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Zwar ist es im Vergleich zu jenen aus biblischen Zeiten, mit denen Büchmann seine Sammlung begonnen hat, sehr jung und wie manche der von ihm ausgewählten nicht jedem bekannt. Aber immerhin: Die "Reportage unter dem Strang geschrieben", die mit diesen Worten endet, ist in 88 Sprachen übersetzt und gedruckt worden. Und überall in Deutschland, in Europa und auch auf anderen Kontinenten habe ich Menschen kennen gelernt, denen Fuciks Bekenntnis zum Menschen und seine Mahnung, hellwach, mit aufmerksamem Blick durchs Leben zu gehen, vertraut sind. * "Menschen, ich hatte Euch lieb. Seid wachsam!" Diese Worte haben es in sich. Sie sind das Resümee eines antifaschistischen Widerstandes während der deutschen Okkupation in der Tschechoslowakei, eines kampferfüllten, aufklärerischen Lebens. Sie stehen auf dem letzten Kassiber mit der laufenden Nummer 167, gezeichnet: jef. Geschrieben am 9. Juni 1943 in der Zelle 267 des Gestapo-Gefängnisses Pankrac in Prag. Die "Reportage" bildet gewissermaßen den Abschluß, das Vermächtnis eines Kampfes, den der kommunistische Journalist und Schriftsteller Julius Fucik mit der Feder geführt hat. Am Morgen des 10. Juni kam Fucik "auf Transport". An Schreiben war nun nicht mehr zu denken. Wachmänner wie seine Landsleute Adolf Kolinsky und Josef Hora würde er im "Reich" nicht antreffen. Sie hatten ihm Papier und Bleistift in die Zelle gebracht, ihn "bewacht", während er schrieb, und die Kassiber hinausgeschmuggelt. Für diese Stückchen Papier, bemerkte Fucik, "riskieren sie ihren Kopf". Den Kopf des mutigen Tschechoslowaken, der sich auch durch Folter nicht von der antifaschistischen - niemals antideutschen - Haltung abbringen ließ, forderte nun Senatspräsident Roland Freisler vom Nazi- "Volksgerichtshof" beim Kurz-Prozeß am 25. August in Berlin-Moabit. In den frühen Morgenstunden des 8. September 1943 wurde Julius Fucik, gerade vierzig Jahre alt, in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee durch den Strang gemordet. Er war eines von 186 Opfern, die die Nazis in jener Nacht in einem Mordrausch gehenkt haben. * Ich erinnere mich gut, wie ich vor mehr als einem halben Jahrhundert das schmale Büchlein zum ersten Mal in der Hand hielt und wie ich es verschlungen habe. So etwas hatte ich noch nicht gelesen. Da schrieb einer, wie er gegen die deutschen Okkupanten gekämpft hatte, wie das war in der Illegalität. Wie er verhaftet wurde, zusammengeschlagen, gefoltert, verhört. Wie er unter diesen Bedingungen den Gestapobeamten ("meinem Kommissar") Paroli geboten hat. Zudem schilderte er Menschen, mit denen er seinen Weg gegangen war, die gleich ihm die Gefahren des Widerstandes gegen den Faschismus auf sich genommen hatten. Und "die Leidenschaft der Jäger, der Raubtiere oder sogar gewöhnlicher Räuber auf der anderen Seite". Erinnerungen im gewöhnlichen Sinne, die im Nachhinein geschrieben werden, mit Abstand, in Ruhe und Abgeschiedenheit, nachdem die Gefahr überstanden ist - solche Erinnerungen sind das nicht. Nein, einer, der den Tod vor Augen hatte, machte seine Gefängniszelle zur Redaktionsstube. Er schrieb, seinen Henkern zum Trotz, mit ruhiger Hand und klarem Kopf, mit außergewöhnlicher Sensibilität und in einem faszinierenden Stil. Darin zeigt sich Fuciks unvergleichlich starke Persönlichkeit, und das macht seine "Reportage unter dem Strang geschrieben" zu einem einzigartigen, bleibenden Werk. Seinem Verfasser, der sich nicht als Helden produzierte, sondern bescheiden konstatierte: "Wir haben unsere Pflicht erfüllt" - diesem noblen Charakter konnte man vertrauen: "Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wachsam!" * Noch heute, sechzig Jahre nach der Ermordung Fuciks, hat diese Mahnung nichts von ihrem Sinn verloren. Mitunter macht es mich sprachlos, wenn ich