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Nicht weit davon liegt Denizli mit seiner Teppich-Manufaktur, die rund 22000 Knüpferinnen beschäftigt, aber nicht alle im Werk, sondern über 52 Dörfer der Umgebung verteilt. Nur Frauen? Nein, auch Männer, aber weniger, weitaus weniger: Techniker, Teppichträger und vor allem Chefs. Von einem soll noch ausführlich die Rede sein. Auf den Teppichen sehe ich Blumen, Zeichen, Symbole, Figuren und vieles mehr. Diese Motive habe ich früher schon in Buchara und Achschabad gesehen - Orten, die weit entfernt in Mittelasien liegen, aber alles Turk-Städte sind. Die Menschen dort sollen ihr Türkisch sogar besser sprechen als die Knüpfer im Mutterland, die auch keinesfalls besser knüpfen können. Dafür viel besser vermarkten. Davon soll hier die Rede sein. Zuvor etwas übers Technische: Eine Knüpferin lernt zwei Jahre, eine besonders ausgewählte drei, da geht es um Feinheiten. Ihr Material ist Wolle, Baumwolle oder Seide. Die Schafherden sind groß, auch Baumwolle wächst zu wie anderes Naturmaterial, und von der Seidenraupen-Produktion leben etwa 50 000 Familien in der Gegend. Der Vorführer schenkte mir einen Kokon. Ein eigenes Fach ist die Färberei. Wolle wird mit natürlichen Stoffen (darunter Walnuß, Mistel, Tabak, Eichenlaub, Indigo, Safran) gefärbt, und zwar immer nur im Juni und Juli. Für Seide braucht man Chemie, weil Naturfarben auf Seide matt wirken. Färben ist in Denizli Männer-Handwerk. Hier fiel zum erstenmal der Regisseur des Ganzen auf, ein smarter Türke mit Manieren und Sprache. Daß er ein Star ist, ein As, merkten wir erst später, als er sogar über den deutschen und türkischen Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz-Pascha etwas zu sagen wußte, den kaum jemand in Deutschland noch kennt. Freilich kannte in meiner Reisegesellschaft auch niemand Kemal Atatürk ("Vater aller Türken"), den Begründer der laizistischen Türkei nach Ende des Osmanischen Reiches, niemand wußte etwas vom Kemalismus. Betrüblich, beschämend. Apropos Färberei: Wie uns der Star, das As, das Verkaufsgenie erklärte, gibt es Kombinationen von sechs bis zu dreißig Farben. Und was braucht man noch für die Herstellung eines Teppichs? Geduld, Konzentration als Tugenden, Mathematik als Kenntnis. Woran aber erkennt man schließlich den Wert eines Teppichs? Außer am Material (dessen Anteil beträgt nur acht Prozent) und an der Färbung immer am Alter und vor allem an der Verarbeitung: Wieviele Knoten kommen auf einen Quadratmeter? Dafür hatte unser Künstler eine besonders konstruierte Lupe. Der Blick dadurch war so aufschlußreich wie schön: 100 Knoten auf einen Quadratzentimeter gelten als gute Norm, jeder Knoten mehr macht viel aus. Der feinste Teppich der Erde, "Ösipeh", hat 576 Knoten auf dieser kleinen Fläche, der Teppich insgesamt benötigte die Arbeitszeit von fünf Frauen über fünf Jahre. Man weiß das; weiß jedoch nicht, wo sich dieser Teppich befindet. Gegenwärtig ist dort das vierte Exemplar dieses Modells zu besichtigen, nicht einmal sehr groß, und dennoch arbeiteten vier Frauen sieben Jahre daran. An einem Wandteppich "Tor zum Paradies" mit dem Lebensbaum würde eine Person 33 Jahre lang knüpfen. Daher arbeiteten fünf Frauen daran, über sechs Jahre lang. Das Entzücken des Betrachters wuchs, aber die Bitterkeit auch. Solche guten Stücke kosten bis 70 000 Euro. Da tröstet es nicht, daß es welche für sieben Euro gibt. Der teuerste Teppich, der in Denizli angeboten wird, eher als