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Zur Kaiserzeit gegründet, spielte diese Reederei bei der kolonialen Erschließung von "Deutsch-Westafrika" eine Schlüsselrolle, doch jenes Kapitel der Kolonialgeschichte endete schon 1918 damit, daß die Siegermächte des Ersten Weltkriegs die deutschen Kolonien neu aufteilten und zu Frankreichs Beuteanteil Kamerun hinzugeschlagen wurde. Jenes Kapitel mag zwar zu Ende sein, doch seinen Zeugen begegne ich vom ersten Landgang an auf Schritt und Tritt. Schon ihrer architektonischen Absonderlichkeiten wegen sind sie kaum zu übersehen. So die deutsch-katholische Kirche mit ihren klobigen Festungstürmen. Ein Gemäuer, das selbst Kanonenschüssen standhielte, das aber vor allem deshalb auffällt, weil sein Architekt sich nicht entscheiden konnte, ob er der festen Burg, als welche dieses Gotteshaus notfalls auch zu dienen hatte, klassizistischen oder nicht doch eher romantischen Fassadenschnickschnack beifügen sollte. Auch müssen seine Auftraggeber eher knauserig gewesen sein, denn der von doppelt so hohen Bäumen überragte Doppelturm überragt das Bethaus, von dem er künden soll, nur um ein paar kümmerliche Meter und erweist sich beim Näherkommen als ein mit schäbigem Wellblech bedeckter Schuppen, der sich wie in ängstlicher Erwartung schweren Ungemachs zwischen seinen Türmen duckt. Nicht einmal das üppige, grellblühende Gerank, das ihn umwuchert, vermag die Peinlichkeit dieses Anblicks zu lindern. Der Kirche gegenüber der Friedhof derer, für die dieses Haus der Besinnung einst gedacht war. Oder das, was von ihm übriggeblieben ist. Sein halb offen stehendes Eisentor ist unbewegbar festgerostet, die Pfade hinter ihm schon derart zugewachsen, daß sie kaum mehr auszumachen sind. Zwischen den mannshohen Halmen und Stauden, durch die ich mir meinen Weg bahne, verdächtiges Geraschel. Eidechsen, Schlangen auf der Flucht vor dem Eindringling. Langsam und tunlichst dorthin tretend, wo ich festen Grund sehe, schreite ich die langen Reihen verwahrloster Grabmäler ab, suche die Inschriften ihrer halb schon eingesunkenen, teils auch umgekippten Steine zu entziffern. Die frühesten Gräber dieses Totenackers wurden anno 1885 ausgehoben. Einige von ihnen bergen die Gebeine von Besatzungsmitgliedern der "MS Hyäne" und der "MS Zyklop", zweier längst vergessener Einheiten der kaiserlichen Kriegsmarine. Auch die nächsten Inschriften gelten, soweit noch entzifferbar, Offizieren und Matrosen verschiedener "Avisos" und Torpedoboote. Wie diese Männer zu Tode kamen, ist nicht festgehalten, wohl aber, daß sie alle in sehr jungen Jahren starben oder, wie es öfter heißt, "abberufen" worden seien. Reihenweise abberufen, vermutlich während der Eroberung des Landes, vielleicht als Opfer der Pfeile und Speere von Stammeskriegern, die etwas dagegen hatten, Untertanen irgendwelcher deutscher Kaiser zu werden, vielleicht auch nur dahingerafft von den tropischen Fiebern, gegen die man damals wehrlos war. Etwa ab 1890, und noch immer in der langen ersten Gräberzeile, werden die militärischen Beisetzungen seltener, nehmen die zivilen überhand, haben sich die deutsche Ordnung und das deutsche Sterben schon so weit stabilisiert, daß fortan die Zahl der Missionare, Prokuristen, Studienräte, Richter, Köche, Polizisten und Verwaltungsangestellten die der hier beigesetzten Militärs bei weitem übertrifft. Einem der Köche wird sogar ausdrücklich bescheinigt, daß er nicht etwa ein Militär-, sondern ein Zivilkoch war. Doch wiederum sind es fast ausnahmslos junge, hoffnungsvolle Männer, durchwegs strebsam, ordentlich und vaterländisch, die hier liegen. Weder Seekrankheit