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FAZ-Schirrmacher vor einem Jahr in der Sendung "Zur Person" bei Günter Gaus: im Sessel hingefläzt, Beine breit, prallen Bauches, wie er sonst ältere Herren ziert und das Oberhemd zu sprengen droht. Man erblickte das verquollene Gesicht eines verspäteten Jünglings, dem die Pubertät zusetzt. In Erregung geraten fuchtelte der Knabe plötzlich mit seinen wie aus der Garage fahrenden Händen. Mühsam unterdrückte ich meine Erheiterung, um Ingrid nicht abzulenken, die eine Videokassette für diese unnachahmliche Vorstellung einlegte, und ich dachte: Das sind ja Sieburgs Hände! Der junge Mann ist Sieburgs Inkarnation - die Wiedergeburt eines nicht unbeachtlichen Potentials auf der Suche nach seinem Gral. Plötzlich erinnerte ich mich vergangener Sätze: Der in eigenen konservativen Kreisen wegen des Verdachts unorthodoxer Gedanken nicht unumstrittene knabenhaft gestylte FAZ-Meisterfeuilletonist hatte am 8.8.97 in seinem Blatt Erstaunliches als Programm "für die ungeschriebene Mentalitäts- und Geistesgeschichte von DDR und BRD" formuliert: "Sie wird das akademie- und diskussionserprobte Ich porträtieren müssen, das in West wie Ost selbst noch in den apokalyptischen Warnungen vor der atomaren Gesamtauslöschung immer auch seine Größenphantasien zu erkennen gab." Vom FAZ-Idiom in menschliche Sprache übersetzt heißt das: Schirrmacher erkennt in den führenden Politikern und Akademikern, die sich aus Ost und West im Kalten Krieg befehdeten, jene Kräfte, die sich auch durch sehr reale Atomkriegsgefahren nicht abbringen ließen von ihren "Größenphantasien", was besser "Größenwahnphantasien" genannt werden sollte. Alles klar? Der Ausweg aus der drohenden Apokalypse laut Schirrmacher: "Die Historisierung der beiden Republiken gibt allmählich Material frei, das die intellektuelle Verfassung des vereinigten Landes zu verändern verspricht." Logisieren wir das Kauderwelsch. Veränderung wohin? Das Rezept wird nebenan in Leitartikel und Wirtschaftsteil als freie Bahn den Globalisierungsgewinnlern ausgefertigt, so dient der Feuilletonist als Kranzlieferant am Friedhof der Opfer, d.h. jener 80 Prozent der Beschäftigten, die arbeitslos gemacht werden, setzt die Globalisierung sich unkorrigiert durch, in deren Folge 20 Prozent der heutigen Arbeitnehmer genügen, alle benötigten Waren zu produzieren. Dies die intimen Nachrichten aus dem USA-Paradies, dessen deutsche Kapitalmagnaten über die famosen FAZ-Goldfedern ihre Interessen kundtun. Wir erinnern uns: "Die intellektuelle Verfassung des vereinigten Landes zu verändern", bereiteten sich Walser und Schirrmacher anno 1998 in brüderlichen Telefonaten auf den gemeinsamen Auftritt in der Paulskirche vor. Der eine hatte sich den Großen Preis erschwafelt, der andere lobredete ihn hoch, daß den versammelten Geistesgeschäftsriesen im orkanbrausenden stehenden Beifall der letzte Hauch von Intellekt abhanden kam und nur Ignatz Bubis und Frau Ida stumm sitzen blieben. Vom Buchhändlerfriedenspreis 1998 bis zum "Tod eines Kritikers" im Jahre 2002 ist es nur ein kurzer Schritt in der Skandalplanung. Jetzt watscht Schirrmacher den Walser rundum ab, und das Feuilleton spuckt Kultur aus. Frankfurter Rundschau gegen, Süddeutsche Zeitung für Walser, Zeit für und gegen, Welt plus Bild sowieso. Jens, Giordano, Kunert, Karasek erschreckt lautgebend. Das Fernsehen rülpst kräftig oder zart und weiß nicht so recht. Möllemann erteilt Walser Ratschläge fürs Fallschirmöffnen und stürzt anschließend ab. Friedman ist contra und tritt zurück. Enzensberger will Walser gar nicht erst lesen, hatte er doch Saddam Hussein schon zehn Jahre früher zu Hitler II. ernannt und erwartet US-Vollzug, die Börne-Taler gibt's vorneweg. Endlich haben alle den erwünschten Skandal. Der nächste Krieg kommt bestimmt. Das Feuilleton bereitet ihn vor und will es dann