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Der war weniger verkorkst. Und er traf zu (wie sich tags darauf herausstellte). "...mehr als 20 Ausgaben täglich" - wie viele? mindestens 21? Beim Nachzählen hätten die Redakteure ein Gänseblümchen entblättern sollen. Plogs Bemerkung über die Medienkrise hätten sie erläutern müssen, wenn schon der Festredner selbst nicht genau wußte, was er meinte. Das Lob des ARD-Vorsitzenden zu zitieren war Selbstlob. Der von ihm erwähnte Erfolg ist nur quantitativ meßbar. Tatsächlich erreicht die Tagesschau allein mit ihrer 20-Uhr-Ausgabe Einschaltquoten von mehr als 20 Prozent - mehr als sechs Millionen Zuschauer. Qualität, speziell journalistische Qualität, ist damit nicht nachgewiesen. Als ich 1975 Mitglied der Tagesschau-Redaktion wurde, gab es keine kommerzielle Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Computergestützte Redaktionssysteme waren noch unbekannt. Täglich wurden Nachrichten um 10, 13, 16.15, 17.50, 20 und 22.30 Uhr sowie zum nächtlichen Programmschluß gesendet (sofern der nicht ausnahmsweise einmal nach 1.30 Uhr morgens stattfand). Sechs bis sieben Tagesschau-Ausgaben täglich. In den Redaktionskonferenzen rangen wir um seriöse Berichterstattung, um inhaltliche und formale Genauigkeit. Mit unterschiedlichem, aber manchmal erkennbarem Erfolg. Als der Wettbewerb zunahm und immer mehr kommerzielle Konkurrenten zugelassen wurden, erhielten quantitative Kriterien Vorrang vor Qualitätsansprüchen. Nachrichten-Berieselung rund um die Uhr. "Aus einem Tortengeschäft wird eine Semmelfabrik gemacht", klagte ein Leitender Redakteur schon 1985 auf einer Personalversammlung. Seine Kritik sollte sich in den folgenden Jahren bestätigen. Aus besagter Semmelfabrik beziehe ich einen Teil meiner täglichen Informationsware. Ich schalte die Tagesschau nicht aus übertriebener Anhänglichkeit ein, sondern gewohnheitsmäßig und mangels besserer Alternativen. Unter Blinden ist der Einäugige König, und in der Gruppe der "News Shows" taugt die Tagesschau als Marktführer. Wissenschaftliche Publikationen über Machart und Wirkung der Tagesschau gibt es reichlich. Mitverantwortlich für die Zustände in unserem Land und für die verbogenen Ansichten vieler Bürger wird sie nach meiner Kenntnis nirgendwo genannt, obwohl dies Urteil zuträfe. So beschränke ich mich auf einige Anmerkungen zu einzelnen Sendungen nach der erwähnten Geburtstagsfeier. 30. Juni. Tagesschau-Filmtext: "Das erste Kampfflugzeug vom Typ Eurofighter ist heute im bayerischen Manching übergeben worden. Die Entwicklung des Rüstungsprojekts hatte etwa 20 Jahre gedauert. Produziert wird der Eurofighter in Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien. Die vier Länder wollen insgesamt 620 Maschinen kaufen. 180 davon sollen bis 2015 an die Bundeswehr ausgeliefert werden. Der Gesamtpreis beträgt etwa 18 Milliarden Euro. An den hohen Kosten drohte das Projekt mehrfach zu scheitern." Erbarmen! Nur die Rüstungsindustrie und ihre Kostgänger plus unverbesserliche Militaristen hätten den Verzicht auf den Kauf der Eurofighter als politische Konsequenz einer unverschämten Preispolitik je als Bedrohung empfinden können. Mir wäre dagegen schon ein einfaches Scheitern des Projekts recht gewesen. Aber aus der Sicht der Tagesschau-Redaktion "...drohte das Projekt mehrfach zu scheitern": doppelt? fünffach? Wer erklärt diesen Schwätzern den Unterschied zwischen "mehrfach" und "mehrmals, wiederholt, immer wieder"? Abgesehen davon: Warum beließen es diese Nachrichtenleute beim "etwa" und nannten nicht die genauen Kosten, vor allem die Kostensteigerungen? Warum verzichteten sie auf wesentliche Informationsteile, die sie dem Zuschauer leicht hätten beschaffen können? Ein Beispiel: Ausstattung und Funktionen des Mordinstruments Eurofighter entsprechen längst nicht mehr der ursprünglichen Ausschreibung und dem ersten Angebot der Industrie. Das Projekt wurde mehrmals "abgespeckt", kostet aber nach aktueller Schätzung drei Milliarden Euro