noch Abenteuer scheuend, hatten sie sich schmucken Woermann-Schiffen anvertraut, um in Douala bald zu Eigenem zu kommen, und siehe da, sie schafften es, wenn auch nicht wie geplant, so doch viel schneller als gedacht - während Millionen junge Männer ihres Alters, obschon gleichfalls viel zu früh gestorben, es nicht einmal zum eigenen Grabe brachten, macht ihnen ihre äquatorialen Gräber bis heute niemand streitig. Für ungestörte Friedhofsruhe der Weißen von Douala sorgte wohl bis 1899 auch der Polizist aus Anklam, der als Letzter in der ersten Reihe liegt. Die nächste ist dem Adel vorbehalten, den hochwohlgeborenen Herren von ...witz, von ...horst, von ...au und den von ...ow. Sie waren die Kommandeure der Kanonenboote und Avisos, sie dienten dem Gouverneur als Adjutanten oder besaßen im Hinterland Plantagen. Zwischen ihren Gräbern ein besonders großes anonymes. Jemand hat es, aus was für Gründen immer, seiner Inschrift beraubt. Zugleich ist es das einzige auf diesem Friedhof, das ganz offensichtlich erst vor kurzem frisch geweißelt wurde. 1917 die erste französische Grabinschrift. Doch egal ob Deutsche oder Citoyens der Grande Nation: Gestorben wurde weiter sehr, sehr jung und mindestens so häufig wie bisher. Unverändert auch das Gartenzwergische des kolonialen Totenkults. Bedeutsam umgestürzte Säulen, Engel mit abwärtsweisenden, Engel mit erloschenen, Engel mit erhobenen Fackeln, mit aufgeschlagenen Marmorbüchern vor dem Busen. Dazu Obeliske aus Granit und aus Blech gestanzte Immortellenkränze, Bronzenymphen - und dies alles nach drei, vier, sieben, acht und neun Jahrzehnten immer noch nicht zugewachsen, immer noch nicht überwuchert von barmherzigen Bougainvilleas und diskretem Elefantengras. Und noch etwas blieb unverändert: Es ist, egal ob Deutsche oder Franzosen, eine Männergesellschaft, die hier ruht. Frauengräber habe ich nur wenige gefunden; es gab nie viele weiße Frauen in Douala. Zu mörderisch das Klima, zu mörderisch die Drecksarbeit, die nötig war, um sich in dieser Gegend militärisch und politisch zu behaupten. In all dem Blut und Schmutz und Eiter hätten Frauen nur gestört, und so blieben denn die Männer unter sich, erst im Leben, dann auch in der Ewigkeit. * Trotz der fleißig ihre Ronden abschreitenden Decks- und Gangwaywachen haben uns in unserer dritten Doualeser Nacht ungebetene Gäste heimgesucht. Kurz vor zwei Uhr früh kam geräuschlos ein mit der Strömung treibendes Kanu voller Diebe längs. Sie warfen mittschiffs ein Kletterseil hoch, dessen mit Lappen umwickelter Haken sich an der Reling verfing, enterten unsern Dampfer, schlichen nach vorn zu Luk zwei, wo drei Container voller Industriekonsumgüter lagen, und knackten geräuschlos. Daß sich vorne Dunkles abspielte, bekamen unsere Helden trotz voller, durch das Brückenflutlicht verstärkter Deckbeleuchtung erst mit, als gewaltiges Geklatsche und Geplatsche anhob. Es rührte von den Kartons und den Kisten, die von den Dieben über Bord geschmissen und von den im Kanu verbliebenen Ganoven aufgefischt wurden. Als die Wache endlich Alarm schlug, per Typhon und per Klingelzeichen und durch ein Gefluche, so deutsch, so lästerlich und laut, wie man es seit Kaiserstagen hierzulande nicht vernommen hatte, war es zu spät. Längst waren die Diebe in den nächtlich schwarzen Fluß gehechtet und samt Boot und Beute in der Dunkelheit verschwunden spurlos. * Die für Douala bestimmte Fracht der "Frédéric Joliot Curie" besteht aus chinesischem Reis. Der wird hier, weil gerade Mangelware, zu hohen Preisen schwarz gehandelt. Noch viel teurer jedoch ist er in jenen Teilen Kameruns, die unter der Sahel-Dürrekatastrophe