Entscheidungshelfer

von Marja Winken

Die deutschen Gewerkschaften sind, wie ich gleich beim Eintritt in eine derselben erfahren habe, demokratisch verfaßte Organisationen, und deshalb richten sich ihre Entscheidungen allein am Willen der Mitglieder aus. Das gilt auch für die IG Metall und für die Wahl ihres Vorstandes. Gewerkschaftsmitglieder aber brauchen, so meinen Regierungs- und Parteipolitiker, gute Ratschläge, und deshalb traten bei der sogenannten Führungskrise der IG Metall viele Entscheidungshelfer auf, fast täglich konnte man deren Empfehlungen oder Warnungen in den Zeitungen lesen oder in Funk und Fernsehen vernehmen. Jürgen Peters sei nicht geeignet, Erster Vorsitzender zu werden, erklärte der Bundesinnenminister. Der Bundeskanzler ließ dieselbe Einschätzung erkennen und wies zusätzlich darauf hin, daß in der Spitze der Chemiegewerkschaft doch prächtige Vorbilder zu finden seien. "Aus Kreisen der Politik", so meldeten Zeitungen, werde empfohlen, daß ein bewährter Großbetriebsratsvorsitzender aus der Automobilbranche die Führung der IG Metall übernehmen solle; so einer hat Erfahrung im Co-Management, er weiß also, wie man unternehmerischen Interessen dient. Aber vielleicht seien, so meinten andere "politische Kreise", Harald Schartau oder Walter Riester besser geeignet. Die kommen aus der IG Metall und haben als Minister gezeigt, daß Regierungsinteressen im Zweifelsfall höheren Rang haben als Gewerkschaftsforderungen; das muß nur noch den Gewerkschaftsmitgliedern beigebracht werden.

Jetzt kann diese Suchaktion abgeblasen werden, vorerst jedenfalls, denn das "Tandem" bietet sich wieder an: Jürgen Peters als Erster, Berthold Huber als Zweiter Vorsitzender, so wie das zuständige Gremium der IG Metall es schon einmal vorgeschlagen hatte. Weshalb dann das ganze Spektakel? Ist Klaus Zwickel, der nun vorzeitig aus seinem Amt scheidet, einfach nur durchgeknallt? In seiner Abschiedsrede vor der Presse dankte der bisherige Erste Vorsitzende der IG Metall zwei Männern, auf die er sich habe verlassen können - dem sozialdemokratischen Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der Metallarbeitgeberverbände. Der Gedanke liegt nahe, daß diese beiden Herren auch Klaus Zwickel einiges zu verdanken haben, die Sympathie also nicht einseitig ist. Staunend sehe ich als schlichtes Mitglied einer DGB-Gewerkschaft die Ergebnisse des Wirkens von Klaus Zwickel (und so ganz allein wird er bei alledem auch in seiner Gewerkschaftszentrale nicht dagestanden haben): Ein Streik wurde vom IG Metall-Vorsitzenden zur Niederlage erklärt, noch bevor das Resultat abzusehen war; die Mitglieder wurden dabei nicht befragt. Ein Führungsgerangel wurde angezettelt, das die IG Metall in einen extremen Schwächezustand versetzte. Und von gewerkschaftlichem Widerstand gegen die Agenda 2010 oder überhaupt gegen die asozialen Reformen der Bundesregierung ist keine Rede mehr.

Erschienen in Ossietzky 15/2003