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Hunderte von vergessenen Verfolgten erstehen auf: Walter Barth, Paul Nett, Zuchthaus, Hochverrat, 15 Angeklagte zwölf bis drei Jahre Zuchthaus, Herbert Gottlaß, Zuchthaus, KZ, Fritz Siemon, Zuchthaus, KZ, Reinhold Franke und Max Kästner, Zuchthaus, KZ. Auch Willy Pfeiffer und Willy Schäfer, als Kommunisten in die Sowjetunion gegangen, dort verhaftet und an Deutschland ausgeliefert, KZ Sachsenhausen, 1944 mit anderen Häftlingen zu Dirlewangers Strafeinheit geholt, verschollen. Viele desertieren. Werden ergriffen, erschossen, gehenkt, werden nicht gefaßt, von den Sowjets begrüßt oder liquidiert oder nach Sibirien gebracht, SS-Leute wider Willen, in Widerstandsabsicht - wie sollen Rotarmisten SSler von KZ-SSlern unterscheiden? An die hundert KZ-Häftlinge sterben als SS-Gefangene in sowjetischen Lagern. Wer zurückkehrt, stößt in der DDR auf Verlegenheit. Langes Ringen um Anerkennung. Rugard Otto Gropp, Professor für Historischen Materialismus, vormals Zwangs-SS-Einheit Dirlewanger, schwor sich auf Parteilinie ein, verteidigte eisern Marx und Stalin gegen Bloch. Oder wie kam Alfred Neumann zur SS: Widerstand, Flucht, SU, Ausweisung, Spanien-Krieg, verwundet, von Frankreich an die Gestapo ausgeliefert, acht Jahre Zuchthaus, 1945 zu Dirlewanger gepreßt, Desertion, bis 1947 im Gefangenenlager, später DDR-Minister, ab 1990 Rentner, angeklagt wegen "Totschlag und Körperverletzung an der innerdeutschen Grenze". Wer sitzt im Glashaus und wirft den ersten Stein? Wollen wir die von Deutschen erschossenen Kommunisten aufzählen? Die von den Sowjets ermordeten deutschen Genossen dazu? Siegfried Prokop über Alfred Neumann: "Poltergeist im Politbüro." Gut so, Poltergeister können nicht sterben. Wer einmal bei den Dirlewangern war, wird nie mehr in den ungestörten bürgerlichen Schlaf finden. Kommunisten sind Tote auf Urlaub, rief Leviné in die Gewehrläufe seiner bayerischen Hinrichter. Der Jude muß sterben. Ist er Kommunist, erleidet er den doppelten Tod. Ich lernte die ursprünglichen Dirlewangers beim Warschauer Aufstand kennen und fürchten. Wer dann aus dem KZ zu dieser Truppe gestoßen wurde und seine Haut zu retten verstand, der poltert den Nachkommen in die Seele. Von 170 Antifa-Dirlewanger-SS-Leuten der 9. Kompanie wurden im Dezember 1944 über ein Dutzend durch deutsche Soldaten fürsorglich exekutiert, 30 blieben im deutschen und sowjetischen Feuer liegen, 115 schlugen sich zu den Sowjets durch. Eine Handvoll kehrte nach Hause zurück. Ein Bataillon war geschlossen auf die andere Seite übergegangen. Die DDR erkannte nach anfänglichen Schwierigkeiten die KZ-SSler als Kämpfer gegen den Faschismus an. Das vereinte Deutschland aber weiß von nichts. Einigkeit und Recht und Freiheit? Wären es Bürgerliche oder Offiziere gewesen, gedächte die Berliner Republik ihrer wie der Weißen Rose oder der Militärs vom 20. Juli 1944. Es waren aber Kommunisten, also Tote nicht mal im Gedächtnis auf Urlaub. Für unsereins kein Grund, ihretwegen in Verlegenheit zu geraten. Im vorigen Heft (Ossietzky 15/03) schrieb ich unter Punkt 15: "Die PDS braucht sich ihrer Herkunft nicht zu schämen, denn die Geschichte des Kommunismus ist eine Heldengeschichte ..." Um diesen Teil der Wahrheit drücken sich die werte Öffentlichkeit und ihre Kulturbanausen herum. Wer liest schon Jutta Seidels Bericht von den KZ-SS-Dirlewangern. Wie ich höre, benahm Alfred Neumann sich im ZK der SED nicht comme il faut. Wer immer das kritisiert, mag es tun, diejenigen aber, die nichts daran auszusetzen hatten, daß Hitlers General Gehlen (Fremde Heere Ost) den Bundesnachrichtendienst führte und der Bonner Polizei- und Justizapparat mit judenmörderischen SS- und SD-Offizieren gespickt war, haben nicht das