leiden. Entsprechend streng geben sich am Hafentor die Zollbeamten. Speziell die Schauerleute kontrollieren sie mit schikanöser Gründlichkeit, und mehr als einmal habe ich gesehen, wie einer dieser armen Teufel hochging, nur weil er sich eine Tüte, eine kleine Plastikflasche, gefüllt mit von der Pier aufgeklaubtem Reis, ans Bein oder sonst wohin gebunden hatte. Bereits am ersten Löschtag wurde ich auch Zeuge dieser Szene: Schwarze Schauerleute waren gerade dabei, in Luk 3 Reissäcke auf Paletten zu packen, die dann von unseren Ladebäumen mühelos emporgehievt und zur Pier hinüber geschwenkt wurden, als zwei der gestrengen Zollbeamten in makelloser Uniform, am Gürtel die Pistole und unterm Arm je einen leeren 25-Kilo-Zuckersack, lässig über die Gangway hoch zum Luk gestiefelt kamen. Dort stand der Chef der Schauerleute. Ohne den Chief Mate, der gerade mit ihm verhandelte, auch nur eines Blicks zu würdigen, nahmen sie ihn beiseite, sprachen kurz auf ihn ein und überreichten ihm die Beutel. Mit einer tiefen, demutsvollen Neigung seines Kopfes nahm er sie entgegen, ging zur Ladeluke, warf sie hinunter und brüllte ihnen ein paar Worte nach - die bewirkten, daß die Schauerleute unten augenblicklich alles stehen und liegen ließen, die Klinge eines Klappmessers in den nächsten besten Sack fuhr, die Beutel der Pistolenmänner binnen Minuten prall gefüllt waren. Eine schon halb beladene Palette wurde leergeräumt und schwebte alsbald, nur befrachtet mit den beiden weißen Beuteln, im Sonderflug zur Pier hinüber. Dreizehn Tage dauerte das Löschen unser paar tausend Tonnen Reis, dreizehn Mal erschienen die Pistolenmänner, stets zur selben Stunde nachmittags. * Vor und hinter dem Hotel und in den düsteren Seitengassen rundherum stehen, hocken, tippeln, liegen vielleicht vier- bis fünfhundert zumeist erschreckend junge Afrikanermädchen. Fast alle sind sie ausgesprochen hübsch, erstaunlich viele sogar schön. So schön sogar, daß selbst ihr unglückseliges Bemühen, sich nach europäischem Geschmack zurecht zu machen, ihre Anmut nicht zerstört. Wenngleich der Anblick weißer Stiefeletten, knautschledern, knielang, kombiniert mit Miniröcken engster Sorte und talmigoldgepreßten Epauletten-Jäckchen nach der Art der Galauniformen kaiserlicher Kürassiere, auf junger Haut so dunkel wie die Tropennacht den, der solches bisher nie gesehen hat, eher glauben lassen könnte, ein jäher Hitzschlag gaukle ihm Halluzinationen vor. Zumal die dichten Mähnen vieler dieser Frauen fast schon mecklenburgisch hellblond sind und obendrein, dank irgendwelcher Wässerchen, statt afrikanisch-lockig arisch straff und glatt. Daraus und aus dem Weiß der großen Augen und dem verstärkten Rot der Lippen ergibt sich ein total verrückter Verkehrtherum-Effekt, der ihnen selber freilich kaum bewußt sein kann: Sie kommen daher wie Nutten von der Reeperbahn, die sich aus Jux und Dallerei mit brauner Schuhcreme angepinselt haben und nun so tun, als kämen sie direktemang aus dem schwarzen Afrika. Seeleute wagen sich nur rudelweise in das Viertel. Kaum aber kommen welche, haben sie im Handumdrehen die gesamte hier versammelte Weiblichkeit am Hals, sprengt sie im Nu das Rudel auseinander. Je zwanzig oder dreißig Mädchen nehmen sich einen der Männer vor, streicheln seine Hände, hängen sich ihm an die Arme, verstellen ihm den Weg, umarmen ihn von hinten und von vorn, küssen ihn und flüstern ihm den Preis ins Ohr, umgerechnet ein paar Mark. Und eine schleppt ihn endlich ab, den jungen Mann, der schon den dritten Monat unbeweibt und fern der Heimat ist.
Erschienen in Ossietzky 12/2003 |
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