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Eingeladen hatte der kasachische P.E.N., der drei Preise verlieh: den Auesow-Preis (benannt nach dem Verfasser der 1958/61 in der DDR erschienenen epochalen Dilogie über den Nationaldichter Abai) an den kasachischen Prosaisten Tulen, den Achtanow-Preis (der Namensgeber war 1958 mein erster kasachischer Autor im Verlag Volk und Welt gewesen) an die Publizisten Mursata und Smailow für ihren unter dem Titel "Wenn das Volk spricht - hör zu, Präsident" erschienenen Briefwechsel, schließlich den Dudin-Preis (der russische Dichter Dudin hatte für die Abai-Jubiläumsausgabe 1995 glänzende russische Nachdichtungen geschaffen) an den deutschen Gast "für einen herausragenden Beitrag zur Propagierung der kasachischen Kultur und die Herausgabe der Literatur Kasachstans in deutscher Sprache". Warum ist Almaty, das ich nun schon zum achten Mal besuchte, nicht mehr die Hauptstadt? 21 Gründe sollen das Parlament Kasachstans 1995 bewogen haben, den Regierungssitz nach Astana zu verlegen. Alma-Ata (so die russische Bezeichnung) sei zwischen Hochgebirge auf der einen Seite und erdbebengefährdetem Gebiet auf der anderen nicht mehr erweiterungsfähig gewesen, erfuhr ich. Zwischen großen, expansionsbereiten Nachbarn - China, unweit von Almaty, und Rußland, nördlich von Astana - habe man zu wählen gehabt. Machtpolitisch hätten auch die kasachischen "Shuse" eine Rolle gespielt (schwierigere ethnische Befindlichkeiten als etwa bei uns zwischen Bayern und Preußen). Astana hat eine Vorgeschichte als Akmola, Akmolinsk und Zelinograd (unter Chruschtschow im Sinne der "Neulanderschließung"). Der neue Name Astana bedeutet kasachisch einfach "Hauptstadt". Auch Almaty hat neue architektonische Akzente bekommen: neben Bauten, die schon vor Jahren durch nationale Bezüge beeindruckten (Palast der Republik, Haus der Eheschließungen, Zirkus und andere) das Unabhängigkeitsdenkmal, moderne Hotels aus Beton und Glas, privat finanzierte große Wohnhäuser. Almaty ist eine sehr grüne Stadt mit breiten Alleen und mit Aryks (Bewässerungsgräben) an den Straßenrändern, um die sommerliche Hitze erträglicher zu machen. In den Kaufhäusern und Läden ist alles zu haben, was es auch im Westen gibt, darunter viel Elektronik, aber nationale Produkte wie Kumyß (gegorene Stutenmilch), Chasy (Wurst aus Pferdefleisch) und Obst sind noch nicht durch Billigimporte verdrängt. In die kapitalistische Globalisierung einbezogen, erfährt Kasachstan eine starke Differenzierung: Neben sehr Reichen gibt es viele Arbeitslose, auch Bettler. Zwar sind mit der Regierung zahlreiche Institutionen nach Astana übersiedelt, aber manche anderen sind schon wegen des günstigeren Klimas in Almaty verblieben, zum Beispiel die deutsche Botschaft und der kasachische P.E.N. An die 25 Erstausgaben kasachischer Literatur sind in der DDR erschienen, darunter Werke der späteren Begründer des kasachischen P.E.N. Achtanow, Kekilbajew, Sulejmenow, Simaschko (bei Volk und Welt), Nurpeissow (bei Aufbau) und Nurmagambetow (beim Kinderbuchverlag). Herold Belger, der zu den wenigen Rußlanddeutschen gehört, die in Kasachstan geblieben sind, als sowohl Jelzin als auch Gorbatschow ihr Versprechen brachen, die deutsche Wolgarepublik wiederherzustellen, hat einst schon das Nachwort zu unserer Anthologie rußlanddeutscher Erzählungen geschrieben. Seine hohe Autorität findet heute ihren Ausdruck darin, daß er zum Herausgeber und Kommentator von Abai-Ausgaben wurde. Ihn suchen nach Deutschland ausgewanderte