erlebe oder höre, wie die geistigen Nachfahren der damals von Berlin aus in Marsch gesetzten Mörder sich heutzutage aufführen dürfen, ja, welche Freiheiten ihnen von Amts wegen zugesichert werden. Reden wir von "Helden" heutiger Tage. In der "Heldenstadt" Leipzig durften Neonazis - just an dem Wochenende, auf das der 20. Juli fiel - durch die Stadt marschieren. Und zwar mit den Losungen: "Wir sind das Volk! - Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht!" Das Verwaltungsgericht in Leipzig hatte dazu seinen juristischen Segen gegeben. Warum? Damit sich die Leipziger an die Neonazis gewöhnen? Damit in der von Deutschland offerierten Olympiastadt 2012 etwas von jenem Geist herrsche wie 1936 in der Olympiastadt Berlin? Das kann doch wohl nicht wahr sein. * Unmittelbar Länder übergreifend wirkt eine andere Aktion, die aus Deutschland kommt. In Prag, wo Julius Fuciks am 23. Februar 1903 geboren worden ist, hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft in diesem Frühjahr eine Niederlassung eröffnet. Kein unbedeutendes Informationsbüro. Der Vorsitzende der Landsmannschaft, Bernd Posselt, sprach bei der Eröffnung von der "Botschaft der Sudetendeutschen". Das ist ein starkes Stück. Die Landsmannschaft fordert bekanntlich die Annullierung der Benes-Dekrete, die in Tschechien nach wie vor Verfassungsrang besitzen, sie fordert Sonderrechte für Sudetendeutsche und die Rückgabe ehemaligen Eigentums, das in Folge des in Berlin angezettelten Zweiten Weltkrieges konfisziert worden ist. Und Posselt ist ja nicht nur der Vorsitzende dieser Organisation, die vorgibt, für 250 000 Aussiedler aus dem ehemaligen Sudetenland zu sprechen. Er ist auch Abgeordneter der CSU im Europaparlament. Dort hat er bereits gegen die Aufnahme Tschechiens in die EU votiert, um gegen den Fortbestand der Benes-Dekrete zu protestieren. Diesen Standpunkt wird er wohl auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des vom Europaparlament und vom Tschechischen Parlament gebildeten gemeinsamen Ausschusses vertreten sowie im einflußreichen deutsch-tschechischen Koordinierungsrat, für den Außenminister Fischer Posselts Mandat erst kürzlich verlängert hat. Schlimmer noch: An den Eröffnungsveranstaltungen für die "Botschaft der Sudetendeutschen" nahm auch die reguläre deutsche Botschaft in Prag offiziell teil. Das läßt hellhörig werden. Wohin soll es führen, wenn im Herzen Europas ständig für Unruhe gesorgt und versucht wird, Resultate des Zweiten Weltkrieges zu revidieren? * Es entbehrt nicht der Kuriosität: Fucik, der wegen seines politischen Engagements in der Tschechoslowakischen Republik über Jahre hinweg von Polizei und Justiz verfolgt und belangt worden ist, erwähnt in seiner "Reportage", daß er im Pankrac möglicherweise in der selben Zelle bereits einmal gesessen habe. Der Grund: weil er gegenüber der Regierung "allzu eindringlich das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen verteidigt" habe. Das war in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bevor viele Sudetendeutsche den "Führer" riefen und "Wir wollen heim ins Reich!" und ihn jubelnd empfingen in Eger, dem tschechischen Cheb. Und dann ging es aus dem Sudetenland nach Prag, das "Protektorat Böhmen und Mähren" wurde konstruiert, das Land geplündert, die Tschechen verfolgt, gefoltert, gemordet... Und Männer wie Fucik gingen in die Illegalität und organisierten den Widerstand. Sie dürfen nicht vergessen werden. Das Wort gilt: "Menschen, ich hatte Euch lieb. Seid wachsam!" Am Sonntag, 7. September, 11 Uhr, wird in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin, eine Matinee veranstaltet - gewidmet Julius Fucik und allen anderen Opfern, die in der Nacht zum 8. September 1943 hingerichtet worden sind.
Erschienen in Ossietzky 17/2003 |
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