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Einen enormen Zulauf von Besuchern erwarten auch 17 andere Institute in Bremen, Fischerhude und Worpswede, die diesen Sommer ebenfalls dem Dichter und der Künstlerkolonie widmen. Vor hundert Jahren - daher dieses große Erinnerungsprojekt - ist Rilkes Monographie "Worpswede" erschienen, in der er als erster die Worpsweder Künstler vorstellte: Fritz Mackensen (1866-1953), Otto Modersohn (1865-1943), Fritz Overbeck (1869-1909), Hans am Ende (1864-1918) und Heinrich Vogeler (1872-1942). Mehrfach hob Rilke die "deutsche" und "nordische" Tendenz der Worpsweder Kunst hervor. In der Einleitung schrieb er, er wolle von zehn Jahren "ernster, einsamer deutscher Arbeit" berichten. Otto Modersohn ist für ihn "ein stiller, tiefer Mensch" der "seine eigene, deutsche, nordische Welt" hat. Heinrich Vogeler erscheint ihm als "der Meister eines stillen, deutschen Marienlebens". Über Fritz Mackensen heißt es, die Menschen, die er gesucht und gefunden habe, seien stille, nordische Gestalten; sein Bild "Der Säugling" gleiche einem Herbstapfel, einer "nordischen Frucht". "Nordisch" seien auch die Klänge, die Overbeck liebe, und "nordisch" die Schwermut, die manchmal aufkomme, "wo Bäume und Brücken wie von den Schatten unsichtbarer Dinge verdunkelt sind". Tatsächlich muß die Gründung der Worpsweder Künstlerkolonie vor dem Hintergrund der Heimatkunstbewegung verstanden werden, der ersten großen Sammelbewegung konservativer und deutsch-völkischer Autoren und Künstler gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dies war Rilke bewußt, denn er bezieht sich in seinem Worpswede-Buch auf Julius Langbehn (1851-1907), den Propheten dieser Bewegung, der in seinem Buch "Rembrandt als Erzieher" (1890) behauptete, die Probleme Deutschlands nach 1871 lösen zu können, wenn die Deutschen Künstler würden und sich nur an dem niederländischen Maler Rembrandt orientierten. Die deutschen Maler sollten wieder an den heimatlichen Boden gebunden werden und "Heimatkunst" schaffen. Die "echte" deutsche Kunst band Langbehn an den "Geist der Scholle" und an die "arische", "germanische", "nordische" oder "niederdeutsche" Rasse. Daß die ersten Worpsweder Maler Julius Langbehn verehrten, bestätigte 1938 Fritz Mackensen in seiner Rede "Das Weltdorf Worpswede" auf dem 1. Niederdeutschen Malertag: "Langbehns Buch ›Rembrandt als Erzieher‹ haben wir sozusagen verschlungen. Wir lebten in dem Gedanken, daß Rembrandt auf der selben geographischen Linie geboren ist und gelebt hat, auf der Worpswede liegt." Mackensen hatte es hier inzwischen zum SA-Mann gebracht, zum NSDAP-Mitglied, zum Vorsitzenden des "Kampfbundes für deutsche Kultur" und zum Vertreter der Reichskammer für bildende Kunst. Altworpswede war eine Insel gegen die Moderne. Die Absage an die moderne Zivilisation und Kultur, die Sehnsucht nach vorindustriellen Zeiten - ohne Großstädte und technische Errungenschaften - verband die ersten Worpsweder Maler mit Rilke. Der Wunsch nach einer unverdorbenen, urtümlichen, ländlichen Idylle wird in Rilkes Monographie und den beigegebenen Bildern ganz deutlich. Die einzige Stadt, die er zu preisen und zu bewundern vermag, ist ein Abbild der Natur: die von Overbeck gemalte "Wolkenstadt", "greifbar und groß". Da für Rilke erwiesen ist, "daß alle Künste jetzt aus dem Landschaftlichen leben", bindet er die Malerei der Worpsweder an die nordische Erde. Darüber hinaus deutet er die Landschaft, in der sie leben und die sie malen, als Ausdruck vermeintlich guter alter Zeiten, die er wie das Mittelalter und die römische Antike verklärt. So vergleicht er die Birken bei Worpswede mit weiß verkleideten "Heiligen", die das Licht kaum unterdrücken können, das in ihnen ist. Vogelers Kunst gleiche der mittelalterlicher Mönche: Sie steige empor aus einer engen, umhegten Welt, "um an der Weite und Ewigkeit der Himmel leise preisend teilzunehmen". In Soest, der Heimatstadt Modersohns, "da war noch Mittelalter", schwärmt der Dichter an anderer Stelle, festgehalten in den Kirchen, in die man nur eintreten mußte, um in einer anderen Welt zu sein. Über Trier, Hans am Endes Geburtsstadt, schreibt er, sie habe in römischer Zeit gestrahlt im "Glanz einer kaiserlichen Sonne", 1870 aber sei sie gezeichnet gewesen durch Verfall und Greisentum. Woran Rilke die rhetorische Frage knüpft: "Was konnte kommen, was diese marmornen Paläste übertraf, deren einzelne sieche Säulen Jahrhunderte aufwogen, wie sie jetzt noch dastanden in ihrer einsamen, nachdenklichen Größe?" Bei einem kleinen thüringischen Dorfe, in das die am Endes umgezogen waren, konnte es vorkommen, "daß man im Walde saß und bei den Stämmen und Säulen dachte..., in einem alten, lang verlassenen Palast zu sein; an der Rinde der Bäume waren plötzlich die Adern eines grünlichen Marmors zu sehen, und wenn man in die Lichtung trat, so wehte einem der Wind wie ein schwerer Seidenvorhang über die Wange, und man träumte, an einem Bogenfenster zu stehen, das sich weit in die Landschaft öffnete." Ein weiteres Mal träumt Rilke von verfallenen Palästen, setzt sie diesmal aber in unmittelbare Beziehung zu den Bildern Hans am Endes, in denen sehr ferne Baumgruppen wie die Ruinen dunkler Riesenmauern vor gewaltigen Himmeln aufsteigen und die alten Birken, die am Ende oft in die Mitte der Bilder stellte, hintereinander gereiht waren "wie die letzten Marmorsäulen langvergangener Kaiserpaläste". 