Partner Türkei

von Eberhard Schultz

Als kürzlich der türkische Ministerpräsident Erdogan zu Besuch war, ging es darum, den EU-Beitritt seines Landes vorzubereiten. Politiker und Medien berichteten aus diesem Anlaß viel über immense Fortschritte der Türkei unter ihrem neuen Regierungschef - dem Führer einer islamischen Partei, wie man ihn sich hierzulande offenbar wünscht. Scheint es ihm doch - trotz einer astronomischen Inflations-, Arbeitslosigkeits- und Kriminalitätsrate und trotz der Ablehnung des Krieges gegen Irak bei mehr als 90 Prozent der Bevölkerung - zu gelingen, dieses strategisch wichtige Land ruhig und bei der NATO-Stange zu halten. Nur die Proteste aus CDU-Kreisen, die die EU lieber christlich rein halten wollen, störten die Eintracht.

Dabei hätte die politische Klasse, die doch zur Wahrung der Menschenrechte gegenüber manchen Ländern sogar Präventiv-, sprich Aggressionskriege zu führen bereit ist, Anlaß zu massiver Kritik und weitergehenden Reaktionen auf die fortdauernden systematischen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei einschließlich Folter, vor allem in Fällen der "Staatssicherheit" - so heißen dort die Gerichte für politische Strafsachen und sogenannte Organisierte Kriminalität.

Amnesty international (ai) hat sich deswegen erneut an die Öffentlichkeit gewandt und erschreckende Fakten aufgezählt. Einige neue Vorschriften, die die Folter angeblich verhindern sollen, werden, wie ai berichtet, umgangen, Folterer nicht nur nicht bestraft, sondern befördert.

Die Abschiebung politisch aktiver Kurden in die Türkei und besonders der Fall des kurdischen Exilpolitikers Cevat Soysal zeigen exemplarisch, warum man das Thema lieber auf kleiner Flamme hält: Im Juli 1999 wurde Soysal, der in der Bundesrepublik Deutschland als politischer Flüchtling und Asylberechtigter anerkannt ist, vom berüchtigten türkischen Geheimdienst MIT aus Moldawien in die Türkei entführt und dort zehn Tage lang aufs schwerste gefoltert (s. Ossietzky 4/02). Inzwischen verurteilte ihn die "Staatssicherheit" zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren und neun Monaten. Im Strafverfahren wurde er nicht etwa mit Beweisen für seine angebliche Terrortätigkeit für die PKK-Führung konfrontiert, sondern Schikanen und Drohungen ausgesetzt. Seine Folterschäden und schweren Krankheiten (u.a. Hepatitis B) wurden nicht behandelt, sondern geleugnet, hartnäckig auch gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. Dort ist seit 1999 eine Menschenrechtsbeschwerde anhängig; über den Antrag auf Eil maßnahmen wegen der völkerrechtswidrigen Entführung, der Folter und der gravierenden Krankheiten ist leider bis heute nicht entschieden. Und auch die Bundesregierung sah sich bisher außerstande, eine Haftentlassung und Rückkehr in das Land seiner Asylberechtigung durchzusetzen. Man könne wenig tun, weil er ja schließlich immer noch türkischer Staatsangehöriger sei - so versucht Berlin sich herauszureden. Offenbar gilt die staatliche Souveränität der Türkei erheblich mehr als die des südöstlichen Nachbarstaats Irak.

Bei solchem Verhalten der verantwortlichen Stellen in Deutschland ist es kein Wunder, wenn ai auf wiederholte Eingaben bei den türkischen und moldawischen Behörden gar keine Antwort erhalten hat.

Erschienen in Ossietzky 20/2003