mehr, als noch in der vorigen Legislaturperiode zugesagt war. Bis heute sagt kein Verantwortlicher genau, wieviel jedes einzelne Flugzeug kosten wird. Dies steckt dahinter: Ein privater europäischer Rüstungskonzern, finanziell unterstützt aus staatlichen Kassen, erwartet Milliardengewinne im Exportgeschäft. Auch die deutschen Teilhaber werden absahnen. Unser Kriegswaffenkontrollgesetz verbietet ihnen zwar, solche Flugzeuge nach überall hin zu verkaufen, nicht aber, ihren Anteil an den von überall her fließenden Erlösen einzustreichen. Das Verkaufen übernehmen in kritischen Fällen die weniger zimperlichen Briten ... 1962 lernte ich als Volontär in der Redaktion eines längst eingegangenen Allgäuer Lokalblatts: Wer wichtige Teile einer Nachricht wegläßt, betreibt Fälschung. Wer nur Gegebenheiten und Ereignisse, Handlungen und Äußerungen aufzählt und wiedergibt, nicht aber auf zugrundeliegende Interessen und Absichten aufmerksam macht, bewegt sich zwischen Halbwahrheit und Lüge. 1. Juli, 20 Uhr. Ich erfahre, daß sich die Koalitionsparteien in Düsseldorf "auf eine gemeinsame Linie geeinigt" haben. Pleonasmen und Tautologien sind, ebenso wie schmückende Adjektive (scharfe Kritik, schwere Niederlage, heftige Auseinandersetzung) und andere Hervorhebungen (Elitesoldaten, Großfeuer) gebräuchliche Mittel, eine Nachricht bedeutsamer erscheinen zu lassen, als sie ist. Die Tagesschau begrüßt die "Tarifeinigung für den Öffentlichen Dienst in Berlin" und überschwätzt, ebenso wie sie es anschließend dem Berliner Bürgermeister Wowereit und dem Gewerkschaftsvorsitzenden Bsirske im Originalton durchgehen läßt, daß die vereinbarte Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 37 Stunden ohne Lohnausgleich erfolgen wird. Sie unterläßt es, mir vorzurechnen, wie tief der soziale Einschnitt gerät: Die verabredete Lohnkürzung beträgt erst einmal 7,5 Prozent für Beschäftigte im Osten der Stadt wegen der dort noch geltenden 40-Stunden-Woche, 3,9 Prozent für die im Westen, die bisher die 38,5-Stunden-Woche haben; unter Berücksichtigung der zugleich ausgehandelten Lohnerhöhung um 3,5 Prozent bleibt ein Minus von vier Prozent im Osten und von 0,4 Prozent im Westen. Wenn sich in den kommenden zwei Jahren - so lange läuft der Tarifvertrag - Preiserhöhungen und Belastungen durch neue Gesetze auf 2,5 Prozent summieren, ergeben sich Reallohneinbußen von mehr als sechs Prozent im Osten und fast drei Prozent im Westen. 2. Juli. Zum "Ermittlungsverfahren gegen den Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Friedman": "Unterlagen mit Ergebnissen der Staatsanwaltschaft sind ... in die Öffentlichkeit gelangt. Ein Justizsprecher wollte allerdings zu dem Inhalt der Akten, die den ARD-Talkshow-Moderator belasten, keine Stellung nehmen." Nicht nötig, denn daß die Akten Friedman belasten, sudelt die Tagesschau selbst ins Publikum. Dann darf Reporter Joachim Wagner mitteilen, was er zuvor in der Bild-Zeitung gelesen hat, wie er ausdrücklich erklärt. Die Unschuldsvermutung für den Angeklagten gilt da wenig. Millionen Unbefugte nehmen mit Hilfe von Bild und Tagesschau Einblick in Friedmans Privatleben. Mit Informationen darüber, daß zahlreiche Bundestagsabgeordnete unter weit schwerer wiegendem Verdacht stehen als er, hält sich die Tagesschau vornehm zurück. Für die Bewältigung unseres Alltags haben solche "Nachrichten" keinen Wert. Aber sie weisen darauf hin, wie weit die Tagesschau die Grenzen des Anstands und der Rechtlichkeit hinter sich gelassen hat und ihren Informationsauftrag ignoriert. Viele Millionen Zuschauer konsumieren sie regelmäßig. Ein erheblicher Teil des deutschen Publikums bezieht die Mosaiksteine für seine Weltbilder, rezipiert Grundlagen für politisches Denken und Handeln von der Tagesschau oder ihren noch minderwertigeren Konkurrenten. Semmelfabrik? Frische Semmeln sind genießbar. Von Tagesschau-Nachrichten läßt sich das nicht immer behaupten.
Erschienen in Ossietzky 14/2003 |
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