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Aber wissen Sie, wie viele nonkonformistische, nicht windschnittig sein wollende Menschen auf unseren Fahrradstraßen (gefördert mit EU-Mitteln) im gleichen Tritt rollen? Wir vermuteten, daß Donau- und Maintalradweg und vor allem der Bodenseerundkurs am beliebtesten seien - die wir alle schon "gemacht" haben, wie wir Radfernstraßenfahrer sagen. Also wandten wir uns der Mitte Deutschlands zu, sind auf Saale- und Elberadweg durch Sachsen-Anhalt geradelt, sind durch alte Domstädte wie Naumburg, Merseburg und Magdeburg und über deren Pflaster (originalgetreu erneuert mit EU-Mitteln) geholpert und durch Residenzen mit hoch aufragenden Schlössern wie Bernburg und Plötzkau und kaiserliche Nebenhauptstädte wie Tangermünde gerollt. Und gar viele Nonkonformisten, Aktivurlauber und Einmal-im-Jahr-Autoverächter fuhren an unserer Seite oder kamen uns einverständig entgegen. Wir waren eine große Gemeinde und echte Sportskameraden, die sich Tips geben: Da vorne wird ein neuer Deich gebaut; besser man fährt flußnah. Die Karte stimmt überhaupt nicht, aber die Radlerpreise stimmen - bei der Gelegenheit muß man sagen, daß just auf dem Elberadeweg die Radler-Alster-Grenze verläuft. Das Mischgetränk aus Bier und Limonade, das nach Apfelschorle zum wichtigsten Treibstoff, gelegentlich auch Triebstoff des gemeinen Radfahrers gehört, wurde früher im Osten Deutschlands auch "Potsdamer", "Fliegerbier" oder "Ententeich" genannt. In gesamtdeutschen Sprachzeiten kennen wir nur noch den Zusammenprall bayerischer und Hamburger Mischgetränkswörter an den malerischen Ufern der Elbe, just dort, wo die sächsische Saale sich mit ihr vereint. An dieser Stelle übrigens trifft man auf den Elbe-Pfleger und Biosphären-Experten Paul Ernst Dörfler. Auch wir trafen ihn, gleich Hunderten Journalisten vor uns und Tausenden, die nach uns kommen werden, und nahmen gemeinsam mit ihm ein Bad in der Elbe, was durchaus erlaubt ist - während es verboten ist, sich an den Elbufern aufzuhalten. Baden ohne Uferberührung, diese Kunst beherrscht man als Ost-Mensch, eingedenk des alten Spruches: Überholen, ohne einzuholen. Dörfler streitet vehement gegen den Ausbau der Elbe zur schnellfließenden Wasserstraße. In der DDR, in der wir ihn einst kennenlernten, stritt er noch um geringere Posten, auf deren jeden er seinen Finger legte. Heute ist alles global; eine kurzsichtige DDR-Regierung von damals erscheint als läppisches Übel. Das Hochwasser vom Vorjahr nämlich ist als Argument für naturnahe Flußlandschaften längst versickert, und die Elbschnellstraßenfreunde glauben, mindestens zwo Dutzend Arbeitsplätze seien zu schaffen, wenn man ein paar Milliarden Euro in den natürlichen Elbsandstrand setzt, der jetzt noch weitgehend die Elbe von Dresden bis Wittenberge säumt. So brach in unseren nonkonformistischen Traum einer besseren, einer fahrradfahrenden Gesellschaft wieder die Realität von Kapital und Arbeit ein. Wir hatten dies schon zwischen Leuna und Buna bemerkt, beides heutzutage wunderbar an der Saale liegende Garten-Gemeinden, in deren Territorium zumindest die wassergebundenen Radwege (mit EU-Mitteln gesandet) so malerisch sich hinschlängeln wie im Buch vom Professor Münnich 1848 "nach der Natur gezeichnet" - anstelle der Fahrräder sind dort Karren zu sehen. Vielleicht sollte man im nächsten Jahr ,noch nonkonformistischer, mit einem solchen Karren ... Da seht Ihr's, wird der konformistische, also regierungsfreundliche Normalmensch sagen: Nun habt Ihr sie, wie versprochen: blühende Landschaften. Sind sie nicht menschenfreundlicher als die stinkenden Leuna-Schlote und undichten Buna-Rohrleitungen von einst? Nun ja, wenden wir ein, aber wo finden die Leute ihre Arbeit oder, wie es im Buch von Professor Münnich heißt, ihre Nahrung? "Die Armenkasse, mit Kämmereizuschuß," heißt es dort, "reicht nicht hin, und man muß den Armen einen Tag in der Woche das Betteln erlauben. Ihre Anzahl wird aber immer größer, da es an lohnender Arbeit fehlt..." Direkt arm wirken sie nicht, die surrenden Fahrräder, deren Gangschaltungen (Shimano) samt und sonders, wie uns der Name verrät, in Japan produziert werden. Auch die praktischen Gepäckboxen und die Kleidung der Urlaubsradler sind, wie man einst hier formulierte, formschön und farbig. Das Land blüht - etwas vermindert im Moment wegen zu geringer gesamtsommerlicher Niederschläge. Die Urlauber finden ihre Nahrung in vielen, noch nicht Pleite gegangenen Beherbergungs- und Beköstigungsbetrieben am Radwegesrand. Und nur wenn man zwischendurch auf einer Bergkuppe verschnauft und ins Land blickt, in dem es früher Schichtzüge und Fabriktore und viele Beschäftigte gab, mag man sich fragen: Was machen letztere jetzt eigentlich? Arbeiten alle noch dazu fähigen im Westen? Ist das Land ein großes Feierabendheim geworden, das man jetzt Seniorenresidenz zu nennen hat? Voller gesandeter Radwege, die durch ABM-Kräfte instandgehalten werden? Genug verschnauft - wir radeln weiter. Denn ein Radfahrer findet immer seinen Weg, selbst wenn unsere Straßenbaugesellschaft Hochtief - oder heißt sie Unten-Oben? - die Welt mit formschönen und farbigen Umleitungsschildern pflastert.
Erschienen in Ossietzky 17/2003 |
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