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Ähnlich vielfältig die Musik mit Techniken und Formen von Monteverdi, Rameau und Bach (etwa die Passacaglia im Finale), von Rossini und Schumann bis Offenbach (der besonders gut hinpaßt), Verdi und Bartok. Und oft genug zitiert Ligeti sich selber. Das ist schwer herauszuhören, auch aus einem andern, noch zu nennenden Grund. Mit dieser Mittel-Opulenz erzählen die Urheber eine verwickelte Geschichte, genauer: mehrere Geschichten aus einer halb idyllischen, halb verkorksten, fast bösartigen Kleinbürgerwelt, in die Faschismus einbricht. Man bedenke: Das der Oper zugrunde liegende Stück von Michel de Ghelderode entstand 1934. Also: Zwei Liebesgeschichten, die eines eher bösartigen Paars Mescalina und Astramador sowie die eines jungen, noch halbwegs liebenswürdigen Paares Clitoria und Spermando, außerdem die Geschichte des Großen Makabren, des Nekrotzar (herausragend in dieser Rolle: Martin Winkler), einer Mischung aus Diktator, Zauberer und Tod, der die Welt zerstören will, indes - und das ist die grandiose Wendung des Stückes - als einziger den selbst herbeibeschworenen Untergang nicht überlebt. Leben und Liebe triumphieren in wunderhellem Schlußgesang. Doch was liegt dazwischen - im Werk selbst wie in der Inszenierung des Australiers Barry Kosky zusammen mit dem Szenografen Peter Corrigan und dem Dirigenten Matthias Foremmny. Man wollte, getreu den Traditionen dieses Hauses, dem Theater geben, was des Theaters ist. Und man gab, bis zur Unkenntlichkeit. Viel zu viel; so daß die Szene nicht mehr überall der Musik entsprach, sondern von ihr ablenkte, zum Beispiel mit Sexualbildern wie aus Billigheften. Weniger wäre auch beim Dirigat mehr gewesen. Das klang vielfach zu einförmig laut. Man sollte nicht jedes Fortissimo so ganz ernst nehmen. Insgesamt aber ist die Produktion eine beachtliche Tat der Komischen Oper. Ich bleibe dort und sehe Tanztheater: das Berlin-Ballett mit "Screensaver" von Rami Be'er aus dem Kibbuz Ga'aton (wo er noch immer lebt), der seit 1983 zahlreiche Choreografien erarbeitet hat. Diese ist die bislang erfolgreichste. Die Musik ist eine Collage von Scarlatti bis Stephen Sondheim und Trent Reznor. "Screensaver" bedeutet Bildschirm-Schoner, im übertragenen Sinne Schutzschild gegen heutige Gefährdungen aller Art: technische, militärische, politische, soziale, ethische. Leitmotivisch stehen in Lichtschrift über der Bühne Verse des 2000 in Jerusalem im Alter von 76 Jahren verstorbenen Jehuda Amichai: "An dem Ort, an dem wir recht haben,/Werden niemals Blumen wachsen/Im Frühjahr.//Der Ort, an dem wir recht haben,/Ist zertrampelt und hart wie ein Hof." Damit ist das Thema angegeben. Eine Geschichte läßt sich kaum erkennen, Be'er will sie offenbar gar nicht. (Im Programmheft stehen auffällig voneinander abweichende Aussagen.) Im Zentrum des szenischen Raumes, vor der Video-Art-Wand, stehen einige rechteckige Gestelle, die als Betten erkennbar sind, der Ort für Liebe und Träume, auch Alpträume. Sie können jederzeit verwandelt und anders verwendet werden. Gewalt und Harmonie, Haß und Liebe wechseln einander ab. Die Tänzer sind so hochmotiviert wie athletisch-artistisch durchtrainiert. Sie tanzen hart und kompromißlos, weniger schön, und man weiß warum, vor allem wenn man selbst in diesem Land eine Zeit gelebt hat und ihm verbunden ist. Hier geht es um Überleben eines durch Jahrtausende verfolgten Volkes, welches in dieser seiner Überlebensgeschichte, besonders nach der Shoah, so hart geworden ist, daß es selber Unrecht begeht. Es ist das Unglück der Geschichte, daß der verfolgende Gegner die Mittel des Krieges aufzwingt, bis der Verfolgte selber Verfolger wird und am Ende keiner mehr weiß, wer recht hatte. Im Finale dämmert eine Art Hoffnung auf, eine Beschwörung Amichais: "Nicht aufhören nach dem Umschmieden der Schwerter in Pflugscharen, nicht aufhören! Weiter umschmieden und Musikinstrumente aus ihnen machen!