Wandbehang geeignet, soll 270 000 Euro kosten. Wer greift da zu? Die berühmten "Hereke" waren einst nur für den Sultan bestimmt. Während nach und nach die Produktionsverfahren vorgeführt, Kaffee, Rake und Wein gereicht wurden, hielt der Regisseur einen glänzenden Vortrag über Teppiche und Preise, Arbeit und Kapital (mir schien, er hatte sogar Marx gelesen), den Kemalismus und Europa, schließlich über Alkohol, Liebe und Kunst. Der Mann verstand anscheinend von allem etwas, besonders viel von Teppichhandel und Kapitalbildung, am größten aber war sein Kunstverstand. Indem sich die Redegewalt dieses Künstler-Agitators ständig steigerte, dirigierte er seine Compagnie von Darstellern: eine Gruppe sehr gut aussehender, wendiger junger Männer, jeder ein Darstellungskünstler eigener Art. Zwei davon waren Solisten. Im Crescendo und atemberaubenden Tempo ohnegleichen führten sie Hunderte von Teppichen vor, rollten sie aus, legten sie vor, schon kam der nächste und wieder ein nächster, einer schöner und farbenprächtiger als der andere. Der Teppich-Akt geriet zum Wirbel, zum Bühnenzauber, zum schönsten Teppich-Theater der Geschichte - sicher schon oft wiederholt, in Perjektion. Ein solches Furioso wie in der Commedia dell'Arte habe ich zuvor nur bei Strehler im Teatro Piccolo Milano erlebt. Erinnerungen an eine der schönsten und besten Aufführungen der modernen Theatergeschichte stiegen in mir auf, an Goldonis "Il Servitore di due Padroni", an die Parade-Szene des Truffaldino zwischen seinen beiden Herren, wie ihn einst der unvergleichliche Marcello Moretti und nach ihm Ferruccio Soleri gespielt haben. Zwar wurde das Teppich-Museum in diesem Theater noch lange nicht geleert, und doch hätte der Triumph kaum größer sein können - die Verführung auf ästhetische Art war perfekt gelungen, der Verkaufserfolg muß enorm gewesen sein. Ossietzky-Leserinnen und -Leser wissen, ich bin lebenslang ein Theatermensch, der viel gemacht und noch viel mehr gesehen hat - und heutzutage nur zu oft enttäuscht wird. Theater hat derzeit keine große Zeit, noch nicht wieder. Hier aber, zum Zwecke des Geschäfts, hatte es Erfolg. Der Teppich-Zauberer Junef, ein echter Histrione, hatte sogar mich in den Bann gezogen, der ich doch Trickkisten wie echte Schauspieler-Qualitäten kenne. Nun stellen Sie sich vor: Ein wunderschönes Stück hatte mich entzückt, und ich begann zu handeln, nicht mal ungeschickt, und fühlte mich als Sieger, als ich den Preis um die Hälfte heruntergedrückt hatte. Sogar der Prinzipal war dazugekommen. Mehrmals entfernten sie sich, um - scheinbar - hinter verschlossenen Türen miteinander darüber zu verhandeln, ob sie mir noch weiter nachgeben könnten. Selbstverständlich hatte mich Junef am Ende hereingelegt, und ich werde an meinem Pyrrhus-Sieg noch lange zu tragen haben. Ich sehe es so: Die Türkei ist ein armes Land, ihr Reichtum liegt unter anderem hier. Diese Arbeit ist wertvoll, die ArbeiterInnen verdienen nicht schlecht, die Firmenchefs und leitenden Angestellten sicher besser als nur gut, vieles nimmt der Staat. Diese Kunst wird Ware und bildet Kapital. Zum Nutzen wessen? Bezahlt der Kunde Rüstung oder sozialkulturellen Aufbau? Die Ware ist Kunst, angewandte meinetwegen. Das Verkaufstheater war ästhetisches Vergnügen hohen Grades. Das gemischte Empfinden bleibt. Einer der schönsten, auch teuersten Seidenteppiche hieß "Tränen der Liebe".
Erschienen in Ossietzky 17/2003 |
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