Viel Heiterkeit über fast nichts

von Lothar Kusche

Von vielen erfolgreichen Arbeiten der Pariser Schriftstellerin Yasmina Reza (s. Ossietzky 8/01) ist "Kunst" das erfolgreichste Theaterstück - in 36 Sprachen übersetzt, in fünf Erdteilen gespielt. (Das beweist zunächst nicht die Qualität des Textes - man denke nur an den Welterfolg des McDonaldschen Schlammburgers. Früher hätte kein Patient die ihm verpaßte Moorpackung nach der Prozedur freiwillig verzehrt.) Rezas "Kunst" indes, zu deren 300. (!) Aufführung das Renaissance-Theater eingeladen hatte, erwies in der bewährten, aber nicht im geringsten abgenutzten Inszenierung von Felix Prader die Güte der literarischen Vorlage; intelligenten Interpreten bietet sie eine Fülle von Möglichkeiten.

Die Autorin bekannte: "Je mehr ich schreibe, um so mehr vertraue ich dem Schauspieler, und um so mehr lasse ich aus. Um so größer wird natürlich auch das Risiko, weil der geringste Fehler das Ganze zunichte macht. Ich schreibe auf Messers Schneide über das Eigentliche, indem ich beinahe alles mit fast nichts sage." Es liegt also beinahe alles an den Schauspielern. Wenn ein Regisseur wie Prader und so außer- und ungewöhnliche Komödianten wie Gerd Wameling, Udo Samel und Peter Simonischek eine Geschichte zu szenischem Leben erwecken, gibt es keinerlei Risiko - kein Risiko für das Stück, keines für das Theater und keines für das Publikum. Wir alle erfreuen uns an einer "sicheren Sache", der Erfolg ist vorprogrammiert, und das Lachen, wie Yasmina Reza es beschwört, erschüttert das kleine alte Theater. Die Mitglieder dieses Mimen-Trios wissen jeden Schritt, jede Geste, jede Pause, jedes Schmunzeln und jeden Wutausbruch so präzis und pointiert in das farbenreiche Mosaik ihres Agierens einzufügen wie einst die Meister der pompejanischen Wandmosaiken ihre Glas- oder Steinstückchen.

"Kunst" wird sicher noch sehr oft gezeigt werden. Das Stück wurde zunächst in der Schaubühne am Lehniner Platz aufgeführt, so daß Tobias Hoheisels Ausstattung von seinem Kollegen Dieter Klaß fürs Renaissance-Theater neu arrangiert werden mußte. Dieses Haus ist ganz reizend, wenn man davon absieht, daß es eigentlich kaum Platz für eine Bühne und deren Nebenräume hat. Freundlich und höflich bedankte sich Gerd Wameling bei den technischen Mitarbeitern Kunze, Jensen und Kollegen, ohne deren logistische Unterstützung der Ab- und Rücktransport des 200 000 France teuren weißen Bildes, um das sich dieses Stück rankt, länger gedauert hätte - denn der Gang hinter der Tür ist nur etwa 50 Zentimeter "breit". Die Spielfläche steigt nach hinten sanft, aber stetig an, so daß die Protagonisten anderthalb Stunden lang auf einer Schräge agieren. "Erfinden Sie das mal, lieber Spitta!" Auch dafür Respekt und Dank, meine Herren.

Erschienen in Ossietzky 12/2003