geringste Recht, anklagend auf Kommunisten zu verweisen. Wenn das großdeutsche Spießbürgertum auch nur einen Bruchteil des fürchterlichen Blutzolls aufzuweisen hätte, den die Genossen unter Hitler und Stalin erbringen mußten, würden sie uns jeden Tag Staatstrauer auferlegen. Wie es aber dazu kommen konnte, daß die SED-DDR anno 1989 so zwergenhaft sang- und klanglos verschwand, ist eine andere Frage. Die tragikomische Entfernung des DDR-Personals von seinen heroischen Anfängen entspricht dem Niedergang in der Bonner Republik, ausgenommen die Tatsache, daß am Rhein von Anfang an kein Widerständler eine Führungsposition innehatte. Nicht Niemöller und nicht Kogon regierten, sondern Adenauers Mannen. Diese Differenz entspricht der besonderen deutschen Dialektik. In den ostdeutschen Landesregierungen tauchte nach 1990 nur ein einziges kleines Opfer der DDR-Justiz auf und bald wieder unter. Opfer und Widerständler sind den Regierenden nach dem Sieg unangenehm, erinnern sie doch ans eigene Versagen. In der heute üblichen Verachtung antifaschistischen Widerstandes aber sucht die deutschbürgerliche Seele ihre Nazivergangenheit und die Hitlerei der Väter wie Großväter vergessen zu machen. Dieser Thälmann wurde 1944 in Buchenwald erschossen? Ganz unschuldig daran wird er wohl nicht gewesen sein. Wenn der Rechtsbürger schon nicht mehr antisemitisch sein darf, so will er wenigstens antikommunistisch sein. Man zählt ja nun zu den Siegern. Dabei lassen sie den Unterschied zwischen den Kommunisten, die drei Viertel des deutschen Widerstandes ausmachten, und den auf sie folgenden schwächlichen Laienbrüdern und Versagern einfach verschwinden. Da erlebten wir dieser Tage ein TV-Gespräch zwischen Lothar Bisky und Hansjürgen Rosenbauer, der mit seinen fairen Fragen im gängigen medialen Milieu schon als Fremdkörper wirkte. Bisky belebte sich zweimal Richtung Temperament. Seine Verteidigung blieb ansonst matt. Warum verteidigte er sich überhaupt? Es gab Gründe, in den fünfziger Jahren von West nach Ost zu gehen. Es gibt keinen Grund, sich für diesen Wechsel zu entschuldigen. Den Entschluß akzeptiere ich, obwohl mir damals als einziger Ausweg der Gang von Ost nach West blieb, weil ich mit meinen von Krieg und Gefangenschaft her kaputten Lungen in Bautzen so verreckt wäre wie unser Freund und Genosse Jochen Wenzel im Leipziger Haftkrankenhaus Meusdorf. Nachdem Wenzel tot, Loest in Bautzen verstaut und ich in die BRD entflohen war, kam Bisky zum Studium und Beginn seiner Karriere nach Leipzig. Soll ich ihm dafür grollen? Er hatte keine Ahnung von uns. Die 1989er wußten auch nichts von den 1953ern und 1956ern, weil die Partei von Generation zu Generation das Nichtwissen besorgte. Dabei haben wir eine erinnerbare Vergangenheit, wozu unser Versuch gehört, mit der DDR einen alternativen Staat zu errichten. Das ist mißlungen. Sollen wir deshalb die kommunistischen Widerständler mißachtend vergessen, wie es amtsdeutscher Brauch ist? Bisky sprach sich brav für die Beibehaltung der Gauck-Birthler-Behörde aus. Warum nur forderte er nicht wenigstens ein ähnliches Amt zur Erforschung westlicher Geheimdienst-Umtriebe? Unser Freund Bisky wird gerade wegen der obskuren "Rosenholz"-Datei belästigt. Weder seine Wissenschaftsberichte von West-Reisen noch die Spekulation, er sei von Markus Wolf als Chef einer Honecker ablösenden DDR-Reformregierung vorgesehen gewesen, sind ehrenrührig. Daß von den angeblich 12 000 Westnamen der "Rosenholz"-Quelle ausgerechnet der PDS-Vorsitzende angegiftet wird, bezeugt westliche Entlastungsaktionen zuungunsten Biskys. Dagegen hilft nur Klartext und Aufrechter Gang. Darüber mehr demnächst in diesem Theater.
Erschienen in Ossietzky 16/2003 |
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