/Wer wieder Krieg führen will, muß erst wieder Arbeitsgeräte machen." Dem ist nichts hinzuzufügen. Antonio Gades, der weltberühmte Flamenco-Tänzer, früher schon gefeierter Gast in Berlin, nun als Choreograf mit dem Spanischen Nationalballett und der Produktion "Fuenteovejuna" nach dem Stück von Lope de Vega, 1934 von Friedrich Wolf unter dem Titel "Laurencia" adaptiert. Laurencia ist die Tochter des Alkalden Esteban, geliebt von Frondoso. Ihr stellt der Großkomtur des Ordens von Calatrava nach, ein Hocharistokrat und zynischer Tyrann. Da er auch noch andere Bauernmädchen vergewaltigt oder vergewaltigen läßt, hat er die Bauern gegen sich. Zugleich befindet er sich wie der Feudaladel überhaupt im Kampf gegen das zentralistische Königtum, das die Macht des Hochadels brechen will. In diesem Kampf unterliegt der Komtur, die Bauern erheben sich, stürmen das Schloß, richten ihn und befreien Frondoso; Fuenteovejuna wird dem Orden entzogen, der König spricht die Bauern, die letztlich auch in seinem Interesse aufständisch waren, frei. Gades hat die Handlung gestrafft und vereinfacht, tänzerisch aber aufs üppigste ausgestattet, ob solistisch oder in der Gruppe. Es wird gesungen und gesprochen, die collagierte Musik reicht vom Flamenco bis zu klassischen Einspielungen, die Szene, als der Komtur in den Krieg zieht und sich rüstet, ist mit klirrendem Blech gepanzert. Zwischendurch tanzt das Volk, die Auseinandersetzungen, besonders die Szene zwischen Esteban und Komtur, der dessen Amtsstab zerbricht, haben Größe und Spannung eines antiken oder Shakespeare-Dramas. Eingangs wird friedliche Arbeit auf dem Felde getanzt; im Zentrum bewegt sich ein revolutionärer Aufstand, die Arbeitsgeräte werden zu Waffen; die Hochzeitsszene ist von gespannter heiterer Feierlichkeit, und im Finale wird wieder friedliche Arbeit getanzt, die Arbeitsgeräte sind wieder Arbeitsgeräte. Es ist zum Atemanhalten: ein politisch revolutionäres Tanzdrama in der Staatsoper unter den Linden. Und der Beifall ging in Ovationen über. Ein heiterer Endpunkt war mir sehr angenehm: "Casanovas letzte Liebe (Casanova auf Schloß Dux)" von Karl Gassauer in einer Bearbeitung von Hans Dieter Arnold (Couplets) mit Musik von Jacques Offenbach und in einer Inszenierung von Horst Ruprecht. Ruprecht endlich einmal in Berlin. Die Musikalische Komödie Berlin zu Gast im tip (Theater im Palais) am Festungsgraben. Es spielten der singende Schauspieler Heinz Behrens und die spielende Sängerin Maria Mallé als die Haushälterin Sophie Krumbeigel. Das Vergnügen der Aufführung lag sicher zum ersten im Stoff, in der Konstellation des Stückes (eine letzte Liebe des alten Grandseigneurs), den zum Teil boshaften, mitunter berührenden Texten. Casanova war eben nicht nur der Weiberheld, der er im Volksbewußtsein ist, sondern ein Liberaler, als der Begriff noch ehrenhaft war, ein Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Es lag jedoch auch im Spiel der beiden erfahrenen Komödianten. Die Regie war eher unauffällig (und ist ja im allgemeinen dann am besten, wenn sie wenig auffällt). Der Clou indes war Offenbach. Etwa ein Dutzend Couplets und Zwischenmusiken gaben der Aufführung zusätzlich Biß und Charme. Da fiel einem wieder auf, wie dieser Komponist und seine Werke auf deutschen Bühnen fehlen. Mit den bescheidenen Mitteln der Aufführung sowie mit den reichen von Text, Spiel und Musik gab es vorzügliche Unterhaltung und etwas mehr. Nun können sich beruhigt die Vorhänge schließen, meine Spaziergänge durch die Theater sind vorerst zu Ende.
Erschienen in Ossietzky 16/2003 |
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