Solidarität mit Kuba?
Die Hinrichtung dreier junger Männer, die eine Personenfähre entführen wollten, und die Verurteilung von Dutzenden kubanischer Dissidenten zu Haftstrafen bis zu 27 Jahren ist von vielen prominenten Intellektuellen in Lateinamerika, den Vereinigten Staaten und Europa scharf verurteilt worden. Der Literaturnobelpreisträger José Saramago kündigte in der spanischen Zeitung El Pais seine Solidarität auf: "Bis hierher und nicht weiter. Von jetzt ab wird Kuba seinen Weg weiter gehen, doch ohne mich." Die Kuba-Solidarität bleibt hingegen geschlossen und spricht von einer "Instrumentalisierung der Menschenrechte zur Durchsetzung hegemonialer Interessen" (Cuba Sí!).
Die iz3w-Kontroverse fragt jenseits solcherlei Solidaritäts- und Distanzierungsbekenntnissen nach Beurteilungen der Situation auf Kuba. Eduardo Galeano, dessen Kommentar wir in gekürzter Form dokumentieren, verurteilte zwar die Verhaftungswelle und die Todesurteile, seine Solidarität mit der Revolution aber scheint ungebrochen. Hermann L. Gremliza, dessen konkret-Verlag erst kürzlich das Buch "Kuba libre. Eine Insel spielt nicht mit" herausgegeben hat, schickte auf unsere Anfrage einen Text, den er 1994 zum Thema geschrieben hat und an dem heute "kein Wort zu verändern sei." Gremliza wie auch Klaus Meschkat sehen sich in der Rolle der Kritiker, die das kubanische Vorgehen verurteilen, ohne einem internationalen Eingreifen das Wort reden zu wollen. Ergänzt wird die Kontroverse durch Saya Maus' Analyse der offiziellen kubanischen Position zu den Verhaftungen.
Die Gefängnisstrafen und die Erschießungen in Kuba sind sehr gute Nachrichten für die weltweit agierende Supermacht, die verrückt danach ist, sich diese verfluchte Gräte aus dem Hals zu ziehen. Es sind hingegen sehr schlechte Nachrichten, traurige und sehr schmerzliche Nachrichten für diejenigen, die wir glauben, daß der Mut dieses kleinen und zu solchem Großmut fähigen Landes bewundernswert ist, die wir aber auch glauben, daß Freiheit und Gerechtigkeit entweder gemeinsam oder aber überhaupt nicht voranschreiten.
(...) Die kubanische Revolution wurde geboren, um anders zu sein. Einer unaufhörlichen Hetzjagd seitens des Imperiums ausgesetzt, überlebte sie so gut sie konnte und nicht so, wie sie es gewollt hätte. Oft hat sich dieses Volk aufgeopfert, mutig und großzügig, um aufrecht stehen zu bleiben in einer Welt von Duckmäusern. Aber auf dem schweren Weg, den sie in so vielen Jahren zurücklegte, hat die Revolution nach und nach den Wind der Spontaneität und Frische verloren, der sie von Anbeginn an getrieben hat. Dies sage ich voller Schmerzen. Kuba tut weh.
Das schlechte Gewissen lähmt mir nicht die Zunge, um das zu wiederholen, was ich bereits zuvor gesagt habe, auf der Insel selbst und im Ausland: ich glaube nicht und glaubte niemals an die Einparteiendemokratie (auch nicht in den Vereinigten Staaten, wo es eine Einheitspartei gibt, die sich als zwei Parteien verkleidet), noch glaube ich, daß die Allmacht des Staates Antwort auf die Allmacht des Marktes sein kann.
Die langjährigen Gefängnisstrafen sind, wie ich glaube, Eigentore. Sie machen einige Gruppen zu Märtyrern der Meinungsfreiheit, die offen aus der Residenz von James Cason, Bushs Interessenvertreter in Havanna, heraus gearbeitet haben. Casons befreierische Leidenschaft ging so weit, daß er selbst die Gründung der Jugendsektion der Kubanischen Liberalen Partei vorgenommen hat, mit derselben Feinfühligkeit und Zurückhaltung, die auch seinen obersten Chef auszeichnen.
(...) Die Vereinigten Staaten, die unermüdlich dabei sind, neue Diktaturen in aller Welt zu fabrizieren, haben nicht die moralische Autorität, um irgend jemandem Lektionen in Demokratie zu erteilen (...) Die wahren Revolutionen jedoch, die sich von unten her und von innen heraus entwickeln; haben sie es nötig, die schlechten Angewohnheiten des Feindes zu übernehmen, den sie bekämpfen? Für die Todesstrafe gibt es keine Rechtfertigung, wo auch immer sie angewendet werden möge.
(...) In Kuba sind die Anzeichen des Niederganges eines zentralisierten Machtmodells sichtbar, das die Unterordnung unter Befehle, die "als Vorgabe" von Oben kommen, in einen revolutionären Verdienst umwandelt. (...) Die Revolution, die dazu fähig war, die Zorngewitter von 10 US-Präsidenten und von 20 CIA-Chefs zu überleben, braucht die Energie der Teilnahme und der Verschiedenheit, damit sie den harten Zeiten, die da kommen werden, standhalten kann. Es müssen die Kubaner sein, und nur die Kubaner, die neue demokratische Freiräume öffnen und die fehlenden Freiheiten erobern, ohne daß jemand von außen seine Hände im Spiel hat und innerhalb der Revolution, die sie selbst gemacht haben, aus dem tiefsten Inneren ihres Landes heraus, welches das am meisten solidarische ist, das ich kenne.
Eduardo Galeano ist Schriftsteller in Uruguay.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 270 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.
https://sopos.org/aufsaetze/3f143ac7aed3f/1.phtml
sopos 7/2003