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Nun hätte es der Logik dieser Argumentation entsprochen, wenn die patriotischen Österreicher jene Landsleute geehrt und als Opfer der NS-Militärjustiz gewürdigt hätten, die sich seinerzeit der Teilnahme an den deutschen Angriffs- und Vernichtungskriegen verweigert hatten und für ihr mutiges Verhalten mit den härtesten Strafen belegt worden waren. Doch den naheliegenden Schluß, ihnen wenigstens nachträglich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hat die österreichische Nachkriegsgesellschaft nicht gezogen. Statt dessen galten die Deserteure der Wehrmacht auch dort als "Feiglinge" und "Heimatverräter". Sie hätten, wie ihnen in Anlehnung an eine Formulierung der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) von 1939 nachgesagt wurde, die "wehrhafte Selbstbehauptung" des Landes, also des "Großdeutschen Reiches", gefährdet. Man hielt also an der Sicht fest, daß die Wehrmacht letztlich doch nur "das Vaterland verteidigt" habe - schwerlich vereinbar mit der These, Österreich sei das erste vom nationalsozialistischen Deutschland überfallene Land gewesen. Dabei gab es in Österreich bereits unmittelbar nach dem Krieg erfolgversprechende Ansätze zu einer Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz, nämlich das "Aufhebungs- und Einstellungsgesetz" von 1945. Es hob Kriegsgerichtsurteile auf, wenn die Handlungen des Verurteilten "gegen die nationalsozialistische Herrschaft" oder "auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich" gerichtet waren. Doch kam dieses Gesetz, wie jetzt ermittelt werden konnte, nur in wenigen Fällen zur Anwendung, weil die Betroffenen es angesichts der öffentlichen Meinung nicht wagten, seine Möglichkeiten für sich zu nutzen und einen entsprechenden Einzelantrag zu stellen. Walter Manoschek spricht daher von einem "toten Gesetz". Deserteure blieben im Gedächtnis der österreichischen Nachkriegsgesellschaft negativ codiert, und zwar länger noch als in der Bundesrepublik Deutschland. Hier rang sich die Parlamentsmehrheit - nach einer sich über zwei Jahrzehnte hinziehenden, teilweise quälenden Debatte - am 17. Mai 2002 dann doch zu der Entscheidung durch, die Wehrmacht-Deserteure pauschal zu rehabilitieren. Ähnliches steht in Österreich noch aus. Die systematische Erforschung der österreichischen Opfer der NS-Militärjustiz begann erst nach der Jahrhundertwende, zu einem Zeitpunkt also, als sich abzeichnete, daß die politische und gesellschaftliche Debatte in Deutschland zu einem Abschluß kommen werde. In Deutschland war die Erforschung der Geschichte der Kriegsdienstverweigerer, "Wehrkraftzersetzer" und Deserteure der Wehrmacht der privaten Initiative einzelner Historiker zu verdanken. Einen offiziellen Forschungsauftrag gab es nicht, und die staatliche Institution, welche diese Arbeit hätte leisten können, das Militärgeschichtliche Forschungsamt, machte einen großen Bogen um das Thema. Unter dem Eindruck der breit gefächerten gesellschaftlichen Diskussion im Nachbarland beschloß der österreichische Nationalrat, also das Parlament, im Jahre 1999 auf eine Initiative der Partei Die Grünen hin mit Zustimmung aller Parteien außer der FPÖ, "ehestmöglich die historische Aufarbeitung von Verurteilungen von Österreichern durch die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit" zu fördern. Damit ergab sich die vergleichsweise komfortable Situation, daß das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung einen entsprechenden Forschungsauftrag vergeben konnte. Er wurde von einer sechsköpfigen Arbeitsgruppe am Institut für Staats- und Politikwissenschaft der Universität Wien übernommen. Die Leitung hatte der durch eigene Arbeiten zur Wehrmachtgeschichte ausgewiesene Zeithistoriker Manoschek. Die Mitarbeiter waren David Forster, Maria Fritsche, Thomas Geldmacher, Hannes Metzler und Thomas Walter. Die Ergebnisse der von ihnen betriebenen Grundlagenforschung liegen jetzt in einem umfangreichen Sammelband vor. Eine Pionierarbeit. Die Wiener Autoren erstellten eine Datenbank, in welcher erstmals empirisch gesicherte Aussagen über die Opfer, die Delikte, die Urteile und Haftzeiten sowie über den Strafvollzug und den Umgang der Zweiten Republik mit den österreichischen Opfern der NS-Militärjustiz nach 1945 zu finden sind. Sie arbeiteten mit einem breiten Opferbegriff, der alle von der NS-Militärjustiz Verfolgten einschließt. Diese Besonderheit, die sich - im Verständnis der Autoren - daraus ergibt, daß die damalige Militärjustiz auf allen Feldern als eine "Terrorjustiz" agierte, dürfte noch für Diskussionsstoff sorgen. Im Zentrum des Interesses der Forscher standen allerdings die "Entziehungsdelikte" Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht, unerlaubte Entfernung und Selbstverstümmelung. Nach einer Hochrechnung wurde gegen 1200 bis 1400 österreichische Deserteure die Todesstrafe vollstreckt. Mit diesem Sammelwerk verfügt die österreichische Politik über eine solide wissenschaftliche Grundlage, um die österreichischen Opfer der NS-Militärjustiz doch noch zu rehabilitieren. Leopold Engleitner, ein 97 Jahre alter Zeuge Jehovas, der damals den Wehrdienst verweigerte und mehrere KZs überlebte, spricht für viele, wenn er sagt: "Wir hätten eher geehrt werden müssen, anstatt so gehaßt zu werden." Walter Manoschek (Hrsg.): "Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis - Strafvollzug - Entschädigungspolitik in Österreich", Mandelbaum-Verlag Wien, 834 Seiten, 49,80 €
Erschienen in Ossietzky 15/2003 |
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