rußlanddeutsche Schriftsteller auf, die hier arbeitslos sind und dort Kooperationsmöglichkeiten erhoffen (Waldemar Weber und Alexander Schmidt traf ich bei einem Spaziergang). Und soeben ist in russischer Sprache Belgers geschichtsträchtiger Roman über das Schicksal der 1941 unterschiedslos in sibirische Arbeitslager und nach Kasachstan deportierten Wolgadeutschen erschienen ("Das Haus des Heimatlosen"). Keine neue deutsche Ausgabe kasachischer Literatur ist mir seit der "Wende" bekannt geworden. Vor allem der neue Roman des kasachischen P.E.N.-Präsidenten Abdishamil Nurpeissow "Die letzte Pflicht" (s. Ossietzky 19/2002) wartet auf seinen deutschen Verleger (vier frühere Romane Nurpeissows erschienen damals bei Aufbau). Wäre es nicht im deutschen, im deutsch-kasachischen Interesse, im Dienste von Kultur und Völkerverständigung, ihn bei uns zu veröffentlichen? Oder fehlt es - wenn nicht an Promille-Bruchteilen der Kosten für den Airbus A400M - an einer literaturfreundlichen Gesellschaft? Ganz ohne militärische Erlebnisse verlief mein Besuch in Almaty doch nicht. Ein uniformierter und ordengeschmückter kleiner, lustiger "General" (so scherzhaft von seinen Freunden bezeichnet, eigentlich Oberst), der mich schon bei der ersten Begegnung umarmt hatte, entpuppte sich als jener Kalmuchan Issabajew, der einst Abais Nachdichtung von "Über allen Gipfeln" nahe dem Entstehungsort des Goethe-Gedichtes in das als Gedenkstätte eingerichtete Jagdhaus Gabelbach gebracht hatte und in Berlin bei der Umbenennung der Straße Nr. 90 in Abai-Straße zugegen gewesen war. Seinen Bemühungen ist zu danken, daß es mittlerweile in drei kasachischen Städten eine Goethestraße gibt, darunter in Almaty. Und wenn man verfolgt, wie selbstverständlich in Kasachstan Beziehungen zwischen Goethe, Puschkin und Abai hergestellt werden (Belger hat dazu einen anregenden Aufsatz geschrieben), drängt sich doch die Frage auf, wann wohl Abais lyrisches Werk deutsch erscheinen wird (das essayistische "Buch der Worte" gibt es immerhin schon). Ordengeschmückt war der "General" zum 7. Mai, dem "Tag der Verteidiger der Heimat". Wenn ich, grauhaarig, in Almaty die Straße entlangging, geschah es oft, daß junge Leute auf mich zukamen und mir zum Feiertag gratulierten. Mit Herold Belger besuchte ich den "Park der 28 Panfilow-Gardisten", wo um ein zentrales Denkmal herum den ganzen Tag ein Volksfest lief. Wer Alexander Beks deutsch 1964-1987 in zehn Auflagen erschienenen Roman "Die Wolokolamsker Chaussee" gelesen hat, der weiß, welche Rolle die in Almaty aufgestellte Panfilow-Division bei der Verteidigung Moskaus gespielt hat. Auch dort erhielt ich von Unbekannten Blumen. Ich legte sie auf der Stele ab, die der von Kasachen mitverteidigten Stadt Kiew gewidmet ist - meinem Geburtsort, den ich im Krieg als Soldat der deutschen Eroberer betrat und der für mich auch Ort eigener Schicksalswende wurde. Der "Tag der Verteidiger der Heimat" ist in Kasachstan trotz aller politischen Veränderungen Staatsfeiertag. Übrigens: Zwar hat Kasachstan keine gemeinsame Grenze mit Afghanistan, aber der gewaltige Amu-Darja, der den mittlerweile sterbenden Aralsee speist, entspringt mit seinem Quellfluß Pjandsch am Hindukusch. Und obwohl Kasachstan im Gegensatz zu anderen postsowjetisch-mittelasiatischen Staaten den USA keine Militärbasen für deren Afghanistan-Operationen bietet, zählte es laut jüngsten Pressemeldungen bereits 8000 US-Überflüge.
Erschienen in Ossietzky 13/2003 |
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