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Die wunderschönen alten Bürgerhäuser, die sehr gut restauriert wurden, das alte Rathaus und das Schloß sind abgebildet. Der Name Münsterberg (in der Broschüre steht "Münstenberg") wird nur einmal unter der Jahreszahl 1253 erwähnt, als wäre die deutsche Geschichte lediglich eine kurze Episode gewesen. In meiner Geburtsstadt Gleiwitz (230 000 Einwohner) treffe ich einen Studenten der Technischen Hochschule, der kurz vor seinem Examen steht. Wir unterhalten uns auf Englisch. Als ich ihm sage, daß ich in Gleiwitz geboren bin, will er das Gespräch auf Polnisch weiterführen, weil er mich für einen Polen hält. Obwohl er seit vier Jahren in Gliwice lebt, wußte er nicht, daß die Stadt einmal deutsch war. Ich verstehe diese Unkenntnis nicht. Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn die Jugend geschichtslos aufwächst? Damals sind die einen von Deutschen überfallen, dann die anderen von Polen vertrieben worden, beides darf nicht gegeneinander aufgerechnet, aber auch nicht geleugnet werden. Sonst sind die Reden von Aussöhnung, europäischer Gemeinschaft und gutnachbarlichen Beziehungen hohle Worte, und unter dem Lack der offiziellen Verständigungspolitik schwelen die Vorurteile und Animositäten, das schlechte Gewissen und hier und da auch der Haß, vererbt von einer Generation auf die andere. Ich möchte wissen, warum es in Polen bis heute nur in Ausnahmefällen gelingt, die deutsche Vergangenheit jetzt polnischer Gebiete in die eigene Geschichte zu integrieren. Danach frage ich Piotr, den Wirt eines Cafés in der Gegend von Otmuchow (ehemals Ottmachau). Er spricht recht gut Deutsch, ein gemütlich wirkender korpulenter Mittdreißiger, der mir erzählt, daß er mehrere Jahre als Koch in Amsterdam und Frankfurt a. M. gearbeitet hat. "Das müssen Sie verstehen", erklärt Piotr. "Viele meiner Landsleute machen es sich leicht: Für sie sind die Deutschen Täter, weil sie damals Polen überfallen haben. Daß bei Kriegsende dann die Menschen, die hier lebten, zu Opfern wurden, will man nicht zur Kenntnis nehmen. Denn Täter dürfen keine Opfer sein. Außerdem ist die Opferrolle günstiger, weil man Ansprüche stellen kann. Sie verstehen? Selbstverständlich wissen die Leute hier, daß diese Gegend bis 1945 deutsch war. Aber sie tun so, als wäre das unerheblich. Und sie wollen nicht wahrhaben, daß die Vertreibung von Millionen Menschen ein Unrecht war. Wenn das immer noch ein Tabuthema in Polen ist, liegt das wohl auch an schlechtem Gewissen: Ebenso wenig wie die Täter Opfer sein dürfen, sollen die Opfer Täter sein." Piotr schaut mich prüfend an, bevor er fortfährt: "Ich halte das für einen großen Fehler. Schließlich ist Deutschland das größte Land in der EU und unser nächster Nachbar. Es ist ja auch bekannt, daß die Deutschen viel zahlen und den Beitritt Polens zur Europäischen Union gefördert haben. Die meisten unserer Politiker reden von freundschaftlichen Beziehungen, tun aber konkret sehr wenig dafür. Das müßte sich ändern." Ich erfahre, daß Piotr in der Gegend von Ziebice aufgewachsen ist, und zwar in einem Haus, das seine Familie 1945 von Deutschen übernommen hatte. "Das weiß ich aus den Berichten meiner Großeltern", erzählt er. "Sie wurden aus der Ukraine nach Schlesien umgesiedelt, und das Haus, das ihnen damals von der Militärverwaltung zugewiesen wurde, gehörte einer deutschen Frau, deren Mann im Krieg gefallen war. Zuerst wollten meine Großeltern die Frau und ihre drei Kinder rausschmeißen, aber dann hatten sie Mitleid und überließen ihnen zwei Zimmer. Mein Vater wuchs nach dem Krieg praktisch zusammen mit den deutschen Kindern auf. Wenn er darüber sprach, spürte ich immer seine Verlegenheit, denn den Deutschen war fast alles weggenommen worden, und sie wurden nicht gut behandelt." Piotr fügt hinzu: "So wie die Polen vorher von den Deutschen nicht gut behandelt worden waren. Ein Bruder meines Vaters ist im KZ umgekommen, und ein anderer Bruder war als Zwangsarbeiter in Deutschland." In Gliwice treffe ich tags darauf den Geschäftsführer des Hauses der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit, Thaddäus Schäpe. Diese Institution, die es seit 1998 gibt, macht es sich unter anderem zur Aufgabe, "Stereotypen und Vorurteile im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen" abzubauen und ein "positives Klima und Umfeld für die deutsche Minderheit" zu entwickeln. Schäpe ist im polnischen Oberschlesien geboren und seit dem 13. Lebensjahr in Westdeutschland aufgewachsen, kennt also beide Seiten aus eigener Erfahrung. Er spricht von einer "ethnischen Säuberung und Polonisierung" der Region und einer jahrzehntelangen Leugnung alles Deutschen. Ein weiteres Verschweigen der deutschen Vorgeschichte dieser Gebiete werde sich "mittel- und langfristig nachteilig auf das deutsch-polnische Verhältnis auswirken". Schäpe plädiert für mehr kulturellen Austausch und eine faire Geschichtsaufarbeitung. Es könne nicht länger hingenommen werden, daß der Begriff Oberschlesien/Górny Slask nach wie vor auf deutscher