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Heute muß sich der Kunde über eine Vielzahl von Anbietern und Produkten informieren, bevor er einen Laden betritt, sonst verläßt er ihn mit etwas, was er vielleicht gar nicht braucht oder benutzen kann. Geht er in Erinnerung an die gute alte Post zur Telekom, erwarten ihn in deren Shops junge Verkäuferinnen und Verkäufer, die einen Jargon drauf haben, aber niemanden beraten können, der nicht schon Bescheid weiß. Sich über das Angebot zu informieren, kostet Zeit. Eine Wissenschaft für sich. Beschäftigungstherapie für Konsumenten, damit sie mit ihrer Freizeit etwas anfangen können und nicht auf andere Ideen kommen. Im Postamt bekommt man mittlerweile alles Mögliche, vom Bleistift bis zum Handy. Nur wer Briefmarken kaufen oder ein Päckchen aufgeben will, muß anstehen wie seit der Nachkriegszeit nicht mehr. Das liegt an der systematischen, Personalkosten reduzierenden Unterbesetzung der Schalter. Früher, als noch gesamtgesellschaftlich weniger Werte produziert wurden, konnten wir uns Postbeamte leisten, die ruhig vor sich hin arbeiteten oder auch mal auf einen Kunden warteten. Da war auch die Arbeitslosigkeit noch nicht so hoch. Was "Kundenorientierung" und "verbesserter Service" heißt, demonstriert die Post neuerdings bei der Demontage ihrer gelben Briefkästen. Vor gar nicht langer Zeit hatte sie noch versucht, uns durch große Reklametafeln mit der Parole "Schreib mal wieder" dazu zu verlocken, mehr Briefe zu schreiben, statt nur zu telefonieren; sie konnte dann mehr Briefmarken verkaufen. Wer sich darauf einließ, erlebt jetzt sein blaues, oder besser: gelbes Wunder. Seit eh und je werfe ich meine Briefe in einen Kasten, der etwa 200 Meter von meiner Wohnung entfernt ist. Neulich war er nicht mehr da. Einfach abgehängt, ohne Information, wo nun der nächste zu finden wäre. Der nächste, dachte ich, wird noch da sein, wo er immer war, nämlich einige Straßenecken weiter. Als ich ankam: Fehlanzeige. Auch er sang- und klanglos verschwunden. Der Briefkasten in der Nähe meiner Arbeitsstelle wird es auch tun, machte ich mir erneut Hoffnung. Pustekuchen. Wieder vergeblich hingelaufen. Jetzt konnte ich die Wut mancher Leserzuschriften in der Lokalpresse nachvollziehen. Sie bezogen sich unter anderem darauf, daß ausgerechnet Briefkästen in der Nähe von Altenheimen abmontiert worden waren. Proteste hatten nichts geholfen. Als ich endlich an diesem Tag in einem Postamt meine Briefe los wurde, erkundigte ich mich, wie das alles zu verstehen ist. Die resignierte Antwort eines dort Beschäftigten: Die Post ist nicht mehr das, was sie einmal war. Man verliert die Lust. Ständiger Personalabbau. Und um so mehr Arbeit für diejenigen, die übrig bleiben. Das Geheimnis der verschwundenen Briefkästen erklärte er mir so: Die Post hat solche traditionellen Dienstleistungen wie die Briefkastenleerung an private Firmen vergeben. Die haben verständlicherweise kein Interesse daran, möglichst viele Kästen zu leeren, sondern möglichst wenige, die dafür voller sind. Das nennt man Effizienz. Und überhaupt: Warum denn noch altmodische Briefe schreiben, wenn es per E-mail schneller und kostengünstiger geht! Was kümmern uns die alten Mütterchen, die im Heim sitzen ohne Internetanschluß und gerne die paar Schritte zum Briefkasten gelaufen waren, um mobil zu bleiben! Aber das ist noch gar nichts gegen Schweden. Ein Kollege aus Stockholm, dem ich die Geschichte erzählte, berichtete von den neuesten Modernisierungen im früher gerne so genannten "Volksheim". Nicht einmal mehr Briefmarken gibt es auf den schwedischen Postämtern. Die muß man nun im Zeitungs- oder Tabakladen kaufen. Neulich habe er einen schwereren Brief zur Post getragen, den habe man ordnungsgemäß gewogen, das Porto genannt - um dann freundlicherweise anzubieten, ihn aufzubewahren, bis sich der Kunde die Briefmarken anderswo besorgt hätte. Das nennt man Effizienz, Kundenorientierung und Service! In den weiterhin nützlichen Kategorien der Marxschen Wertlehre müßte man es so ausdrücken: Die ständig vorangetriebene und verfeinerte Kapitalverwertung geht auch auf Kosten des Gebrauchswerts, der Befriedigung unserer realen Bedürfnisse. Diesem Prozeß muß man sich aber nicht unterwerfen, wie folgendes, nur scheinbar skurriles Beispiel zeigt: "Hamburger Bürger haben mit Tatkraft auf den Abbau von Briefkästen in ihrem Stadtteil geantwortet: Sie stellten einen eigenen Briefkasten auf. Jeden Tag leert Ladenbesitzer Jens Burg etwa 80 Briefe aus dem roten Kasten und bringt sie zum nächsten Postamt. Wichtige Post können die Anwohner auch in Burgs Laden abgeben, wie der Kaffeehändler mitteilte. 3800 Unterschriften für einen abgeräumten Briefkasten hätten die Post nicht umgestimmt. So habe man einen roten Briefkasten für 59,90 Euro aus dem Baumarkt auf den Bürgersteig gestellt. ›Wir haben mit diesem Briefkasten nichts zu tun‹, sagt Post-Sprecher Uwe Reher. Das Bezirksamt Nord genehmigte den Kasten." (Frankfurter Rundschau, 30. Mai 2003) Der Kunde wird erst König, wenn er souverän seine Sache in die Hand nimmt.
Erschienen in Ossietzky 13/2003 |
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