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Das heißt: Sanduhr - Metapher für ablaufende Zeit. Die Aufführung hatte indes den Titel "Sanatorium Zur Todesanzeige". So endete dieses wesentliche Stück Theatergeschichte mit Schulz, dessen "Zimtläden" 1988 am Anfang gestanden hatten. 1991 war "Ende des Armenhauses" nach Isaac Babel gefolgt und 1993 "Ein Stück vom Paradies" nach Itzig Manger. Theater nach drei großen jüdischen Schriftstellern, doch vorwiegend aus polnischer Sicht, in den Traditionen Jerzy Grotowskis (des "armen Theaters") und Tadeusz Kantors. Es war jüdisches Theater und zugleich Welttheater des 20. Jahrhunderts mit seinen Kriegen, Pogromen, Vertreibungen. Die Uhr dieses Theaters großer Bilder, Gesten und Visionen ist nun abgelaufen - wir trauern. Ein einziger Wagner-Abend der Staatsoper weniger, und die wirtschaftliche Lage des Ensembles hätte entscheidend verbessert werden können. Wie groß der Verlust ist, fiel mir auf, als ich mal wieder ins Orph Theater in der Ackerstraße hineinschaute. Da gibt es immer so gescheit klingende Ankündigungen, von denen dann auf der Bühne leider wenig zu sehen ist. "Hungrig nach Skakespeare" soll im Spiel von Beatrice und Benedict und deren Darstellern ein Modell für "Streitkultur" sein. Die beiden sind ein Liebespaar - wie es heißt: ein freies. Der Abend mit ihnen war etwas lustig, ziemlich laut und hatte den Tiefgang eines Paddelbootes. Überhaupt diese Debatten-Abende. Einer heißt "Notwendiger Neuer Untergrund". Sie zeigen lediglich das Elend des Gruppen-Theaters. Einst war es eine revolutionäre ästhetische Bewegung. Heute ist oft gar kein Konzept mehr sichtbar, wie an den Staatstheatern. Stattdessen eitle Selbstdarsteller des Regietheaters mit ihren Schockern, dieser Sucht, um jeden Preis originell zu sein. Mehrmals setzte ich an, Arthur Schnitzlers "Komödie der Verführung" im Deutschen Theater zu sehen und erlebte einen Ausfall nach dem andern. Einmal las Ulrich Matthes aus den Romanen "Der Keller - eine Entziehung" und "Der Atem - eine Entscheidung" von Thomas Bernhard. Nun, das blieb im Österreichischen, und Bernhard ist immer gut, noch dazu wenn er so gut gelesen wird. Nicht nur diszipliniert und geistig klar, sondern auch Bernhards Melodie folgend, der Satzmelodie und der Melodie eines schier endlosen Erinnerungsvorgangs dieses Autors, der Geschichten stets abbricht und mit Schmäh unterfüttert. Dann kommen Sätze wie der: "Der Wille zur Wahrheit ist, wie jeder andere, der rascheste Weg zur Fälschung und Verfälschung eines Sachverhaltes." Man kann Bernhard nicht ständig lesen, man gerät in den Sog seines Pessimismus. Freilich steht der weltenverlachende, grimme Humor des großen Grantlers dagegen; der rettet. Das brachte Matthes gut heraus, so intelligent wie ehrlich. Eine Lesung dieser Art ist mir lieber als unintelligentes Theater. Fast das Gleiche kann man über Dirk Ossigs Lesung von "Watten - ein Nachlaß" im Berliner Ensemble sagen. Watten, ein Kartenspiel mit 32 deutschen Arten, worin jeder gegen jeden spielt, wird hier eine Art Lebensmetapher. Die Ich-Figur geht nicht mehr watten, sie kann nicht mehr, sie hat aufgegeben, vernichtet von den Verhältnissen. Wie so vieles von Thomas Bernhard ist "Watten" ein Todesgesang Österreichs, so real wie gespielt. Und in der Spiel- beziehungsweise Kunstexistenz liegt wiederum die Hoffnung. Ossig brachte die Spannung von seinem Lesetisch ins Zuschauerrund, zwar sprachlich nicht eng bei Bernhard, aber gestisch, soweit das dem Lesenden möglich war. Endlich konnte ich auch die "Komödie der Verführung" besichtigen. Dazu hier nur eine Anmerkung: Schnitzler war gewiß mehr als ein österreichischer Sittenrichter und mehr als ein jüdischer Warner, der die Bedrohung seines Volkes stets gespürt und ausgedrückt hat (etwa in "Professor Bernhardi"). Man kann ihn einen österreichischen Tschechow nennen, so tief sind seine Fragen, seine Analysen der Gefährdung. Aber er ist eben Österreicher. Zwar soll man nicht wienerisch reden, wenn man das nicht kann, bloß nicht. Aber man darf ihm das Wienerische nicht einfach nehmen wie hier. Es bleibt das Gerippe, es fehlt das Blut, das Leben. Das Stück sperrt sich, die Inszenierung von Stephan Kimmig wird blaß, alt, ausgetrocknet, ohne Charme.
Erschienen in Ossietzky 15/2003 |
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