem Spiel. "Aha, wahrscheinlich der Schreiber, der heute kommen soll." In ihrer Zeitung Gitterpost wurde ich angekündigt. Zu dieser Veranstaltung sollten sich Interessierte melden. Es ist heiß im viel zu heißen Sommer. Einige Zellentüren sind deshalb weit geöffnet. Der Vollzugsbeamte fragt mich, ob ich dort einmal hineingucken möchte. Mir ist eine solche Besichtigung peinlich. Aber er steht schon drin, fragt, ob der Insasse einverstanden ist. Er ist es. Sitzt auf seiner Pritsche und lächelt so verlegen wie ich. Einen kleinen Tisch gibt es noch. Die Zellenecke neben der Tür ist durch einen Vorhang abgeschirmt. Sonst nichts. Das Klima miserabel. In einer Gefängniszelle werden die Fenster nicht geöffnet. Mich überfällt Platzangst und das Unbehagen, wie es ist, wenn sich die Tür dort schließt. Ich weiß nichts Besseres, als ihm die Hand zu geben und ihm zu wünschen, daß er hier bald herauskommt. Zur Lesung sehe ich ihn wieder. Etwa dreißig andere dazu, um die zwanzig Jahre jung. Keine Eierdiebe. Ihre Verhaftungsgründe sind schwerer Raub, Körperverletzung, Diebstähle, Drogenhandel bis hin zum Mord. Ich versuche das zu vergessen, beginne einen Satz mit den Worten: "Ich sitze hier..." Sie lachen. Einer sagt: "Nein, wir sitzen hier." Da löst sich die Verkrampfung, und ich lasse sie entscheiden, aus welchem meiner Bücher sie hören wollen. Dazu kommt es aber erst viel später. Sie stellen gleich Fragen, äußern ihre eigene Meinung oder stimmen mir zu. Fast eine Stunde lang. Solches erlebe ich draußen selten. Dort bemühen sie sich kaum noch, aus sich herauszugehen. Als ich fertig bin, wünsche ich ihnen alles Gute und keine Rückkehr. Einige kommen nach vorn und schütteln mir die Hand. Einer sagt auf erzgebirgisch: "Komm gut hamm." Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich dafür eine andere. Ich begreife, wenn auch widerstrebend berührt, daß sie eine suchen. Die DDR ist ihnen fremd. Als sie zu Ende ging, begann für sie eine neue Schule. Wer etwas darstellt, ist 'was. Wer arm ist, auf den treten sie. Sie wuchsen in eine Gesellschaft, die beherrscht wird von den Medien und der Werbung. Die meisten Eltern wandten sich von ihnen ab und ihrer Arbeitslosigkeit zu. Gewalt wurde zu einem Unterhaltungsmittel für sie. Überall wird ihnen vorgeführt, was sie sich alles kaufen können und leisten sollen, um frei zu sein: schnelle Autos, schöne Frauen, große Partys, volle Warenregale. Nur keine Arbeit. Die Zeitungen und Fernsehsendungen sind voll von Berichten über hohe Wirtschaftsverbrecher, Steuerhinterzieher, Geldunterschlager, Schmiergeldzahler, Parteiengeldverheimlicher - die Erwachsenen, die ihnen als ihre Vorbilder gegenübertreten. Sie erleben, wie jene fast immer dank guter Rechtsanwälte durch diesen Sumpf und das Gesetzeslabyrinth hindurchkommen. Also versuchen sie es auch in ihrer viel kleineren Welt, versuchen es eben um vieles kleiner. Sie knacken Autos, schöne Frauen, volle Kassen, Warenlager. Denn sie besitzen ja eines nicht: Geld. Das haben sie nicht bedacht. Dieser Staat vergibt denen, die sich freikaufen und zurückzahlen können. Aber er kennt keine Gnade denen gegenüber, die kein Geld besitzen. Die Gläubiger lauern überall. Und am gefährdetsten sind die Jugendlichen. Noch mehr diejenigen darunter, die mangels Bildung ihre eigene Lage nicht einschätzen können. Ich habe vor solchen gesessen, mitgesessen, ihre Vergehen nicht entschuldigt, hae aber begriffen, daß sie in einen Teufelskreis geraten sind, der ihnen verantwortungslos tagtäglich vorbereitet wurde, draußen in einer Welt, vor der sie im Moment geschützt sind. Aber viele kehren hierher wieder zurück. Denn draußen will sie keiner, die vorbestraften Knastbrüder, in einer Gesellschaft, die ohnehin für Jugendliche kaum Arbeit hat. Wie nun sollen sie Fuß fassen, begreifen, daß Gewalt ihre Lage nicht ändert? Ich gestehe, ich weiß es nicht. Vielleicht macht Verzicht, Bescheidenheit glücklicher. Aber um das hier drinnen begreiflich zu machen, müßte man erst einmal draußen damit anfangen.
Erschienen in Ossietzky 20/2003 |
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