Seite mit "Revanchismus" und "ewig Gestrigen", auf polnischer Seite mit "Vaterlandsverrat" in Verbindung gebracht werde. Wieder in Krakau, gerate ich auf dem Rynek ins Gedränge. Polen feiert Mariä Himmelfahrt und gedenkt zugleich des "Wunders an der Weichsel", womit der Sieg Marschall Pilsudskis über die Bolschewiki am 15. und 16. August 1920 gemeint ist. Ein Volksfest mit Piroggen, Gebäck, Suppen, mit Theater und Musik. Besucherströme ergießen sich vom Rynek zum Wawel-Schloss, wo sich in der Kathedrale die Gräber der Könige, des Dichters Adam Mickiewicz und der als Nationalhelden gefeierten Heerführer Pilsudski und Kosciuszko befinden. Die Marienkirche ist in den Nationalfarben beflaggt. In den folgenden Wochen spreche ich in Krakau, Warschau und Breslau mit Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern. Eine Krakauer Slawistin: "Wen, außer diesen Leuten von der Landsmannschaft, interessiert das noch, daß Wroclaw früher Breslau oder Gliwice einmal Gleiwitz hieß? Jetzt wollen die in Berlin ein ‚Zentrum gegen Vertreibungen' einrichten. Die haben wohl vergessen, wer den Krieg begonnen hat." Ein Warschauer Politologe und Ost-West-Experte meint, man müsse in Polen aufpassen, daß man nicht zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen und Rußland auf der anderen Seite gerate. Deswegen sei die Annäherung an die USA weiter voranzutreiben, wodurch außerdem die Position des Landes innerhalb der Europäischen Union gestärkt würde. In ähnliche Richtung geht, was mir ein ehemaliger Staatssekretär, Kolumnist eines Warschauer politischen Magazins, sagt: Polen müsse für sich einen Hilfsfonds fordern, ähnlich dem Marshallplan seinerzeit für Deutschland. Die westeuropäischen Staaten hätten Polen jahrzehntelang dem kommunistischen Regime überlassen, jetzt brauche es dafür einen finanziellen Ausgleich. Meinen Einwand, daß Polen von Deutschland bereits mehr Geld bekommen und weiter von der EU zu erwarten habe, als Deutschland jemals aus dem Marshallplan erhielt, tut er mit einem Achselzucken und einigen Floskeln ab. Man will mehr. Kurz darauf höre ich von einem anderen Journalisten: "Es ist doch ein Unding, daß es denjenigen, die den Krieg verloren haben, wirtschaftlich besser geht als denjenigen, die den Krieg gewonnen haben." Ein Krakauer Hochschullehrer schwärmt sogar von einem "Großpolen" in den Grenzen von 1921, als Pilsudski die polnische Ostgrenze um etwa 250 Kilometer auf sowjetisches Gebiet vorgeschoben und Teile von Litauen annektiert hatte. Und ein ehemaliger Botschafter hält zwar die US-Bevölkerung für überwiegend ungebildet und dumm, die Bush-Regierung für korrupt und die US-Medien für verlogen, den Eintritt Polens in den Irak-Krieg jedoch für gerechtfertigt, obwohl - wie er zugibt - ein Verstoß gegen das Völkerrecht vorliegt; in der großen Politik gehe es um Macht, nicht um Recht, sagt er, und es sei immer besser, auf der Seite der Macht zu stehen. Erfrischend, wenn sich eine Krakauer Journalistin, mit der ich mich darüber unterhalte, an den Kopf tippt; sie hält das für "Macho-Getue und Größenwahn". Aber am Kiosk sehe ich das Titelblatt des vielgelesenen Magazins wprost: Bundeskanzler Gerhard Schröder auf Knien, geritten von der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach in SS-Uniform mit Totenkopfemblem und roter Hakenkreuzbinde - ein Bild, das falsche Vorstellungen weckt. Dann höre ich einen Vortrag des ehemaligen österreichischen Generalkonsuls in Krakau, Emil Brix. Er spricht von einer zunehmenden Ellenbogenmentalität, die er in Polen festgestellt habe, von den vielen Habenichtsen und der kleinen Minderheit, die sich in den Jahren seit der Wende geschickt zu bereichern wußte. Manchmal, sagt er, fühle er sich "an amerikanische Western" erinnert, "wo sich jeder gegen jeden stellt". Bedenkenswerte Worte, die jedoch kaum Gehör finden; sie passen nicht ins Bild, und Kritik ist ohnehin nicht gefragt. Der Beitritt Polens zur EU wird sicherlich dazu führen, daß sich die Lebensbedingungen nach und nach angleichen - nicht nur wirtschaftlich und technologisch, auch der kulturelle Austausch kann und muß dazu beitragen, und hier hat Polen viel zu bieten. Grundlage der Verständigung zwischen Polen und Deutschen ist der endgültige Verzicht Deutschlands auf seine ehemaligen Ostgebiete im Jahre 1990. Eine weitere Voraussetzung ist, daß die deutsche Kriegsschuld nicht vergessen und nicht heruntergespielt wird; sie darf aber - 58 Jahre nach Kriegsende - auch nicht mehr instrumentalisiert werden. So müßte es gelingen, aus der Verkniffenheit herauszukommen, die heute noch oft zu spüren ist. Wolfgang Bittners neues Buch "Gleiwitz heißt heute Gliwice" (168 Seiten, 12.90€) ist zweisprachig gemeinsam von einem deutschen (Athena) und einem polnischen Verlag herausgebracht worden. Es enthält Essays und Erzählungen, in denen er die deutsch-polnische Vergangenheit reflektiert, auch am Beispiel seiner Familie und eigener Kindheitserfahrungen im Jahre 1945.
Erschienen in Ossietzky 20/2003 |
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