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Das roh-rote Fleisch, das hier verhandelt wird, das von Menschen und Vieh, bedrängt die Figuren allesamt, denn am Ende, am Endzeit-Ende, werden sie (wir) alle verblutet sein, wenn sich nicht erfüllt, was Johanna sterbend beschwört: "Es helfen nur Menschen, wo Menschen sind." Aber: "Inzwischen geht der Weltkrieg gegen die Armen seinen Gang" (Jean Ziegler: "Die neue Hierarchie der Welt und ihre globalen Widersacher", 2003). Das wirft die alte Frage auf: "Wer - wen?" Die Diktatur von Fanatikern jeglicher Provenienz oder die des Proletariats? Die Mittel materieller Gewalt sind im Besitz der Besitzer, die arme Masse ist nur reich an/in sich selbst. Was tun? Die genußreiche Aufführung fordert, leider, keine Antworten heraus auf diese Frage. Wie gesagt: ein Bühnenraum, dessen Gestaltung einem nachgeht, eindrucksvoll auch die Choreographie der Massen, Manfred Karge als Pierpoint Mauler außerordentlich präsent und präzise in der Darstellung eines Charakters, dessen Maske bei Edward G. Robinson entlehnt zu sein scheint, wenn dieser amerikanische Fieslinge spielte. Und die höchst hochgelobte Meike Droste als Johanna, die Heilige: zweifellos ein starkes Talent. Unstreitig gibt sie hier eine wunderschöne Vorstellung ihrer Fähigkeiten. Jedoch fehlt ihr der Biß, das Furiose einer Kämpferseele, nachdem ihr die Naivität abhanden gekommen ist. Sie bleibt lieblich, stirbt niedlich und verhindert damit die Erschütterung, daß wieder eine große Streiterin für die Menschheitsrechte den Menschen verloren ist. Der Zorn bleibt aus bei dem Empfänger der Botschaft. Ich wurde an diesem Abend sehr gut unterhalten, aber nicht motiviert, die Fahne aufzuheben und sie weiterzutragen, an Stelle der Gefallenen. * "Tag der Gnade" von Neil Labute im Deutschen Theater, Berlin. Regie und Ausstattung Thomas Schulte-Michels. Es spielen Dagmar Manzel und Robert Gallinowski. Das Stück wird lange Zeit auf dem Spielplan stehen. Dieser Theaterabend hat alles, was eine packende Aufführung ausmacht: Kluger Text (seine Figurenanalyse grenzt an Vivisektion), hervorragende Darsteller (gesungen würde sich der Vergleich Bartoli/Terfel aufdrängen), die Regie genau, spartanisch. Schulte-Michels vertraut seinen Protagonisten. Vorhang auf. Es ist der 12. September 2001, New York, ein Loft mit jalousettenverhüllter Aussicht auf Ground Zero. Ben hat überlebt, weil er nicht ins Büro im World Trade Center ging, sondern zu seiner Geliebten Abby. Seit drei Jahren hüten sie das Geheimnis ihre Beziehung. Ben ist verheiratet, zwei Töchter. Abby, zwölf Jahre älter als er, ist seine Vorgesetzte. Ben läßt sein Telefon klingeln, hebt nicht ab, seit Stunden schon. Er will sich aus seinem bisherigen Leben stehlen und mit Abby durchbrennen. Den Anschlag auf das WTC hält er für seine Gelegenheit, als ein Held zu gehen, seinen Mythos in der Familie nicht zerstören zu müssen, neu anfangen zu können. Mit Abby. "Das Stück setzt sich nicht unmittelbar mit der politischen Frage des Terrorismus auseinander", sagt Labute, aber mit einem ganz bestimmten Terrorismus: mit dem schmerzhaften, grob vereinfachenden Krieg, den wir oft gegen die Herzen derjenigen führen, die wir zu lieben behaupten... Ich versuche, dem Ground Zero in unserem Leben auf dem Grund zu gehen." Abby, Bens Liebe und Gegenspielerin, will an dessen "sauberer Lösung der Verhältnisse" nicht mitwirken. Sie will keinen Feigling zum Mann, verlangt, daß er sich stellt, den Konflikt mit Frau und Kindern offen austrägt. Im klaren schwarz-weißen Edelambiente kämpft das Paar gegeneinander, miteinander. Sie hassen sich, erinnern gute Tage, verletzen einander mit Worten wie mit Waffen jeglicher Art. Das Geschlechterspiel tobt Runde um Runde. Ein Boxkampf. "Werden sie es schaffen, sich aus dieser mißlichen Lage zu befreien? Mich interessieren die menschlichen Abgründe, das ‚Fehlverhalten' in ganz gewöhnlichen Beziehungen, mich interessiert nicht nur die Idee der Sünde, sondern der Schuld und: womit die Menschen ungestraft davon kommen", sagt Labute. Ein gescheiter, kostbarer Theaterabend. * "Gregor Gysi trifft Zeitgenossen", heißt eine Veranstaltungsreihe des Deutschen Theaters, Berlin. Diesmal kam Marcel Reich-Ranicki. Gysi eröffnete, bekannte Hemmungen. Tatsächlich war eine leichte Atemnot zu spüren. Schmunzeln ringsum. Elf Fragen habe er vorbereitet, verkündete Gysi, er sei "wild entschlossen", wenigstens fünf zu stellen. Basis des Gespräches war die Autobiographie von R.-R., der Fragesteller zielte ab auf Erweiterung und Vertiefung dessen, was dort über manche Zeitabschnitte berichtet ist. Das Thema war ernst, die Stimmung heiter, die Ausführungen des 83jährigen waren genau bis ausschweifend, gespickt mit Anekdoten. Erstaunlich das phänomenale Gehirn Reich-Ranickis, sein universelles Gedächtnis, die Fülle der Details, der Reichtum seiner Sprache, die Sicherheit, mit welcher die komplizierten Windungen seiner Endlossätze zu ihrem Ausgangspunkt zurückgeführt und zum Abschluß gebracht wurden. Zumeist mit einer Pointe. Das Publikum dankte mit Lachen und Beifall. R.-R. wurde oft befragt, warum er, Jude, keine Scheu hatte, sich der deutschen Sprache zu widmen. Seine permanente Antwort: "Die Sprache ist nicht von Hitler, sondern von Marx und Engels." Die Hinneigung zur Literatur entstand aus seiner Begegnung mit Anna Seghers' "Das siebte Kreuz". Er las das Buch mehrmals in der Haft, Warschau (1949/50), und begriff, daß die Beschäftigung mit Literatur etwas ihm Gemäßes sein könnte. Er wurde Lektor für deutsche Literatur, Literaturkritiker. Von Gysi nach den Wurzeln seiner "linken" Prägung befragt, gab er die Auskunft: "Sie entwickelte sich durch die Lektüre der Weltbühne der Weimarer Zeit." Namen fielen: Tucholsky, Jacobsohn, Kerr, der Kritiker Fontane. Als Reich-Ranicki 1959 endgültig nach Deutschland übersiedelte, sich den großen Zeitungen als Literaturkritiker empfahl, befragte man ihn, worüber er denn schreiben wolle. Er gab an, daß ihn die Literatur in der DDR interessierte. "Das war damals ungefähr so", sagte er hochvergnügt, "als hätte ich eine Kolumne über albanische Ballettkunst vorgeschlagen." Heiterkeit im Saal und auf der Bühne. Jeder kann dem immens kundigen, klugen, klaren, süffisanten, sinnlichen "Literaturpapst" in seinem Buch "Mein Leben" und seinen vielfältigen Büchern zur Literatur begegnen. Hier sollte nur berichtet werden, wie angenehm es war, zwei so gescheiten, gewitzten Protagonisten unterschiedlicher Färbung zuzuhören, die, für manchen unerwartet, ihre Eitelkeiten beiseite ließen, sich miteinander unterhielten zu eigenem und unserem Vergnügen.
Erschienen in Ossietzky 19/2003 |
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