nicht gewesen sein. Von Gaus befragt, geriet Schirrmacher im August 2002 plötzlich aus seiner bräsigen Pose und etwas in Rage, als er sich gegen Jens, Böll, Grass wandte und über die Großvätergeneration sprach, zu der er und seinesgleichen, angeödet von den 68ern, zurückgekehrt seien. Die Großväter heißen Sieburg, Jünger, Carl Schmitt. Abgewertet wird die intellektuelle Linke, aus der einige Wechselbälger fazistisch angezogen gegen die eigene bessere Vergangenheit stänkern, entlaufene Adorniten, zum offenen Nationalismus zu klug, beim kapitalen Feuilleton angeheuert, weil als Kronzeugen nutzbar. Der Angriff auf die Linke wurde von Gaus kühl registriert, Schirrmacher selbst schien das Fatale seiner Aussage nicht zu spüren, nur die Bewegungen der fuchtelnden Sieburg-Hände verrieten ihn. Die gutdotierte Feder ist ihr Geld wert. Mit Walser gegen Walser. Gegen starke Frauen. Zwischendurch ist das Genom dran, denn der Affe ist zu 99,5 Prozent unser Bruder, wenn er nur dem Wallraff eins überzieht. Das neueste Zeugnis der intellektuellen FAZ-Befindlichkeit ist eine rasante Entdeckung. Unter dem an Marcel Proust gemahnenden Titel "Die Gefundene" jubelt Schirrmacher am 5. September 2003: "Ich habe Louise Pohl gefunden ... Ich fand die Siegerin der Geschichte." Die Siebenundneunzigjährige ist die Schwägerin unseres Kollegen Gerhard Pohl, Gerhart-Hauptmann-Biograph, durch den wir schon vor Jahrzehnten Einzelheiten über die letzten schlesischen Tage des Dichters erfuhren. Pohl starb 1966 in Westberlin. Wieso aber ist Louise Pohl "die Siegerin der Geschichte"? Ganz einfach, weil sie Krummhübel (heute Karpacz) nie verließ und "im Riesengebirge die letzte Schlesierin" wurde. Schirrmacher wiederholt erschüttert: "Ich habe Louise Pohl gefunden." Wer suchet, der findet im Riesengebirge sogar die Schneekoppe. Vor allem aber stellt er den Anschluß her zum laufenden Geschäft mit den abhanden gekommenen Ostgebieten, dem sich seit Wochen schon ganze FAZ-Leserbriefbreitseiten widmen. Am Tag vor Schirrmachers Bericht über das verlorene Schlesische Himmelreich annoncierten 19 aufrechte Steinbacher Gefolgsleute von Baring über Wohmann, Neudeck, Wolffsohn bis Graf Lambsdorff ganz privat in der Frankfurter Allgemeinen ihren innigen Wunsch nach einem "Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin". Unsere Koryphäen aus Politik und Kultur forcieren den Wiederaufbau des Berliner Hohenzollern-Schlosses, das sich als Zentrum gegen Vertreibungen am besten eignen dürfte, ging doch schon 1772 die erste polnische Teilung von hier aus. Wenn das Schloß den Zuschlag kriegte, könnten wir beinahe lustig applaudieren. Und Frau Steinbach paßte als stattliche Vertriebenenpräsidentin prächtig in die preußische Hohenzollernburg. Schirrmacher hielte bei der Krönung gewiß gern wie bei Walser die Laudatio. Und dann wird er Kulturgesandter für Warschau und Breslau wie einst Sieburg in Paris, der dort den Übergang vom Korrespondenten der Frankfurter Zeitung zum Kultur-Repräsentanten des Dritten Reiches schaffte. Man ändert sich eben mit den Zeiten, wie die Macht es verlangt. 1954 schrieb Sieburg "Die Lust am Untergang", das war nicht selbstkritisch gemeint, und so durfte er ab 1956 das Literaturblatt der FAZ leiten. * PS. Exakt zum 100. Geburtstag am 11.9.2003 spendete die FAZ dem Jubilar einen Leitartikel mit dem schönen Titel "Adorno im Ohr". Der erste Satz lautet: "Will man ihn dingfest machen, so sollte man, statt in leeren Hörsälen nach den verstaubten Relikten seiner Irrtümer zu wühlen, sich bei Toscanini, Furtwängler, Karajan anstellen." Dem FAZ-Herausgeber Schirrmacher, der solche dingfesten Sätze herausläßt, sitzt statt Adorno gewiß ein Karajan im Ohr. Adorno hätte das Bürschchen im Anus lokalisiert und einfach weggeschissen.
Erschienen in Ossietzky 19/2003 |
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