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Im Gegenteil: Wenn der Ministerpräsident dabei ertappt worden wäre, daß er die Wahrheit sagte, dann wäre das eine Sensation gewesen. Was, er sprach die Wahrheit? Der Ministerpräsident? Was geht da vor? Was führt er im Schilde? Und die Geheimdienste? In Kindergeschichten riskieren Spione ihr Leben, um Geheimnisse aufzudecken und ihr Land zu retten. Phantastisch! Wie schade, daß dies so wenig mit der Realität zu tun hat. Die Geheimdienste suchen tatsächlich nach Fakten, aber meistens nach solchen, wie sie ihr politischer Chef haben möchte. Sie reichen den Regierungen Berichte ein - aber wehe dem Geheimdienstchef, dessen Bericht nicht zu deren Agenda paßt! Kurzum, es gibt kaum einen Geheimdienstbericht, der nicht für die Mächtigen bearbeitet wurde, nicht die Fakten verzerrt oder glatt erlogen ist. Dies erklärt das fortdauernde Versagen der Geheimdienstagenturen in fast allen Ländern und bei fast allen unerwarteten Ereignissen. Ein paar Beispiele dafür: Ein deutscher Kommunist mit Namen Richard Sorge, der in Japan spionierte, lieferte 1941 dem sowjetischen Geheimdienst einen detaillierten Bericht über den bevorstehenden deutschen Angriff auf die Sowjetunion mit einer auf die Minute genauen Zeitangabe. Stalin weigerte sich, diesen Bericht zu akzeptieren, und drohte, jeden Geheimdienstler, der solchen Unsinn berichten würde, nach Sibirien zu schicken. Die Folge war, daß Hunderttausende Soldaten der Roten Armee getötet oder gefangen genommen wurden, als der deutsche Angriff ("Fall Barbarossa") genau zu dem Zeitpunkt geschah. Dies war so unglaublich, daß ein moderner russischer Historiker eine originelle Erklärung fand: Stalin war gerade dabei, Hitler anzugreifen, als dieser ihm im letzten Augenblick zuvorkam. Oder der Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941. Der amerikanische Geheimdienst hatte viele Anzeichen dafür, daß die Japaner beabsichtigten, die US-Pazifik-Flotte zu vernichten. Aber als der Angriff tatsächlich kam, war die amerikanische Marine völlig unvorbereitet. Das war so schwer zu verstehen, daß eine Verschwörungstheorie Glaubwürdigkeit gewann: Präsident Roosevelt habe die Japaner praktisch zum Angriff eingeladen, um in der Lage zu sein, sein unwilliges Land in den Krieg zu führen. Vor dem Angriff des 11. September auf die Zwillingstürme gab es verschiedene Warnungen, aber alle blieben in den Leitungen der Geheimdienste stecken. Das gab einer anderen verrückten Verschwörungstheorie Glaubwürdigkeit: All dies sei vom israelischen Geheimdienst Mossad organisiert worden, der sogar die Juden, die in den Türmen arbeiteten, gewarnt habe, an diesem besonderen Tag nicht auf ihrer Arbeitstelle zu erscheinen. Die Fehler des israelischen Geheimdienstes stehen auf einer eindruckvollen Liste. Am Vorabend der Staatsgründung hatten die Geheimdienste (oder ihre Vorgänger) nicht den Angriff der arabischen Armeen vorausgesehen, die den neuen Staat in seinen Anfängen fast zerstört hätten. Die ägyptische Revolution von 1952 wurde vom israelischen Geheimdienst ebenfalls nicht vorausgesehen, genau so wenig wie die irakische Revolution von 1958 und die Khomeini-Revolution im Iran - obwohl der israelische Geheimdienst praktisch freies Spiel im Lande des Schahs hatte. Im Mai 1967 waren die Geheimdienste verblüfft, als Gamal Abd-al Nasser seine Armee in den Sinai sandte (und die Ereignisse ihren Lauf nahmen, die zum Juni-Krieg 1967 führten). Das berühmteste Beispiel ist der Vorabend des Oktober-Krieges 1973. Der israelische Armeegeheimdienst kannte alles: den ägyptischen Kriegsplan und die Aufmarschstellungen aller ägyptischen Einheiten. Er sah, wie sie ihre Positionen einnahmen. Er überhörte Dutzende von Botschaften, die überhaupt keinen Zweifel daran gelassen hätten, daß ein Angriff drohte. Einen Tag vor dem Krieg bestätigte ein Ägypter an hoher Stelle, der für Israel spionierte, die Berichte über den bevorstehenden Angriff. Und trotzdem war die israelische Armee vollkommen überrascht, als die Ägypter den Suezkanal überquerten - ohne nennenswerte Gegenwehr. Die offizielle Untersuchung dieses Versagens des Geheimdienstes brachte den hebräischen Ausdruck "Conceptsia" hervor - was bedeutet, daß der Militärgeheimdienst alle offensichtlichen Fakten ignorierte, weil er in seinem eigenen "Konzept" gefangen war, daß die Ägypter absolut unfähig seien anzugreifen. Dies ist ein natürliches Phänomen. Der