Albrecht Müller, Publizist. - Höchst kostspielig werben zur Zeit in den deutschen Massenmedien ein "BürgerKonvent" und eine "Initiative Neue Marktwirtschaft" für den Abbau des Sozialstaats. In Ihrer Kolumne im SPD-Mitgliedermagazin vorwärts setzen Sie sich als ehemaliger Chefberater der Partei mit diesen Kampagnen auseinander und schreiben: "Beide Initiativen sind personell verflochten und bekommen das Nötige für ihre Propaganda aus den gleichen Quellen - vom ›Großen Geld‹, hätte die SPD zu Willy Brandts Zeit gesagt." So ist es. Aber auch so: In derselben Ausgabe des vorwärts findet sich eine ganzseitige Anzeige der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", mit einem dicken Lob für die Agenda 2010 und der Aufforderung: "Der Reformkurs muß jetzt konsequent eingehalten werden: Sozialausgaben senken, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen, Arbeitsrecht entrümpeln, Tarifverträge für betriebliche Regelungen öffnen." Da könnten die vorwärts-Leser auf den Gedanken kommen, daß die Kanzler-Agenda etwas mit dem Großen Geld zu tun hat.

Florian Gerster, auch ein Sozialdemokrat. - "Ich bin seit langem der Überzeugung, daß wir zu viel Geld für Soziales ausgeben und zu wenig für Bildung" - so Ihr neuester Beitrag zum Diskurs über den Sozialstaat. Wir schließen daraus, daß Sie von Ihrem gutbezahlten Job als Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit in eine besser bezahlte Funktion überwechseln möchten - vielleicht zu einer künftigen Deutsche Bildung AG?

Michael Rogowski, BDI-Präsident. - In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau erklären Sie dem gebildeten Publikum, weshalb die Systeme sozialer Sicherung demontiert werden müssen: "Das Saysche Theorem, wonach sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft, gilt auch in der Sozialpolitik." Nun müssen Sie nur noch jenen Ihrer unternehmerischen Kollegen, die Massenkonsumgüter für den Binnenmarkt produzieren, erklären, weshalb ihre Angebote bei Arbeitslosen nicht so richtig abgenommen werden. Oder den Arbeitslosen klar machen, daß sie gefälligst dem Sayschen Theorem folgen sollen.

Angela Merkel, Internet. - "Versöhnen statt spalten" lautet das Motto des derzeitigen Bundespräsidenten, den Sie, wenn es nach Edmund Stoiber geht, demnächst beerben sollen, und nun haben auch Sie sich einen Leitspruch gewählt: "Politik ohne Lüge". So haben Sie Ihr Internet-Portal benannt. Damit haben Sie ein unerschöpfliches Thema vorgegeben. Sie könnten Roland Koch heranziehen (der Sie vermutlich im Parteivorsitz beerben wird), als Experten für die Lüge als Mittel zum Erfolg. Oder Freunde in Washington, deren Politik Sie nach eigenem Bekunden, wenn Sie deutsche Staatschefin wären, gern unterstützt hätten.

Erschienen in Ossietzky 12/2003