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Dazu gehörte, daß er in den Folgemonaten durch den "USA Patriot Act" dem Bundeskriminalamt (FBI) neue Ermächtigungen zur Bespitzelung des Volkes und seiner Gäste übertrug und so die in der Verfassung festgeschriebene Rede- und Pressefreiheit einschränkte. Verdeckte Ermittler können jetzt bei jedem beliebigen öffentlich zugänglichen Ereignis eingeschleust werden und Hinweisen auf "mutmaßliche terroristische oder kriminelle Aktivitäten" nachgehen. Die Mitarbeiter des FBI haben Vollmacht, ohne Rechtfertigung oder den Nachweis, daß ein Verbrechen geplant ist oder verübt wurde, Internet-Chatrooms, Web-Sites und kommerzielle Datenbanken zu überwachen, öffentliche Bibliotheken zu durchstöbern und Informationen über Zeitschriftenabonnements, Bücherkäufe und -entleihungen, Spenden für Vereine und wohltätige Zwecke sowie über Reiserouten zu sammeln und auszuwerten. Generalstaatsanwalt John Ashcroft ist überzeugt: "Das FBI muß früh eingreifen und energisch nachforschen, wo es Informationen gibt." Diese neuen Befugnisse setzen auch die Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Daten, wozu sich die öffentlichen Bibliotheken verpflichtet haben, außer Kraft. Die Leiterin des Washingtoner Büros der American Library Association, Emily Sheketoff, klagte über Agenten, "die zuschauen, was die Leute lesen, und ihnen über die Schulter blicken, während sie im Internet sind. Als amerikanische Bürgerin befürchte ich, daß sie sich die Zeitschriften anschauen werden, die ich abonniert habe, und daß sie das zum Anlaß nehmen, noch weiter nachzuforschen." Nun darf man sich freilich die nordamerikanische Geistesgeschichte nicht als die einer einzigen großen Freiheit vorstellen, die jetzt durch den "USA Patriot Act" jäh abgebrochen worden wäre. Vielmehr legalisiert er eine lange Tradition von Bücherverboten und Bücherverbrennungen. Beispielsweise wütete von 1872 bis 1915 die berüchtigte Behörde des selbsternannten Zensors Anthony Comstock, die "Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters", mit verheerendem Einfluß auf die Entwicklung der Verlage und Bibliotheken: Buchhändler wanderten ins Gefängnis, 160 Tonnen "unsittlicher Literatur" wurden vernichtet. Heute üben in etlichen Bundesstaaten mehr als 200 private Organisationen mit aktiver Unterstützung und finanzieller Förderung der Regierungen Druck auf Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken aus und machen Hetzjagd auf ihnen mißliebige Schriftsteller, Lehrer und Bibliothekare. Betroffen sind alle Veröffentlichungen, die den amerikanischen Patriotismus und das traditionelle Familienbild in Frage stellen, Schulbücher, in denen Darwins Evolutionstheorie positiv erwähnt wird, sowie die Publikationen linker und homosexueller Autoren. Die Gründe blieben über Jahrhunderte die gleichen: Die Aussagen des Buches seien politisch untragbar, falsch, gefährlich, verleumderisch, obszön oder verderblich. Die Versuche, unerwünschte Bücher zu verbieten, gipfelten in publikumswirksam inszenierten öffentlichen Bücherverbrennungen. Das Zeremoniell paßte sich den jeweiligen Gepflogenheiten an. Während bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch die Kirchenglocken läuteten und ein Scharfrichter die Strafe vollstreckte, indem er das Buch auf einen Scheiterhaufen warf, geht man heute gewöhnlicher leiser vor und entzieht sich der Aufmerksamkeit der Medien. Die nachweislich erste Bücherverbrennung fand 1650 auf dem Marktplatz von Boston statt, als religiöse Schriften dem Feuer übergeben wurden. Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, brannten in mehreren Bundesstaaten unter dem Absingen patriotischer Lieder wahllos aus den Bücherregalen herausgegriffene deutsche Bücher. Die vorerst letzte Bücherverbrennung ge schah im Juli 2001 in der Nähe von Pittsburgh, wo George Bender, Pastor einer protestantischen Kirchgemeinde, "Harry Potter"-Bücher von Joanne K. Rowling mit den Worten dem Feuer übergab: "In diesen Büchern geht es um Zauberei, Hexen, das Okkulte und Paranormale - all das ist konträr zu unseren Überzeugungen." Seit 1982 versucht die American Library Association, der Jagd auf Bücher und Autoren entgegenzuwirken. Sie organisiert jährlich eine von vielen Organisationen unterstützte "Banned Book Week" und veröffentlicht regelmäßig Listen der in den letzten zehn Jahren am häufigsten verbotenen Bücher. Die neueste Ausgabe vom Mai 2003 mit einhundert "frequently challenged books" ist ein Beispiel der Intoleranz, Arroganz und Verdummung im angeblich freiesten Land der Welt. William Shakespeares Drama "Der Kaufmann von Venedig" wurde in Michigan und Oregon als "antisemitisches Hetzstück" vom Schulplan gestrichen, Hermann Hesses "Steppenwolf" in Colorado aus den Schulbibliotheken entfernt, weil es Drogenmißbrauch und sexuelle Perversionen propagiere, und öffentliche Bibliotheken in Virginia und Florida verbannten John Steinbecks Romane und Erzählungen wegen angeblicher Vulgarität und Rassismus. Mark Twains Klassiker über Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer sind wegen des Wortes "Nigger" und der Furchtlosigkeit der Titelfiguren, die weder Gott noch irdische Autoritäten anerkennen, aus vielen Bibliotheken verschwunden, J. D. Salingers Roman "Die Fänger im Roggen" wegen Alkoholmißbrauchs, Prostitution und vorehelichen Geschlechtsverkehrs, Alice Walkers "Die Farbe Lila" wegen "pornographischer Szenen". Zu einer engstirnigen, gegenwärtig dominierenden amerikanischen Auffassung von Gerechtigkeit gehört es auch, Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen, wenn sie über das Geschehen am 11. September 2001 anders denken als die Regierung. Eine wirksame Methode ist der Rufmord. Als James H. Hatfields Buch "Das Bush-Imperium" erschien, wurde der Autor durch eine Schmutzkampagne niedergemacht; der Verlag wurde zum Rückzug gezwungen, 90 000 schon gedruckte Exemplare wurden eingestampft (Ossietzky 10/02). Einen Monat, nachdem das Buch endlich erscheinen konnte (lange nach der Präsidentenwahl, die es hatte beeinflussen wollen, war Hatfield beruflich im Aus. Er hatte zwei Buchverträge und weitere Aufträge verloren. Am 18. Juli 2001 setzte der 43jährige seinem Leben selbst ein Ende (sofern die Todesursache amtlich richtig festgestellt und der gewissenhafte Bush-Biograph nicht Opfer eines Verbrechens wurde). Anfang August treffen sich auf dem Weltkongreß der Bibliothekare in Berlin über 4000 Experten aus 125 Ländern. Die Teilnehmer werden sich aus aktuellem Anlaß auch mit den Auswirkungen des "USA Patriot Act" auf die Bibliotheken beschäftigen. Auf einer Pressekonferenz kritisierte der Generalsekretär des veranstaltenden Weltverbandes, Ross Shimmon, die Möglichkeit der Überwachung des Ausleihverhaltens von Bibliotheksbenutzern in den USA durch die Anti-Terror-Gesetze. Es ist zu hoffen, daß sich die Bibliothekare von diesen massiven Eingriffen in die geistige Freiheit distanzieren und damit der American Library Association den Rücken stärken, die in der letzten Septemberwoche in den USA die "Banned Book Week 2003" veranstaltet. Die Präsidentengattin Laura Bush, von Beruf Bibliothekarin, wird an dem Weltkongreß nicht teilnehmen. Dort hätte sie die Möglichkeit, über die ersten Ergebnisse ihrer Anfang 2002 ins Leben gerufenen Kampagne zur Unterstützung der amerikanischen Bibliotheken zu berichten und sich der Kritik an den hier genannten Maßnahmen der Regierung zu stellen. Übrigens sind für sie die Bibliotheken ihres Landes eine "Schatztruhe der Gemeinschaft, gefüllt mit einem Reichtum an Informationen, der jedem in gleicher Weise zur Verfügung" stehe. Schön wär's.
Erschienen in Ossietzky 15/2003 |
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