Mensch tendiert dahin (wie die Gestalt-Psychologie lehrt), die Information aufzunehmen, die zu seinem Vorstellungsmuster paßt, und die Information zu ignorieren, die dem Muster widerspricht. Wie andere Menschen auch haben die Geheimdienstler vorgefaßte Meinungen und Vorurteile. Einzelheiten, die ihnen nicht passen, gehen auch nicht durch die Leitungen der Kommunikation. Sie werden geleugnet und verschwinden. Aber da gibt es auch eine noch einfachere Erklärung. Jeder Geheimdienstchef hat einen politischen Boss - einen Präsidenten, einen Ministerpräsidenten, einen Verteidigungsminister, einen Innenminister. Seine Karriere hängt vom Boss ab, ebenso die Beförderungschancen seiner Untergebenen. Wenn der Boss Mitarbeiter ernennt, wählt er Leute aus, die seiner politischen Agenda nahe stehen. Mit der Zeit wird der ganze Geheimdienst ein Apparat, der den Boss mit der Information versorgt, die er zu hören wünscht, und eine weniger angenehme Information unterdrückt. Das trifft nicht nur für Diktaturen zu, sondern auch für die meisten demokratischen Regime. Der erfolgreiche Geheimdienstchef ist ein Akrobat, der zwischen den Regentropfen läuft und weiß, wie er die Informationen den Interessen der politischen Führung anpaßt. Zum Beispiel: Während fast aller Jahre zwischen dem Sechs-Tage-Krieg und dem Yom-Kippur-Krieg regierte Golda Meir, eine schwierige und nicht allzu weise Frau. Sie dachte nie im Traum daran, die Gebiete, die gerade erobert worden waren, zurückzugeben. Ihr Verteidigungsminister Moshe Dayan, das Idol der Massen jener Zeit, erklärte, Sharm-el-Sheikh (im südlichen Sinai) sei wichtiger als Frieden. Um dies der israelischen Öffentlichkeit zu suggerieren, war es nötig, die arabischen Armeen als eine unbedeutende Macht hinzustellen, als eine Bande von Trotteln, die ihre Stiefel wegwerfen würden, sobald sie einen israelischen Kantinenfeldwebel sehen. Der militärische Geheimdienst entschied offiziell, daß ein ägyptischer Angriff " ziemlich unwahrscheinlich" sei. Zweitausend israelische Soldaten und wer weiß, wie viele Ägypter und Syrer haben dies mit ihrem Leben bezahlt. Von Golda zu George ist es nur ein kleiner Sprung. Bush wollte einen Krieg gegen den Irak. Er konnte der Öffentlichkeit nicht das wirkliche Ziel offenbaren: seine Hände auf den sagenhaften Ölreichtum dieses Landes zu legen, die Ölvorräte der Welt zu beherrschen und die europäische und japanische Wirtschaft und jeden andern potentiellen Konkurrenten in den Würgegriff zu nehmen. Er benötigte einen viel einfacheren und zwingenderen Grund: Saddam hat Massenvernichtungswaffen, er steckt mit Osama Bin Laden unter einer Decke, er ist im Begriff, die USA anzugreifen. Beim Geheimdienst wurden überzeugende, zuverlässig klingende Informationen angefordert. Deshalb präsentierte die CIA Dokumente, die schon als falsch bekannt waren: Sie entlarvten Saddam, wie er versuchte, Uran aus dem Niger zu erwerben. Man setzte dies in eine Ansprache des Präsidenten der USA und - hoppla hopp, schon hatte man einen Krieg. Haben sich die Amerikaner darüber aufgeregt, als die Lüge entdeckt wurde? Nicht im geringsten. Der Präsident hat also gelogen. Na und? Und der CIA hat ihm zu lügen geholfen. Nochmals: Na und? Wichtig ist, daß Saddams Söhne in einer "gezielten Liquidation" - nach israelischem Vorbild - getötet worden sind. Großartig! Aber im Vereinigten Königreich laufen die Dinge anders. Dort gibt es eine politische Klasse und klare Normen, was man tut und was man nicht tut. Der Geheimdienst schnitt seine Berichte auf die Forderungen von Tony Blair zurecht. Der mußte darum nicht bitten. Wie immer wußten die Geheimdienstleute, was er benötigte, und lieferten die Geschichten, die je nach Geschmack aufgebauscht werden konnten. Einer der Experten informierte die BBC, wenige Zeit später wurde seine Leiche gefunden. Selbstmord? Vielleicht. England befindet sich im Aufruhr - und vielleicht werden Blair und seine Handlanger dafür büßen müssen. In Israel, gibt es - Gott sei Dank! - kein solches Problem. Unsere Chefs der Geheimdienste schwätzen und plappern, und ihr Geschwätz paßt immer zu dem, was der Ministerpräsident benötigt. Wenn der Ministerpräsident wechselt, verändert sich dementsprechend auch das Geschwätz des Geheimdienstes. Sie sind eben die Stimme ihres Herrn. Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.
Erschienen in Ossietzky 16/2003 |
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