23 Jahre nach dem Erscheinen seiner Worpsweder Monographie, in der Rilke so schwärmerisch die Säulen römischer Paläste in seinem Herzen neu errichtet hatte, schrieb er im Januar und Februar 1926 drei Briefe an die in Mailand lebende Herzogin Gallarati Scotti, in denen er die Diktatur Benito Mussolinis bejaht und das faschistische Regime als "ein Heilmittel" empfiehlt, da es "sich auf die Autorität stützt". Er ist auch bereit, "eine gewisse, vorübergehende Gewaltanwendung und Freiheitsberaubung" zu tolerieren. Da die Ungerechtigkeit schon immer Bestandteil aller menschlichen Bewegungen gewesen sei, solle man, sofern man nur einen Plan für die Zukunft habe, nicht die Zeit damit vergeuden, Ungerechtigkeiten zu vermeiden, sondern müsse einfach über sie hinweg zur Aktion schreiten. "Das ist genau das," so Rilke, "was sich im Augenblick in Italien abspielt, dem einzigen Lande, dem es gut geht und das im Aufstieg begriffen ist." Mussolini sei zum "Architekten des italienischen Willens" geworden, zum "Schmied eines neuen Bewußtseins, dessen Flamme sich an einem alten Feuer entzündet". "Glückliches Italien!" ruft Rilke einem Lande zu, in dem der Terror faschistischer Überfallkommandos schmerzhafte Wirklichkeit ist. Den Ideen der Freiheit, der Humanität und der Internationale erteilt er in den Briefen an die Mussolini-Gegnerin Gallarati Scotti eine scharfe Absage: Sie seien nichts als Abstraktionen, an denen "unser armes Europa beinahe zusammengebrochen wäre". Auch eine Poesie, die vorgebe, besonders gut und human zu sein, die das Ziel habe, zu helfen oder zu trösten, sei ihm zuwider, sie sei "bestenfalls eine rührende Schwachheit". Indem Rilke die Mitmenschlichkeit mißbilligt, greift er 1926 sein politisches Glaubensbekenntnis wieder auf, das er 1896 in seiner Erzählung "Der Apostel" verkündet hatte. Es lautet: In der menschlichen Seele gibt es keine schlimmeren Gifte als Nächstenliebe, Mitleid und Erbarmen, Gnade und Nachsicht. Deshalb geht der "Apostel", das Sprachrohr des Dichters, in die Welt, um die Liebe zu töten. Höhnisch bekennt er: "Wo ich sie finde, da morde ich sie." Denn das christliche Gebot der Nächstenliebe schwächt diejenigen, die es "blind und blöde" befolgen; und "der, den sie als Messias preisen, hat die ganze Welt zum Siechenhaus gemacht". Träger des Fortschritts kann nie die stumpfe Menge sein, sondern nur "der Eine, der Große, den der Pöbel haßt"; nur er kann rücksichtslos den Weg seines Willens gehen, "mit göttlicher Kraft und sieghaftem Lächeln". Ein Recht zu leben hat nur der Starke. Der marschiert vorwärts, selbst wenn die Reihen sich lichten. "Aber wenige Große, Gewaltige, Göttliche werden sonnigen Auges das neue gelobte Land erreichen, vielleicht nach Jahrtausenden erst, und sie werden ein Reich bauen mit starken, sehnigen, herrischen Armen auf den Leichen der Kranken, der Schwachen, der Krüppel. Ein ewiges Reich!" Sechs Jahre nach Rilkes Tod begannen die Nazis in Deutschland, ihr Programm von der Überlegenheit der germanischen Herrenrasse zu verwirklichen - unvergleichlich brutaler noch als die italienischen Faschisten. Rilkes politisches Denken, das sich auch in seinen Gedichten zeigt, kennzeichnet ihn als Theoretiker einer "Konservativen Revolution"; er hat mitgeholfen, den Faschismus geistig vorzubereiten. Und bei einigen der Worpsweder Künstler - nicht allen - war schon früh eine rassistische Tendenz hervorgetreten, deutlich formuliert in dem Aufruf, in dem Carl Vinnen (1863-1922) 1911 zusammen mit Mackensen, am Ende und anderen dagegen protestierte, daß fremdes Wesen in Deutschland überschätzt, deutsche Eigenart und Ursprünglichkeit in würdeloser Weise mißachtet werde. Für Vinnen und seine Kollegen stand fest: "...zur Höhe wird ein Volk nur gebracht durch Künstler seines Fleisches und Blutes". Solche Zusammenhänge sollten nicht ausgeblendet werden, wenn Rilke als literarischer Herold der Kunst-Weihestätte Worpswede zum "Kulturheld des Jahres" 2003 avanciert.
Erschienen in Ossietzky 13/2003 |
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