Der schöne Schein

von Bernd C. Hesslein

Nie war dieser Bundeskanzler beliebter als in den Wochen, da er den von George Bush betriebenen Irak-Krieg kurz und bündig ablehnte. Erst später stellte sich heraus, daß hinter dem lakonischen Nein kein Plan, keine Strategie und schon gar keine Überzeugung steckte. Es war anscheinend nur so eine Idee von ihm. Eher gar noch weniger: eine aus dem Bauch kommende Neigung, wie schon oft zuvor, an der sich der Verstand nicht beteiligt hatte. Das Nein, so trotzig ausgesprochen in der Pose des "Hier stehe ich und kann nicht anders", hängt in der Luft wie eine schöne Seifenblase. Sie ist wohl das Wahrzeichen dieser Regierung für alles, was sie anstrebt, tut oder getan hat.

Die waghalsige Konfrontation mit den kriegsversessenen Politikern im Weißen Haus erweist sich nicht nur als leere Geste, sondern, viel schlimmer, als vertane Chance. So vieles war mit dieser Verweigerung zu klären: Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr nach dem Kalten Krieg, die Legitimation der transatlantischen Verteidigungsgemeinschaft für militärische Aktionen außerhalb des Bündnisgebietes (jetzt schon in Afghanistan, demnächst auch im Irak), aber auch die Grenzen der Bündnis-Loyalität gegenüber der Großmacht USA, die nur noch ihren eigenen Interessen und einer abenteuerlichen Präventivkriegsdoktrin folgt.

Nichts von all dem ist wenigstens im Ansatz geklärt. Stattdessen filibustern Regierung und Opposition mit alten Themen und uralten Argumenten. Etwa über die Nützlichkeit und die staatserhaltende Kraft der Wehrpflicht, wobei der alte "Papa" Heuss (der mit dem Spruch "Nun schießt mal schön!" ins erste Bundeswehrmanöver zog) noch aus dem Grabe seinen Unsinnssatz aufsagen darf: "Die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie." Oder über das Parlamentsprivileg: mitzubestimmen, warum, wozu und wohin die Bundeswehr geschickt werden darf. Beharrlich kratzen die Pragmatiker mit der Behauptung daran, im Ernstfall fehle die Zeit dazu. Ein Kopfnicken der Abgeordneten im Nachhinein müsse genügen. Doch wann sind Kriege und Konflikte je vom Himmel gefallen? Es sind die Politiker, die sie zu spät wahrnehmen. Oder sie gar selber verursachen.

Die Wirklichkeit hat solche Dauerbrenner der deutschen Sicherheitspolitik längst hinter sich gelassen. Während das Volk und seine politischen Vertreter trotz Hitze, italienischer Invektiven und unaufhaltsamen Zerfall der Regierungsautorität, Urlaub nach alter Väter Sitte machten und noch machen, hat die NATO recht unauffällig ihre Bündnisgrenzen überschritten und schiebt, wie von den USA erwartet und erwünscht, Wache in Afghanistan.

Der Irak steht der Allianz als nächste Wach- und Schießaufgabe im Auftrag der Weltmacht ins Haus. Ein bißchen UNO-Segen dafür wird sich noch finden lassen. Spätestens dann, wenn der Bundeskanzler, wie bereits angedeutet, zur Vollversammlung nach New York fährt. Aus der Froschperspektive der deutschen Medien wird ohnehin nur von Interesse sein, ob der schöne Schein deutsch-amerikanischer Freundschaft wiederhergestellt wird. Die Inhaltslosigkeit des Schröderschen Nein macht es möglich. Doch den Fragen "Bundesrepublik wohin?" und "Bundeswehr wozu?" sind wir damit keineswegs entronnen. Der treu-doofe Satz des Verteidigungsministers, die Bundesrepublik werde auch am Hindukusch verteidigt, führt, wenngleich humanitär verbrämt, nur in die altbekannte deutsche Hybris.

Erschienen in Ossietzky 18/2003